Sichelzellkrankheit – nicht nur Anämie!

 

Heute möchte ich etwas zum Thema Sichelzellkrankheit schreiben. Wohlgemerkt „-krankheit“, weil es viel mehr ist, als bloß die Anämie. Zumindest in meinem Studium hätte der Eindruck entstehen können, dass es nicht mehr ist. Aber dazu im Folgenden mehr.

Der Krankheit liegt die Mutation des Gens für die beta-Kette des Hämoglobins zugrunde. Zur Erinnerung: HbA (adultes Hämoglobin) besteht aus zwei alpha- und zwei beta-Ketten. Das erklärt auch, warum die Erkrankung erst mit etwa 6 Monaten „beginnt“. Das fetale Hämoglobin besteht aus 2 alpha- und 2 gamma-Ketten. Erst wenn die beta-Ketten gebraucht werden, stellt sich heraus, dass da ein Fehler vorliegt.

Mischformen mit anderen Anämie-Arten sind möglich: Zum Beispiel die Kombination aus Sichelzellneigung und Thalassämie. Phänotypen können heißen: HbSb-Thalassämie, HbSD, HbSO, HbSE etc.

Im angloamerikanischen Raum ist ein Neugeborenen-Screening darauf etabliert; im deutschsprachigen Raum leider trotz aller Bemühungen immer noch nicht. Immerhin ist die Prävalenz hier sehr gering.

Übersicht

Die auslösende Mutation ist besonders häufig im Äquator-nahen Afrika, Saudi-Arabien und Südostasien zu finden (Frequenz bis zu 25%). Weniger häufig kommt es im Mittelmeer- und amerikanischen Raum vor (eben durch die Historie bedingt).

Der heterozygote Genotyp HbAS (S steht für „Sichelzellen“) ist klinisch asymptomatisch. Erst bei Homozygotie kommt es zur Sichelzellkrankheit: HbSS. Die Vererbung findet autosomal kodominant statt.

Wichtig: Sichelzellkrankheit und Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase Mangel haben eine hohe Ko-Inzidenz. CAVE, wenn Medikamente verabreicht werden sollen!

Die heterozygoten Genotypen haben eine gewisse Resistenz gegenüber Malaria, wohingegen die homozygoten Träger eher mit der Krankheit zu kämpfen haben.

„Sichelzellkrankheit“; Heike C. Ewert

Die Erythrozyten bilden (erst!) in deoxygeniertem Zustand die typischen Sichelzellen aus, weil die mutierten Hämoglobine polymerisieren. Dabei sind sie weniger elastisch und können kleine Gefäße verschließen: Vasookklusive Krisen und Infarkte in diversen Organen sind möglich. Aufgrund der verminderten Elastizität ist die Lebensdauer ebenfalls herabgesetzt. Die Milz baut die starren Erythrozyten schneller ab (Lebensdauer nur ~20 Tage) und schwillt wegen dieser betonten Hämolyse typischerweise an (Splenomegalie).

Klinik

Auslösende Faktoren für Sichelzellkrisen sind vor allem: Hypoxie und Kälte. Die Folge sind schwere hämolytische Krisen und Schmerzspitzen (typischerweise Knochenschmerzen). Im weiteren Verlauf chronische Organschäden.

Häufig sind die ersten Zeichen im Kindesalter eine Daktylitis wegen einer okklusiven Nekrose der kurzen Hand- und Fußknochen. Laboruntersuchungen stellen eine Anämie von 6-8g/dl und erhöhte Retikukozyten von etwa 10-20% Anteil dar.

Krisen in der Sichelzellkrankheit

Die Ursache für sämtliche folgend genannten Krisen ist die Okklusion der Mikrostrombahn durch unelastische Erythrozyten mit Minderdurchblutungen, Ischämien und Infarkten:

  • vaso-okklusiv und schmerzhaft! Präzipitierende Faktoren sind Hypoxie, Hypothermie, Infektionen, Azidose, Dehydratation. Infarkte häufig im Achsenskelett, Lunge und Milz, aber auch ZNS.
  • viszerale Insuffizienz, z.B. auch Mesenterialischämie
  • Thoraxsyndrom: Infiltrate im Röntgen-Thorax, Thoraxschmerz, Dyspnoe wegen Lungengefäßokklusion. Häufig aber auch vergesellschaftet mit einer Infektion!
  • hämolytische Krise
  • aplastische Krise, die zum völligen Stopp der Erythrozytenproduktion führen kann

Diagnostik

  • Anämie
  • Retikulozyten erhöht
  • MCV ist normal

Der Nachweis erfolgte klassischerweise in Europa über eine Hb-Elektrophorese, heutzutage eher über eine HPLC. Aber auch der mikroskopische Nachweis kann geführt werden. Dafür müssen die Zellen deoxygeniert vorliegen, sonst bilden sie eventuell nicht die Sichelzellform aus.

Ein weiterer Test ist der Sichelzell-Löslichkeitstest mit Dithionat und Na2HPO4, der positiv wird bei HbS > 20%.

Management

Aufgrund der o.g. Pathophysiologie ergeben sich die Handlungsempfehlungen:

  • Schmerztherapie in Krisen mit NSAID (gut gegen den Knochenschmerz) oder Opioden
  • andere Schmerzursachen ausschließen
  • hydriert halten, das vermindert den Hämatokrit und verbessert die mikrovaskuläre Perfusion
  • Patienten gewärmt halten
  • Folsäure supplementieren (ein chronischer Mangel liegt vor; Dosierung: 1-5mg / d bei Erwachsenen)
  • bei Thoraxsyndrom und Infektion entsprechend Antibiosen (s. u.: Leitlinie)

Das gilt insbesondere für die perioperative Phase, in der eine Krise mit 30-60% deutlich wahrscheinlicher ist, als unter normalen Bedingungen.

Präoperativ kann es sinnvoll sein, mit Transfusionen den Hämatokrit zu senken und den Hb dabei zu steigern (Ziel: Hb ~10g/dl, Hkt <= 32%, HbS < 30%). Für ein abgestimmtes Vorgehen empfiehlt sich aber natürlich immer die Rücksprache mit einem Hämatologen.

Zusammenfassung

Die Sichelzellkrankheit ist mannigfaltiger, als einem manchmal mit dem Ausdruck „Sichelzellanämie“ im allgemeinen Sprachgebrauch suggeriert wird. Dahinter stecken zwar deformierte unelastische Erythrozyten, aber die Anämie ist bloß ein Aspekt. Wesentliche weitere Folgen sind Mikroinfarkte in praktisch allen Organen, inklusive Herz- und Hirninfarkt, sowie chronischen Minderdurchblutungen und Organinsuffizienzen.

Das prophylaktische Management, z.B. perioperativ, ist hingegen relativ simpel. Dass ein Patient ordentlich hydriert, gewärmt und gegen Stress abgeschirmt werden sollte, versteht sich für einen Anästhesisten wohl von selbst.

Erst bei Aufnahme auf die Intensivstation mit Komorbiditäten wird das Krankheitsbild sehr komplex und ein hämatologisches Konsil ist in jedem Fall angezeigt. Und das natürlich auch, wenn der Patient nur epidemiologisch zur Risikogruppe gehört, und bisher keine offizielle Diagnose „Sichelzellkrankheit“ erhalten hat.

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