Latex Allergie perioperativ

 

Allergien sind ubiquitär und auch ich mache gede eine Hyposensibilisierung durch. Ich sag nur: Durch hüfthohe Gräser im Sommer zu spazieren macht nur bedingt Spaß (mal abgesehen von möglichen Tierchen, die man sich da einfangen kann… Zecken…)

Auf dieser Seite hatten wir schon mal einen Beitrag zum Thema Aquatische Allergien (Meeresfrüchte und Tiere), und auch die Pinup-Docs haben sich des Themas schon mehrfach angenommen, z.B. hier in einem Podcast.

Die Therapie ist im Grunde zusammengefasst: Frühzeitig Adrenalin i.m. (tatsächlich schon möglich ab Allgemeinsymptomen wie gastrointestinalen Beschwerden, ohne dass der ganze Körper schon krebsrot ist), danach weitere H1/H2-Blocker, Cortisol-Präparate.

In diesem Beitrag soll es speziell um Latex bzw. Naturkautschuk gehen, weil es auch heutzutage an vielen Stellen im Krankenhaus zu finden ist. Wo es nicht zu finden ist, steht auf der Verpackung ein durchgestrichenes LATEX drauf (ein Symbol, das man so am ehesten im Straßenverkehr vermuten würde).

Was bedeutet das für uns?

Sagen wir, ein Patient berichtet uns präoperativ von einer Latexallergie. Was bedeutet das nun für uns?

Zunächst müssen wir uns natürlich noch mal über grundsätzliche Dinge Gedanken machen. Latex ist der zweithäufigste Trigger für allergische Reaktionen perioperativ bei Erwachsenen (22%). Häufiger sind nur noch die Muskelrelaxantien mit 54%[1]. Bei Kindern ist es sogar noch bedeutsamer insofern, als dass bis zu 76% der allergischen Reaktionen durch Latex hervorgerufen werden – das ist einsame Spitze.

Die Erkenntnis, dass Latex für solche Reaktionen verantwortlich ist, stammt aus den 1970er Jahren, als es sich im OP Saal durchsetzte. Für 7-13% der Mitarbeiter im Gesundheitswesen ist es ebenfalls eine Allergiequelle (berufliche Exposition) und eine bedeutende Differentialdiagnose für unerklärliche Kollapse im OP.

Latex wird gewonnen aus der Milch des Gummibaums, Hevea brasiliensis und enthält neben Proteinen Lipide und Kohlenhydrate. Die löslichen Proteine sind der Auslöser der Allergie.

Fun Fact am Rande, weil ich es lang nicht mehr gesehen habe: Das Puder aus gepuderten Latex-Handschuhen kann sich mit dem Latex verbinden und in die Atmosphäre des Saals gelangen, wo es mehrere Stunden nachweisbar bleibt. Ganz ab davon, dass ich persönlich solche Handschuhe überhaupt nicht leiden kann (komisches Gefühl), hab ich die zum Glück wirklich lang nicht mehr gesehen.

Reaktionstypen, again

Die Reaktionen können von einer „simplen“ Kontaktdermatitis (von denen die Mitarbeiter häufig betroffen sind) über allergische Kontaktdermatitis bis zu einer Typ IV Hypersensitivitätsreaktion reichen.

Die akut bedrohliche Reaktion ist eine Typ I Sofortreaktion, die IgE vermittelt abläuft.

Da es so schön ist (und häufig nicht gut in den Köpfen, einschließlich meinem, hängen bleibt, noch mal eine Zusammenfassung der verschiedenen Reaktionstypen):

Typ I Reaktionen sind IgE vermittelt. Nachdem das Individuum mit dem Allergen in Kontakt gekommen ist (also einem Antigen), bildet es Antikörper dagegen in seinen Plasmazellen. Wenn es zu einer Re-Exposition (Haut, Luft) kommt, binden die Antikörper sofort an das Antigen und lösen eine perakute Immunreaktion aus. Das sind die gefürchteten anaphylaktischen Reaktionen in der Anästhesie. Der Antigen-Antikörper-Komplex aktiviert vor allem Mastzellen und Basophile Granulozyten und führt so zu einer massiven Ausschüttung von Histamin, was dann die Kreislaufreaktionen auslöst: periphere Vasodilatation, Blutdruckabfälle, Bronchokonstriktion und Spastiken. Weiterhin wird die Proteinsynthese von TNF, Interleukinen und GM-CSF angestoßen, was zu verzögerten weiteren Reaktionen führt, wie im Asthma bronchiale[2].

