Pulsoxymetrie – Revisited!

 

Edit 01.03.: Besserwisserwissen Lungen-Vv.-privata-Drainage korrigiert. Danke für das Aufmerksame Lesen des Artikels 🙂

Bei der Durchsicht meiner bisherigen Artikel und auf der Suche nach neuen Themen bin ich erstaunt darüber gestolpert, dass bisher kein Artikel über die Pulsoxymetrie hier auf dem Blog gelandet ist.

Klar, es gibt mittlerweile sogar zwei Videos auf dem aktuell ruhenden Youtube-Kanal (z.B. hier https://www.youtube.com/watch?v=ryrXdyFYxcc), aber auf dem Blog bisher tatsächlich nicht. Und es gibt außer den üblichen Dingen noch ein paar Specials, um die ich mich hier auch kümmern möchte. Stichworte wären CO-Oxymetrie und auch die Messung der Atemfrequenz über das allseits bekannte „Croco“ – den Fingerclip.

Abriss der Geschichte

Die Messmethode wurde zuerst 1939 von Karl Matthes in Deutschland entwickelt[1]. Sie nutzte eine Ohrsonde mit rotem und infrarotem Licht. Im zweiten Weltkrieg ging die Entwicklung weiter und wurde so z.B. von Glenn Millikan genutzt, um Piloten ein Feedback über ihre Sauerstoffsättigung zu ermöglichen und so die O2-Versorgung zu steuern. Bewusstlos zu werden in einem Kampfflugzeug ist halt relativ tödlich.

Die frühen Entwicklungen konnten alle noch nicht zwischen arteriellem und venösem Blut unterscheiden. Übliche Messorte sind die Kapillarbetten in Fingern, Zehen, Nasenflügel, Nasenseptum, Ohrläppchen oder bei Kindern als Klebeelektroden auch die Handfläche oder die Füße. Überall fließt aber dummerweise natürlich auch venöses Blut entlang, das für eine arterielle Sättigungsmessung eher Ballast ist.

1972 entdeckte Takuo Aoyagi bei der Entwicklung eines nicht-invasiven HZV-Monitors, dass es eine pulsatile Variation in der Absorption des infraroten Lichts gab (=arterieller Puls!). Er filterte dieses „Artefakt“ aber nicht heraus, sondern machte es nützlich, um mit einem Algorithmus die arterielle Oxygenierung zu ermitteln. Im Vergleich dazu konnte vorher immer nur die Gewebeoxygenierung angegeben werden.

Die Pulsform ist ein Summensignal

Die Pulsform ist allerdings nicht allein auf die Arterien zurückzuführen. Auch das venöse und das autonome Nervensystem (Temperatur, Pharmakologie, Stress) spielen eine große Rolle in dem Summensignal, was wir als Pulsform angezeigt bekommen[2]. Es gibt tatsächlich Bestrebungen, auch die venöse Sättigung aus dieser Erkenntnis heraus bestimmen zu können mit demselben Verfahren, aber anderen Algorithmen[3].

Einen kleinen physikalischen Exkurs muss ich an dieser Stelle anbringen. Es wird immer das Lambert-Beer-Gesetz an dieser Stelle genannt, das eigentlich aus zwei einzelnen Gesetzen besteht.

Das Lambert-Gesetz besagt, dass die Lichtabsorption direkt proportional zu Länge des durchstrahlten Gewebes ist (je länger der Weg, desto mehr Absorption – Länge und Lambert fangen beide mit „L“ an – Eselsbrücke).

Das Beer-Gesetz besagt, dass die Lichtabsorption direkt proportional zur Konzentration ist: Je konzentrierter das Gewebe ist, desto weniger Licht kommt hinten noch an.

Das kann kombiniert werden und heißt dann:

A = e x l c

A: Absorption, wird gemessen

E: Extinktionskoeffizient des Gewebes

l: Länge des Lichtweges

c: Konzentration

Die Absorption wird gemessen, e und c sind im menschlichen Gewebe als konstant anzunehmen, sodass nur noch l übrig bleibt und man damit auf die Länge des zurückgelegten Lichtwegs schließen kann. Wie praktisch, dass wir nun nicht-invasiv nur über die Lichtabsorption die Querschnittslänge hinbekommen. Wenn nun ein Puls ankommt, verändert sich l natürlich geringfügig und über Mathematik® kann man dann tolle Kurven zaubern.

Kurvenform <> HZV?

