Jetzt wird’s fishy – aquatische Allergien

 

In Auflistungen von Allergenen, die Anaphylaxien auslösen, stehen meist Nüsse, Sojabohnen und Krustentiere auf den ersten Plätzen.

In diesem Beitrag geht es zum einen um allergische Reaktionen, deren Pathophysiologie und Therapie im Allgemeinen und Fisch- und Krustentier-Allergien im Speziellen, sowie ein paar spezielle, spannende Differentialdiagnosen.

Die lebensbedrohlichen allergischen Reaktionen sind meist vom Soforttyp (Typ 1) und IgE mediiert. Nach Kontakt des Körpers kommt es zu einer inadäquaten immunogenen Überreaktion, die v.a. eine unkontrollierte Histamin-Freisetzung zur Folge hat (über eine Reaktionskette von Antigen-präsentierenden-Zellen APC, T- und B-Zellen).

In der Tat muss eine Sensitisierung des Immunsystems passieren. Dafür werden die Antigene präsentiert und spezifische Antikörper gebildet. Bei folgenden Antigenkontakten dreht das Immunsystem dann durch, weil es denkt, da käme ein Eindringling. Die Reaktion des Immunsystems ist dann nachvollziehbar, jedoch nicht die initiale Reaktion auf das Antigens, das überhaupt kein bösartiger Eindringling ist.

Unterdrückung der Immunantwort: ja bitte!

In der Tat gibt es Mechanismen, die die Immunantwort in solchen Fällen normalerweise unterdrücken. Luminale Barrieren im Darm verhindern die Aufnahme der meisten potentiellen Antigene. Magensäure und Verdauungsenzyme degradieren Nahrungsmittel insofern, als dass auch keine immunogenen Komplexe übrig bleiben – das wäre dann auch ein Teil der Verdauung, mal abgesehen davon, dass wir die Bausteine natürlich auch in einer resorbierbaren Form haben müssen um sie über die Darmtransporter aufnehmen zu können.

Außerdem erinnern wir uns, dass IgA-Antikörper in Körperflüssigkeiten wie den Speichel oder Darmflüssigkeiten sezerniert werden und dort ebenfalls bereits immunogene Moleküle „abbinden“ und deren Aufnahme verhindern.

So werden nur etwa 2% aller aufgenommenen Proteine in einer immunogenen Form in die Blutbahn aufgenommen[1]. Antigen-präsentierende Zellen, wie Dendritische Zellen, B-Zellen oder Makrophagen, interagieren dann mit regulatorischen und supprimierenden T-Zellen. Über die Ausschüttung von IL-10 und TGFbeta wird die weitere Immunantwort unterdrückt. Im Falle hoher Antigen-Dosen gibt es einen weiteren Mechanismus, der sich Lymphozyten-Anergie oder –Deletion nennt [2]

Allergische Typ 1 Reaktion

Wenn diese Mechanismen scheitern, kommt es zu einer Sensitisierung und der Bildung von spezifischen IgE-Ak. Allergische Reaktionen bestehen aus 2 Phasen.

  1. Akutphase: Mastzell- und Basophilen Degranulation mit Histaminliberation
  2. Späte Phase: 4-6 Stunden nach dem Antigenkontakt mit Aktivierung von Basophilen, Eosinophilen Granulozyten und T-Lymphozyten und deren Reaktionen

Nun puzzeln wir das erst mal zusammen für die allgemeine allergische Reaktion. Es geschieht ein Antigenkontakt, z.B. ein Bienenstich, Ingestion von einem bestimmten Nahrungsmittel oder Gabe von einem unverträglichen Medikament.

Darauf kommt es zu einer Akutreaktion im Sinne einer Histamin-Freisetzung. Bei geringgradigen Reaktionen kommt es zunächst darauf an, wo der Kontakt stattgefunden hat. Bei Nahrungsmitteln kann es zu Jucken oder lokalen Schwellungen im Mund-, Zungen- oder Halsbereich kommen. Die Reaktion kann sich aber auch generalisieren mit ubiquitärem Exanthem bis zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock.

