Aortendissektion!

 

Gegen 19 Uhr in einem peripheren Krankenhaus am Rande der Stadt, Intensivstation. Anmeldung für einen Stroke-Patienten, weil dieses Haus eine kleine Stroke-Unit (mit Tele-Neurologie-Anbindung) besitzt. Na gut, letztes Bett, was will man mehr.

Der Patient erreicht 30 Minuten später die Station, ist beatmet und hypoton: 90/60mmHg. Bei der Beatmung quietscht es merkwürdig neben dem Larynxtubus her.

Der mitt-50-jährige Patient habe mit einem Bekannten telefoniert und sei dann bewusstlos zusammengebrochen. Auffällig die Anisokorie. Deshalb die Diagnose Schlaganfall. Alle weiteren Stroke-Units im Umkreis waren bereits voll, sodass unsere kleine Klinik als Ziel ausgewählt wurde.

Wegen der merkwürdigen Beatmung erst mal den Larynxtubus unter kontrollierten Bedingungen gegen einen Endotrachealtubus ersetzt. ZVK gelegt, um bei der Hypotonie Katecholamine geben zu können. Wir begannen dann auch mit Noradrenalin und der Blutdruck hebte sich dezent, aber nicht besonders toll.

Zwischendurch wurde der Patient merkwürdig zyanotisch, aber nur im Oberkörper- und Kopfbereich, nicht in der unteren Extremität. Was war da denn los?

Die Diagnostik dauert an

Hinzuziehen der internistischen Kollegin, Rumrätseln, Echokardiographie. Keine Rechtsherzbelastungszeichen, dafür aber ein Flüssigkeitssaum ums Herz herum.

Und da dämmerte es langsam: Neurologische Symptome, hämodynamische Instabilität und ein Perikarderguss? Das kann doch eigentlich nur… oh oh. Eine Aortendissektion Typ A (Stanford) sein.

Das Unglück nahm seinen Lauf, der Patient wurde zunehmend instabil und 2 Stunden nach Aufnahme war er verstorben. So oder so waren wir ein Grund- und Regelversorger und hatten gar keine Thorax-/Gefäßchirurgie im Hause. Im Grunde war die Sache besiegelt in dem Moment, in dem der Notarzt uns als Transportziel ausgewählt hatte (Stichwort: Stroke).

Das ist in der gegebenen Situation präklinisch aber auch wirklich schwer einzuschätzen gewesen. Es hätte genauso gut ein fulminanter Schlaganfall mit Beeinträchtigung des Kreislaufzentrums im Hirnstamm sein können.

In diesem Fall war es das nicht, sondern ebenso fatal, eine Aortendissektion, die ischämische Symptome verursachte, gleichzeitig aber noch in den Herzbeutel blutete. Mist.

Aortendissektion Typ A

Die Aortendissektion gehört zusammen mit intramuralen Hämatomen und penetrierenden atherosklerotischen Ulzera zum sogenannten Akuten Aortensyndrom, das eine Inzidenz in UK von 6/100.000 Einwohner hat[1]. Männer erkranken doppelt bis dreimal so häufig wie Frauen und das Erkrankungsalter liegt im Bereich 50-70 Jahre.

Bekannte Risikofaktoren sind:

  • Bindegewebsschwäche, insbesondere der Media (z.B. Marfan-, Ehlers-Danlos-Syndrom)
  • Hypertonie

20% der Patienten versterben sofort aufgrund einer Aortenruptur und bei einer Typ A Dissektion liegt die Gesamtmortalität bei bis zu 40-50% in den ersten 48 Stunden nach Ereignis. Weitere 1-2% versterben pro Stunde, wenn keine lebensrettenden Maßnahmen ergriffen werden (OP).

Bis zu einem Drittel der Patienten weisen neben der Dissektion auch Malperfusions-Symptome auf. Das kann zum einen eine Minderperfusion des Myokards oder anderer Endorgane sein (das „native“ ACS ist ein heißer Differentialdiagnose-Kandidat) oder eben neurologische Symptome.

Gerade wenn ein Aortensyndrom-Patient Angina pectoris wegen einer Myokard-Minderperfusion Antikoagulantien erhält (ASS, Heparin) ist das für das Herz zwar gut, aber nicht für die Aorten-Pathologie. Man könnte sagen: tödlich.

Immerhin: Wenn ein Patient der Operation zugeführt werden kann, liegt die Überlebensrate mittlerweile bei über 90% (im Vergleich zu 16%)[2].

Diagnostisch wird es uns schwer gemacht. Wir haben hier ein Krankheitsbild das offensichtlich sehr zeitkritisch diagnostiziert und behandelt werden muss (ggf. auch weiterverlegt, weil es einfach nicht überall operiert werden kann).

