Goiania und Strahlenunfälle

 

Mit ionisierender Strahlung wird gearbeitet in Kernkraftwerken, der Industrie, Forschung und Medizin – ansonsten noch beim Handling mit Kernwaffen. Insgesamt ist die Rate an Unfällen doch eher gering – von 1945 bis 2002 gab es laut Strahlenschutzkommission gerade einmal 352 „kleine Strahlenunfälle“.

Zunächst zur Definition nach SSK für einen Strahlenunfall per se:

  • >0,25 Sv Ganzkörperdosis
  • >6 Sv Haut, Extremitäten
  • >0,4 Sv andere Organe
  • Oder erhebliche Inkorporation, Kontamination, medizinische Unfälle

Es gibt auch noch eine andere Definition der StrlSchVO „Ereignisablauf, der für eine oder mehrere Personen eine effektive Dosis von mehr als 50mSv zur Folge haben kann“.

Klein und groß orientiert sich an der Anzahl der Betroffenen. Leider gibt es da keine klare Definition. Die IAEA spricht zum Beispiel bei mehr als 5 betroffenen Personen von einem großen Unfall.

Ab nach Goiania – oder doch lieber nicht?

Und dann gibt es den Strahleunfall von Goiania in Brasilien (Stadt dort). Er ereignete sich am 13.09.1987. Bei Einbruch in ein stillgelegtes Bestrahlungsinstitut (Instituto Goiano de Radiotherapia) wurde ein Bestrahlungsgerät mit noch aktiver Strahlungsquelle gestohlen.

Die diebischen Müllsammler hatten den Strahlenschutzbehälter für wertvolles Metall gehalten und deshalb in Einzelteile zerlegt und unter Bekannten aufgeteilt. Es entwich 93g hochradioaktives Caesiumchlorid, das in der Dunkelheit schwach blau leuchtete (das sorgte für leuchten Augen, sozusagen). Caesiumchlorid ist leicht wasserlöslich und haftet gut an Haut und Textilien.

Hunderte Menschen wurden kontaminiert, vier Personen starben sogar innerhalb weniger Wochen. Die Radioaktivität wurde über die ganze Stadt verteilt: 85 Häuser waren kontaminiert, 41 wurden evakuiert und 7 mussten abgerissen werden.

Bewertungsskala für nukleare Ereignisse

Aufgrund seines Ausmaßes wurde der Unfall von der IAEA (Internationale Atomenergiebehörde) auf Stufe 5 der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse INES eingestuft (ja, die gibt es wirklich).

  • 1 – Störung (Anomaly): Geringe Überschreitung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte; Strahlenexposition der Bevölkerung jenseits der Grenzwerte
  • 2 – Störfall (Incident): Strahlenexposition einer Einzelperson über 10mSv hinaus, oder Exposition einer beruflich strahlen-exponierten Person über die Jahresgrenzwerte
  • 3 – Ernster Störfall (Serious incident): Strahlenexposition >10x des gesetzlichen Grenzwertes für beruflich exponiertes Personal (>60mSv): nicht-tödliche deterministische Schäden
  • 4 – Unfall (Accident with local consequences): geringe Freisetzung radioaktiver Stoffe, mindestens 1 Todesfall durch Strahlenexposition
  • 5 – Ernster Unfall (Accident with wider consequences): begrenzte Freisetzung radioaktiver Stoffe, >3 Todesfälle durch Strahlenexposition
  • 6 – schwerer Unfall (Serious accident): bedeutende Freisetzung radioaktiver Stoffe, Todesfälle >30 durch Strahlenexposition
  • 7 – Katastrophaler Störfall (Major accident): erhebliche Freisetzung radioaktiver Stoffe mit weitreichenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt

Es leuchtete so schön blau

Im Beispiel von Goiania war Caesiumchlorid vor allem ein Betastrahler, durch Sekundärzerfall aber auch ein Gammastrahler mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren. Da kommt Freude auf.

Dadurch, dass gleichzeitig viele Bekannte auf wunderliche Weise mit unspezifischen Symptomen erkrankten, schöpfte die Frau des Schrotthändlers Verdacht und begab sich mit dem Behälter in ein Krankenhaus. Dort identifizierte der diensthabende Arzt diesen als mögliche Strahlungsquelle, initiierte eine Dosimetrie durch die Atomenergiebehörde und brachte dadurch die Nachverfolgung und alles weitere in Gang.