Ein Einschub noch zum Einschub: Die Signale der Pulsoxymetrie sind in der Regel so stark verstärkt, dass vernünftige Aussagen über zum Beispiel ein Schlagvolumen (wie es bei der arteriellen Druckmessung möglich wäre) nicht möglich sind. Die Einflussfaktoren sind einfach zu mannigfaltig, um das schöne einfache Messverfahren auf solche fortgeschrittenen Aussagen ausweiten zu können. Es gab tatsächlich Studien zu dem Thema im herzchirurgischen Setting, die mit recht viel Aufwand betrieben wurden (gleichzeitige Messung an verschiedenen Orten, verrückte mathematische Algorithmen), aber letztlich sind die Studienergebnisse bisher eher als heterogen anzusehen.

Physik!

Die Messung der Sauerstoffsättigung findet in der Regel über zwei alternierende Wellenlängen statt, die bei 660 und 940nm liegen. Anhand der gemessenen Absorption kann eine Aussage über die Sättigung getätigt werden:

SpO2 = HbO2 / (HbO2 +Hb) x 100%

Eine arterielle Sättigung von 100% kann de facto übrigens nie erreicht werden, weil die venösen Vasa privata der Lunge in die eigentlich sauerstoffreichen Vv. pulmonales und nicht die Cava oder Azygos drainieren – Besserwisser-Wissen 😉.

Nun wird es aber tatsächlich praktischer: Wir wissen, dass es eine arterielle Druckvariation gibt, die atemsynchron ist. Das ist in der Tat schon lange bekannt, wurde von den Herstellern aber lange Zeit als „Artefakt“ herausgefiltert[66]. Die Masimo-Corporation war der erste Hersteller, der sich das zunutze machte und den Pleth-Variability-Index ermittelte über

PVI = PPmax – Ppmin / Durschnitt[PPmax, PPmin]

PP: Pulse Pressure, Amplitude des plethysmografisch gemessenen Pulses

Der PVI ist als analog zum PPV (Pulse Pressure Variation) zu sehen – mit der Einschränkung, dass hier auch venöse Informationen drinstecken, die über die rein arterielle Messung normalerweise nicht enthalten ist.

Im direkten Vergleich korrelieren PVI und PPV relativ schlecht (vermutlich aus o.g. Grund), aber die Flüssigkeitsresponsivität scheint trotzdem gut vorhergesagt werden zu können (bei Tidalvolumina >8ml/kg/min)[4].

Beyond Sauerstoffsättigung

Auch die Messung der Atemfrequenz wird über die o.g. Korrelation ermöglicht. Die ist nun hochgradig relevant: Vom qSOFA-Score über QS-Bögen der Pneumonie steckt sie überall in der Medizin und wird – Hand aufs Herz – nur selten wirklich ernsthaft von Hand bestimmt. Da kommt es doch zu Pass, dass das Pulsoxymeter diesen Wert einfach mitbestimmen kann (wenn man denn das Modul gekauft hat).

Es gibt auch Bestrebungen, den Blutdruck über einen speziellen Fingercuff und das Pulsoxymeter zu schätzen (Volume-Clamp-Technik). Der Cuff appliziert externen Druck, sodass das Volumen in der betrachteten Arterie möglichst gleich gehalten wird. Dafür wird der Druck im Cuff schrittweise erhöht und die Druckkurve analysiert. Bei der höchsten Amplitude wird der Feedbackpunkt gesetzt. Beispielhaft wären Geräte wie ClearSight™ oder Finapres™ genannt. Wobei ich die praktische Relevanz als überschaubar erachte. Von den genannten Geräten werden auch Schätzungen über das Schlagvolumen abgegeben, aber das halte ich für sportlich – denn die Studien sind auch hier so heterogen, dass man nicht von eindeutiger Evidenz sprechen kann (kommt drauf an, wen man so fragt, natürlich).

Auch die Messung von normalerweise nicht messbaren Hb-Spezies wird durch eine Vervielfältigung der IR-Wellenlängen ermöglicht, Stichwort Rainbow-Sensoren® (Masimo) und CO-Hb.

Abschluss

Zu dem Thema ist sicher noch lange nicht alles gesagt, aber wir haben gesehen, was noch alles in einem so unscheinbaren nicht-invasiven Messverfahren noch alles stecken kann. Wir sind bestimmt noch nicht am Ende und vielleicht schreibe ich noch mal einen Beitrag über weitere Fortschritte, wer weiß 😉

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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