Wenn wir noch mal in Richtung Nahrungsmittel und -aufnahme denken, kommt uns als Anästhesisten auch schnell der gefährdete Atemweg in den Sinn, wenn es zu Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich kommt.

Die Anamnese ist wichtig, um einen etwaigen Auslöser zu ermitteln.

Was tun bei akuter Anaphylaxie?

Maßnahmen:

  • Auslöser sofort entfernen! (wenn ermittelbar); allerdings: bei Nahrungsmitteln als Ursache ist eine Magenspülung nicht indiziert wegen der möglichen Folgen (Aspirationsgefahr!)
  • Ist der Atemweg sicher? Inspektion des Mundraums auf Ödeme, Hydrops, etc. Bei Zeichen erhöhter Atemarbeit (flache schnelle Atmung) lieber früh intubieren. Sauerstoffgabe ist in so einem Fall obligat
  • Adrenalin 0,3-0,5mg i.m. ist das Mittel der Wahl bei Generalisierung, auch wenn keine Kreislaufbeeinträchtigung vorliegt: Es unterbindet kausal die Freisetzung von Histamin. Es kann alle 5-10min wiederholt werden oder wenn ein Rückfall geschieht[3]; Als Injektionsort ist femoral dem Deltoideus vorzuziehen, weil es dort besser resorbiert wird.
  • Bei Patienten im anaphylaktischen Schock, die therapierefraktär sind, kann Adrenalin auch i.v. gegeben werden in einer Dosis von 0,1mg i.v. über 5-10min

An dieser Stelle möchte ich kurz einen Exkurs machen, weil anaphylaktische Reaktionen meiner Erfahrung nach nicht so häufig sind. Als Notarzt hatte ich eine Patientin, die eine Allgemeinreaktion nach Wespenstich hatte. Der Blutdruck systolisch betrug 80mmHg und sie hatte ein generalisiertes Exanthem. Man konnte also mit Fug und Recht von einem anaphylaktischen Schock sprechen.

0,5mg Adrenalin i.m. sorgte dafür, dass sich der Blutdruck über 10-15min sukzessive stabilisierte und die Hautreaktion schon deutlich rückläufig war, als wir schließlich im Krankenhaus ankamen.

Wenn in Tintinalli’s Emergency Medicine steht, dass die meisten Patienten nur eine Einmalinjektion i.m. benötigen, dann unterstütze ich das hiermit. Außerdem war der Blutdruckanstieg sukzessive, aber sanft und überhaupt nicht überschießend. Bei der i.v.-Gabe hätte ich da mehr Bedenken gehabt, gerade bei einer Dosierung von 0,1mg!

Weitere Maßnahmen können flankierend ergriffen werden:

  • H1-Blocker: z.B. Diphenhydramin 25-50mg i.v./p.o.
  • H2-Blocker: z.B. Ranitidin 50mg i.v.
  • Hydrocortison: z.B. 250-500mg i.v.

Histamin-Blocker blockieren aber nur die Histamin-Rezeptoren. Das ist ein Problem, wenn nach wie vor hohe Mengen Histamin im Blut zirkulieren. So gesehen wirken sie nur symptomatisch, aber nicht kausal und ein Rückfall ist möglich.

Hydrocortison stabilisiert die Mastzellen, sodass es hoffentlich nicht zu einer verzögerten zweiten Reaktion kommt (s.o.)

Die Einnahme von Betablockern ist übrigens ein Risikofaktor für prolongierte anaphylaktische Reaktionen, sodass in Fällen von therapierefraktärer Hypotonie und Anaphylaxie Glukagon erwogen werden kann.

Meerestiere können Allergien auslösen, sogar recht häufig

Jetzt aber zu den Meerestieren, um die sich der Beitrag im Grunde drehen sollte (ich habe einen etwas weiten Bogen geschlagen).

