Sichere Sedierung – M. Jackson?

 

Man stelle sich vor, dass man ein international gefeierter Popstar wäre, der Arenen mit schreienden Fans befüllt und im Grunde einen Klassiker nach dem anderen produziert. Dummerweise kommt das zum Preis eines erheblichen Leistungsdrucks – innerlich wie äußerlich. Die Folge ist Insomnie – Schlaflosigkeit.

Und da wir hier auf einem Blog zum Thema Anästhesie sind, landen wir dann ganz schnell bei Schlafmitteln jeglicher Art. Am Anfang eine Pille, dann zwei, dann viele. Übliche verschreibungsfreie Schlaftabletten sind noch Vomex Dragees (Dimenhydrinat). Danach wird’s schon härter mit den Benzodiazepin-Derivaten wie Lorazepam oder den Cyclopyrrolonen. Klar, ich meine Zopiclon, Zolpidem etc.

Die machen alle wohlig warm in der Birne und lassen einen schön schlafen. Das Problem ist aber das Abhängigkeitspotential (wir erinnern uns ans erste Semester im Studium: Frage zum glatten Endoplasmatischen Retikulum, dass hypertrophiert als Folge eines Benzodiazepin-Abusus). Eine Abhängigkeit stellt sich sehr schnell ein, mitunter schon nach 2-3 Wochen Dauertherapie, sodass man die Dosis immer weiter steigern muss, um noch den gewünschten Effekt (Schlaf) zu erzielen.

Das ist übrigens auch der Grund, warum ich maximal gegen eine Sedierung „auf Schiene“ zur Beruhigung auf der Intensivstation bin – zumindest mit Tavor.

Gestatten: Propofol

Tja, und irgendwann, wenn man dann nur noch die Nächte durchmacht und die Leistungsfähigkeit natürlich auch darunter leidet, braucht man ja immer noch etwas Stärkeres. Enter: Propofol.

Aber wie kommt man als Nicht-Arzt an Propofol? Naja – mit Geld kauft man sich einen Arzt, der dann den Rest erledigt.

So geschehen bei Michael Jackson. Der Arzt, den er sich einstellte, war aber Kardiologe, Conrad Murray, der nur einen – hierzulande würde man „Propofol-Schein“ gemacht hatte. Und kein Anästhesist. Und wenn man sich die Gerichtsprotokolle anschaut wird man zumindest aus Anästhesisten-Sicht sehr erstaunt sein. Der Kollege war zwar sehr erfinderisch, aber man fragt sich, wofür.

Michael Jackson war offensichtlich von Benzodiazepinen abhängig. Ich fasse hier kurz die Gaben aus der Todesnacht zusammen:

  • 1:30 Uhr: 10mg Diazepam p.o. – kein Effekt
  • 2:00 Uhr: 2mg Lorazepam i.v. – kein Effekt
  • 3:00 Uhr: 2mg Midazolam i.v. – kein Effekt
  • 5:00 Uhr: 2mg Lorazepam i.v. – kein Effekt
  • 7:30 Uhr: 2mg Midazolam i.v. – kein Effekt
  • 10:50 Uhr: 25mg Propofol verdünnt mit Lidocain, dann Start einer Tropfinfusion Propofol, Effekt eingetreten

Im Prozess sagte Mister Murray aus, dass Jackson ihn stark unter Druck gesetzt habe (vgl: Sucht), und dass er ihm in den zwei Monaten vor seinem Tod jeden Tag Propofol verabreicht hatte. Auch auf Propofol kann sich die Leber einstellen, insofern ist das nicht verwunderlich.

Es wird nur wunderlicher

Verwunderlich indes ist die Konstruktion, mit der Murray die kontinuierliche Gabe von Propofol hergestellt hatte. Im Grunde hab ich es immer noch nicht richtig verstanden. Offensichtlich hat er einen NaCl-Infusionsbeutel entleert, geschlitzt, und darin eine übliche große Propofol-Flasche (die mit den Gummistopfen) positioniert, damit er sie aufhängen konnte. Erstaunlich deshalb, weil man vom Etikett einfach einen „Henkel“ abziehen kann. Oder alternativ kauft man sich für 5€ von Aliexpress einen üblichen Halter für Glasflaschen. Man wundert sich.

Was ebenfalls verwunderlich ist, ist die völlige Abwesenheit von Überwachung oder Notfallequipment. Es wird aber noch härter…

Mister Murray verließ den Raum um 11:18 Uhr zur Toilette und kehrte 2min später wieder zurück. Zu diesem Zeitpunkt atmete Jackson nicht mehr, aber hatte eine Herzfrequenz von 122/min (getastet in der Femoralarterie).