Die Typ II Reaktion läuft über zirkulierende IgE und IgM-Antikörper ab, die zusammen mit einer Aktivierung des Komplementsystems Zelllysen auslösen können. Beispiele für solchen Reaktionen sind Hämolysen nach Sulfonamiden oder die Agranulozytose, z.B. nach Metamizol oder auch Ibuprofen.

Typ III Reaktionen sind eher die Pathologie für chronische Immunkrankheiten. Die Reaktion von Antigen und Antikörper bildet einen Immunkomplex, das sogenannte Preciptin, das sich vor allem in Glomeruli und dem Bindegewebe von Gelenken absetzt. Beispiele hier wären der systemische Lupus erythematodes oder die Rheumatoide Arthritis.

Typ IV Reaktionen treten verzögert auf und sind zellvermittelt, aber ohne Komplement-Aktivierung. Es gibt eine Kombination von T-Killer-Lymphozyten und Makrophagen, die das Antigen angreifen. Beispiel hierfür wäre die Kontaktdermatitis. Übrigens ist das Versagen einer Typ IV Reaktion im Rahmen einer Tuberkulose die Pathophysiologie für die Bildung von Granulomen.

Nicht zu verwechseln mit den anaphylaktischen Reaktionen sind die anaphylaktoiden Reaktionen, die im Grunde ohne Immunaktivierung direkt zu einer Freisetzung von vasoaktiven Substanzen führen. Ein Beispiel wären die Opiate, die direkt Histamin freisetzen lassen können.

Zurück zum Latex.

Da hier vor allem eine Typ I Reaktion zu vermeiden gilt, gilt es Latex grundsätzlich vom Patienten fern zu halten. Das betrifft nicht nur den OP, sondern alle medizinischen Materialen, auch auf Normalstation, inklusive Matratzen, Überzügen, Antithrombose-Strümpfe etc. Aufgrund der Wichtigkeit des Themas sind zum Glück heutzutage meist latexfreie Produkte zu finden. Einmal checken, sollte man es aber schon, bevor man es an den Patienten bringt, auch auf der Normalstation. Expositionsvermeidung ist das Allerwichtigste.

Wenn es zu einer Exposition gekommen ist, braucht das Immunsystem trotz Typ I Reaktion in der Regel länger als bei i.v.-Medikamenten, um „auf Touren zu kommen“. Wir reden hier von einer Verzögerung durchaus von 30-40min. Die Symptome können alle auftreten bis hin zu Angioödem und Bronchokonstriktion, allerdings ist die Hypotension doch wohl das häufigste Symptom.

Die wichtigste Maßnahme – neben dem Stopp der Allergenexposition – ist die Gabe von Adrenalin, bei Erwachsenen 0,3-0,5mg i.m. in den M. vastus lateralis. Es gibt einen Grund, warum Anaphylaktikern ein „Epipen“ verschrieben wird und nicht Antihistaminika, nur mal so zum Nachdenken. Ein ABC-Ansatz mit Sauerstoffgabe etc. bewährt sich im Grunde bei jeder Notfallsituation, egal ob chirurgisch oder internistisch.

Zur Bestätigung einer Mastzellaktivierung im Rahmen der Anaphylaxie kann zeitnah eine Blutprobe entnommen werden mit Frage auf Serum-Tryptase; diese Abnahme muss 1-2 Stunden später noch einmal wiederholt werden. Nach 4 Stunden ist aber nichts mehr nachweisbar.

Kreuzallergien gibt es auch noch

Kreuzallergien habe ich bisher unterschlagen. Auch strukturell sehr verwandte Naturprodukte können die vorliegende Allergie auslösen:

  • Die Birkenfeige (Ficus benjamina)
  • Weihnachtsstern
  • Maniok
  • Kiwi, Banane, Avocado, Walnuss, Esskastanie (dann heißt das „Latex-Frucht-Syndrom“[3])

Oxytocin und Latex sind auch sehr strukturverwandt und es gibt Fallberichte einer Kreuzreaktion (s. Fachinformation Oxytocin).

Besondere Risikogruppen sind

  • Spina bifida
  • Atopische Grunderkrankungen
  • Angeborene Urogenitalanomalien

Zum Thema Leitlinien habe ich im deutschsprachigen Raum leider nichts gefunden. Es gibt nur vereinzelte SOPs, wie zum Beispiel hier vom Royal Cornwall Hospital (NHS).

Abschluss

Habt ihr dafür lokale SOPs? Oder habt ihr schon mal eine Latexallergie erlebt? Durch den Vormarsch von latexfreien Handschuhen und Materialien ist es mir tatsächlich noch nie begegnet – wie ist das bei euch? Die Kommentarspalte wartet auf euch😊

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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