Um was für Allergene dreht es sich hier überhaupt und wie heißen die?

In Fischen ist es Parvalbumin und bei Krustentieren das Tropomyosin (Krustentier- und Weichtier-spezifisch). Diese Klassifikation hat auch einen Einfluss auf die zu erwartende Kreuzreaktivität. In der Gruppe der knöchernen Fische besteht eine Kreuzreaktivität zwischen einzelnen Spezies von etwa 50%, bei Krustentieren sogar bis zu 75% [4].

Weil sich die auslösenden Antigene zwischen Krustentieren und Fischen unterscheiden, gibt es keine Kreuzreaktivität zwischen diesen Klassen. Allergie gegen beide Antigene können natürlich trotzdem parallel auftreten. Vielleicht ein wenig akademisch.

Tropomyosin ist ein sogenanntes Panallergen, weil es nicht nur in den Krustentieren vorkommt, sondern auch sehr ähnlich in Spinnentieren, Schaben und anderen Insekten.

Es ist nicht immer nur der Fisch schuld…

Übrigens muss eine vermutete Fischallergie gar keine Allergie gegen einen Fisch oder ein Krustentier sein. Es kann sich auch um einen Zufall handeln, weil der vermutete Fisch dummerweise von einem Parasiten mit Namen Anisakis simplex befallen war. Dieser Parasit befällt Fische weltweit und kann klassische Anaphylaxien auslösen, wenn er nicht ordentlich „durch“ war. Offensichtlich ist es auch dieser Parasit, der einen erheblichen Teil von berufsbedingten Allergien in der fischverarbeitenden Industrie hervorruft, vor allem Hautirritationen und Asthma (häufig dort zu finden).

Eine weitere Differentialdiagnose zur echten Fischallergie ist die Scombroid-Vergiftung. In bestimmten Fischen (Thunfisch, Makrele, dunkelfleischigem Fisch) produzieren Bakterien im Verderbeprozess Histamin, wenn ein Fisch lange Zeit unsachgemäß gelagert wurde (zu warm). Die Reaktion nach Ingestion ähnelt einer allergischen Reaktion, ist es aber im Grunde nicht. Eine schwierige Differentialdiagnose.

Eine besondere Form der Allergie im Setting von Meerestieren ist die Nahrungsmittel-assoziierte, Anstrengungs-induzierte Allergie. Das heißt, dass ein Patient zwar ein Allergen aufnimmt (vielleicht einen Shrimp?) und normalerweise nicht darauf reagiert. Wenn er danach aber direkt Sport macht, kann er eine allergische Reaktion mit einer Verzögerung von 2-6 Stunden entwickeln.

Was es nicht alles gibt! Da ist der Auslöser natürlich schwer zu ermitteln…

Therapie? Prävention!

Prävention ist v.a. die „Therapie“ der Wahl. Lieber den Auslöser meiden, als mit den Folgen zu kämpfen zu haben. „Fische“ und „Krebstiere“ sind Bestandteil einer Liste von Allergenen, mit denen Nahrungsmittel in der EU gekennzeichnet werden müssen (nach Richtlinie 2007/68/EG).

Andere Methoden, die sich in Erforschung befinden, sind z.B. rekombinante anti-IgE-Antikörper oder eine Peptid-Immuntherapie.

Ein interessanter Ansatz ist die DNA Immunisierung. Es wird ein Plasmid in APC eingeschleust, die es transkribieren und Epitope des Allergens auf ihrer eigenen Oberfläche ausbilden. Damit zeigen sie dem Körper an, dass diese Epitope körpereigen sind und würden damit eine Immunantwort effektiv verhindern[6].

Das sind zwar wirklich interessante Ansätze, aber noch weit von der Marktreife entfernt. Bis dahin bleibt nur die Vermeidung von Allergenen und vielleicht die häufigere Nutzung von Adrenalin i.m. (auch als Epipen Autoinjektor).

Wie sind eure Erfahrungen damit? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen.

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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