Aber welche Symptome bietet nun ein akutes Strahlensyndrom nach Unfall?

Das Strahlensyndrom

In der Prodromalphase dominieren transiente neurologische Symptome, Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, begleitet von unspezifischen gastrointestinalen Beschwerende wir Durchfällen, Hypotension, Cephalgien.

Es folgt eine latente Phase mit einem Symptom-freien Intervall, das von der Strahelndosis abhängt. Dosen <4 Gy bieten eine Latenz von 1-3 Wochen, bei Dosen übver 15 Gy kann sie auch nur ein paar Stunden andauern.

In der manifesten Erkrankung sind vor allem drei Organsysteme betroffen:

  • Hämatopoietisches Syndrom: Bei Dosen >2 Gy ist es das erste betroffene Organsystem mit vor allem einer Zerstörung von blutbildenden Zellen, vornehmlich Lymphozyten-Vorläuferzellen (Leukopenie); im Verlauf auch Panzytopenie, Immunsuppresion, Hämorrhagie
  • GI-Syndrom: Dosen >6 Gy führen zu einem Verlust intestinaler Mukosa mit Bauchschmerz, Flüssigkeitsshift, Enterokolitis
  • Neurovaskuläres Syndrom: Dosen > 12 Gy beinhalten persistente Hypotension, explosive blutige Diarrhoe, Übelkeit / Erbrechen; Krämpfe, Ataxie, Tremor

Die finale Phase des Strahlensyndroms kann die Erholung sein.

Was machen wir bei einem Strahlenunfall?

Was machen wir, wenn wir den Verdacht auf jemand mit einem Strahlenunfall haben?

Zunächst sollte der Krankenhausalarmplan dafür aktiviert und Strahlenexperten hinzugezogen werden. Dosimetrie für das Personal sollte zur Verfügung gestellt werden, um nachvollziehen zu können, wer wieviel Strahlung abbekommen hat.

Der Aufnahmebereich sollte möglichst aufgeräumt und leer von unnötigem Personal und Patienten sein (kontaminierte Bereiche vs. „saubere“ Bereiche). Dafür sollte es im Vorhinein eine Planung geben.

An Schutzausrüstung für das Personal sollten wasserdichte Kittel, Brillen, Handschuhe, Schuhüberzieher ausgeteilt werden. Mund-Nase-Schutz, besser FFP-Masken, sollten getragen werden wegen einer möglichen Kontamination der Luft.

Vom Personal zum Patienten. Eine Kontamination von Personal durch einen Patienten ist tatsächlich relativ unwahrscheinlich, besonders, wenn die Strahlenquelle vielleicht sogar inkorporiert wurde. Dennoch sollte man so vorsichtig wie möglich agieren.

Dekontamination – wie im Film!

Eine externe Dekontamination beginnt mit Entsorgung der Kleidung in Tüten (Markierung als radioaktiv ist wichtig!), Entfernen von offensichtlichen radioaktiven Schrapnellen, an die leicht heranzukommen ist. Eine gute Dokumentation ist dabei natürlich zur Nachverfolgung obligat. Die Haut sollte vorsichtig gereinigt und eventuelle Wunden entsprechend versorgt werden.

Labor und supportive Unterstützung

Ein Aufnahmelabor ist sinnvoll (Leukopenie, Entzündungszeichen?) zur Abschätzung der Strahlendosis. Zytogenetische Untersuchungen sind der Goldstandard für eine Biodosimetrie. Das kleine Blutbild mit Frage auf die Entwicklung der Leukozytenzahlen sollte alle 6 Stunden für die ersten 1-2 Tage wiederholt werden, um die Entwicklung nachvollziehen zu können.

Serum-Amylase und CRP sollten mitbestimmt werden, weil Dosisabhängige Anstiege nach 24 Stunden zu erwarten sind.

Das Management des Strahlensyndroms im weiteren Verlauf fokussiert sich vor allem auf die supportive Therapie des hämatopoietischen Systems (Leukopenie, Blutungsdiathese, Infektanfälligkeit, ggf. Transfusionen).

Ansonsten ist natürlich alles drin, was man auch sonst supportiv auf Intensivstationen so macht (supportiv metabolisch, ggf. infektiös-septisch, kreislaufunterstützend…)

 

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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