„Notfallmaßnahmen“ aus der Hölle

So, und jetzt werden alle schreien (inklusive mir): Mister Murray begann mit einer Reanimation, namentlich Thoraxkompressionen und ab und zu Mund-zu-Mund Beatmungen (obwohl offensichtlich vor allem ein Atemstillstand aufgrund der Überdosis vorlag).

Als dann kein Puls mehr tastbar war, brachte er Jacksons Beine in Schocklage und verabreichte Flumazenil, weil er eine Überdosis der Benzos vermutete.

Erst spät kam der Notruf, über Security-Männer vermittelt.

Unter Rea wurde Jackson ins Krankenhaus eingeliefert und dort schließlich für tot erklärt.

Und jetzt alle: Was war das bitte?! Wie hat dieser Kollege sein…?? Ich möchte es eigentlich nicht weiter ausführen. Aber. Drehen wirs doch noch mal auf links.

Noch mal von vorne…

Offensichtlich hatten wir hier einen maximal abhängigen Menschen vor uns, der über Benzodiazepine im Grunde nur noch müde gelächelt hat. Nur noch Propofol hat ihn platt gemacht. Und jetzt noch einmal: 25mg Propofol führen zu einem Atemstillstand? Ein naiver 50-Jahre alter normaler Patient bekommt vielleicht kurz mal einen müden Augenaufschlag bei so einer Dosis, geschweige denn einen Atemstillstand.

Tatsächlich wurden im Prozess die Abbauprodukte im Urin zurückgerechnet auf die Gesamtdosis, die doch eher in der Größenordnung von 2000mg lag. Das passt schon eher zu einer länger andauernden TIVA.

Offensichtlich lag bei dem ärztlichen Kollegen zumindest mal grobes Unwissen gegenüber der Wirkweise von Narkotika (Propofol!) vor.

Das Notfallmanagement war völlig insuffizient.

Notfallequipment – bitte was?

Ach und eins hatten wir noch gar nicht: Notfall-Equipment war im Grunde nicht vorhanden, und das Zeug, was da war, hätte in seinem Improvisationsgrad auch aus einer Crack-Küche stammen können. Ich mein ehrlich: Jackson hätte doch wohl etwas Geld übrig gehabt für einen Perfusor und ein Pulsoxymeter?

Stattdessen hatte er einen Arzt für viel Geld, der maximal fahrlässig gehandelt hat.

Während des Prozesses wurden von Prof. Steven Schafer (aktuell Stanford University) Fehler aufgezählt, die letztlich auf die Sicherheitsvorgaben der anästhesiologischen Fachgesellschaften abzielen. Alles der folgenden fehlte einfach vor Ort:

  • Kein einfaches Airway-Notfallequipment (Beatmungsbeutel, u.ä.)
  • Kein Fortgeschrittenes Airway-Notfallequipment (Airway-Devices etc.)
  • Keine Absaugung
  • Keine i.v.-Infusionspumpe
  • Keine Pulsoxymetrie mit Alarmierung
  • Keine Blutdruckmessung
  • Kein EKG
  • Keine Kapnographie
  • Keine Arzt-Patienten-Beziehung
  • Keine kontinuierliche Überwachung des Bewusstseins
  • Keine kontinuierliche Überwachung der Atmung
  • Keine kontinuierliche Überwachung von Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung
  • Kein direkter Notruf
  • Keine Dokumentation der Prozedur
  • Keine schriftliche Einwilligung des Patienten

Mindeststandards sind mindestens einzuhalten – auch und besonders im Schlafzimmer

Ich mein – ohne die ganzen aufgezählten Punkte würden wir im Krankenhaus niemals Sedierungen vornehmen, Stichwort „Basismonitoring“. Auch einfache Sedierungen z.B. in der Endoskopie erfordern diese Mindeststandards[3].

Hinzu kommt die strukturelle Komponente mit fehlendem Equipment, fehlenden Geräten und auch fehlender Kompetenz des durchführenden Arztes.

Zitat aus [3]:

Der Arzt, der die Sedierung durchführt und damit verantwortet, soll über spezifische Kenntnisse in der Anwendung von Sedativa einschließlich deren spezifischer Wirkungen und potenziell zu erwartender Nebenwirkungen verfügen. Er soll in der Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation sowie der Intubation und manuellen Beatmung geschult sein. Insbesondere im Zusammenhang mit den verwendeten Pharmaka zu erwartende unerwünschte Effekte wie Abfall der Sauerstoffsättigung oder Auftreten arterieller Hypotonien müssen sicher beherrscht werden können.

Conrad Murray wurde am 07.11.2011 wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen, auf vier Jahre Haft ohne Bewährung festgelegt. Seit dem 28. Oktober 2013 ist er wieder auf freiem Fuß (wegen guter Führung und überfüllter Gefängnisse)[4].

 

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.