Es gibt mal wieder einen Score

Folgende Kombination an Befunden hat eine recht hohe Prä-Test-Wahrscheinlichkeit, und sollte uns hellhörig werden lassen (Score):

  • relevante Anamnese: Bindegewebserkrankung, bekanntes thorakales Aortenaneurysma, positive Familienanamnese, Aortenklappenerkrankung
  • Schmerzcharakteristik: schlagartiger Beginn, reißender Schmerz, in den Rücken strahlend
  • klinische Untersuchung: Pulsdefizit, Blutdruckdifferenz re/li, neues Herzgeräusch, fokale Neurologie, Schock oder Hypotension

Ein positiver Befund in einer der Kategorien gibt 1 Punkt. Der Score reicht von 0 bis 3.

  • 0 Punkte: niedriges Risiko
  • 1 Punkt: moderates Risiko
  • 2-3 Punkte: hohes Risiko

Quelle: Aortic Dissection Detection Risk Score, International Registry of Acute Aortic Dissection

Immer da, wo die Symptome milder ausgeprägt sind, oder ganz fehlen (und das ist leider häufig der Fall), steigt die Wahrscheinlichkeit einer primären Fehldiagnose.

Häufig präsentieren sich die Patienten auch mit einer Exazerbation anderer zugrunde liegender Erkrankungen (COPD, Herzinsuffizienz).

Die Diagnose verzögert sich häufig

Gerade, wenn sich die Patienten mit Malperfusions-Symptomen vorstellen, verschlechtert sich ihre Prognose erheblich. Zum einen haben sie tatsächlich zusätzliche „Baustellen“ (Schlaganfall, Herzinfarkt), zum anderen lenken diese häufigeren Konditionen von der eigentlich zugrunde liegenden Pathologie ab.

Im Fall einer koronaren Beteiligung kann das Aortensyndrom ein ACS imitieren oder auslösen. Nun ist das ACS deutlich häufiger – aber die Therapie mit Antikoagulantien in diesem Fall ziemlich tödlich. Tatsächlich gibt es dazu auch Untersuchungen: Wenn das Troponin positiv ist (im Sinne eines vermuteten ACS), führt das zu einer signifikanten Verlängerung, bis die korrekte Diagnose gestellt wurde[3].

Im Vergleich zum ACS gibt es leider von der ESC und AHA nur recht unspezifische Leitlinien, wie man einen Patienten auf den richtigen Klinischen Pfad setzen kann. Das liegt vermutlich an der geringen Inzidenz.

Biochemische Marker sind nicht spezifisch und im Falle des Troponins vielleicht sogar eher als hinderlich anzusehen (s. o.: Troponin). Ein negatives D-Dimer schließt ein Aortensyndrom nicht so recht aus (falsch-negativ-Rate bis zu 18%[Tintinalli: 4]!), beweist es aber auch nicht (wie bei der Lungenembolie blöderweise auch).

Bildgebende Verfahren können die Dissektion nachweisen: Ein CT-Angio (recht häufig) oder auch ein TEE (präklinisch schon mal gar nicht, aber in der ZNA in der Regel auch eher nicht). Ein auf die Fragestellung fokussiertes transthorakales Echo kann die Fehldiagnose-Wahrscheinlichkeit eines Aortensyndroms reduzieren[5].

Die Verfahren sind dahingehend limitiert, dass Aortensyndrome sehr dynamisch sind. In einem Moment handelt es sich nur um einen winzigen Riss und im nächsten Moment geht er „richtig auf“.

Wie therapieren?

Die Behandlung ist im Grunde rein chirurgisch. Das heißt, dass die Diagnosestellung und korrekte Zuführung zu einem Haus, dass das überhaupt operieren kann (offen oder endovaskulär), das Allerwichtigste ist.

Häufig weisen Patienten einen Hypertonus auf, der vorsichtig gesenkt werden sollte. Zielbereich wäre 100 bis 120mmHg systolisch. Zur besseren Steuerung sind kurzwirksame Betablocker wie Esmolol oder (im englischsprachigen Bereich) Labetalol zu erwägen. Andere Vasodilatatoren können bei Bedarf ergänzt werden.

Wenn man sich das alles so anschaut, muss man leider sagen, dass der Patient aus meiner Vignette vom Anfang im Grund von vornherein keine Chance hatte. Als Grund- und Regelversorger waren wir für so ein Krankheitsbild nicht das geeignete Transportziel. Da er bei Eintreffen des Notarztes schon bewusstlos war, konnte man ihn auch nicht nach der typischen Schmerzsymptomatik fragen. Und ganz ehrlich: Wer misst bei jedem Patienten Blutdruck an beiden Armen?

Es bleibt ein schwer zu diagnostizierendes, seltenes Krankheitsbild, das man aber auf jeden Fall auf dem Schirm haben sollte. Trotz der vielen ACS-und Schlaganfall-Einsätze als Notarzt.

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

1 Kommentar

    • Hannes Graff auf 15. April 2024 bei 22:18
    • Antworten

    Wieder ein sehr gehaltvoller Beitrag, Danke dafür!

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