Hypothermie, Wärme, Effekte, Rundumschlag

 

Edit 06.07.22: Ein paar Flüchtigkeitsfehler dank eines Kommentars korrigiert. Danke!

Eine Unterkühlung wirkt per se immer über eine Reduktion von chemischen und zellulären Prozessen. Das betrifft die Zellfunktionen und auch die chemischen Reaktionen. Normalerweise ist alles in unserem Körper auf eine Standardtemperatur von um die 37°C „genormt“. Abweichungen nach unten verlangsamen den Stoffwechsel, Abweichungen nach oben beschleunigen ihn.

Aber was gehört da jetzt alles dazu?

Gerinnung – Faktor 1

Zum einen die Blutgerinnung, vor allem in Form der humoralen Faktorengerinnung. Es werden im Rahmen der Kaskade nacheinander Enzyme aktiviert (das sind die Gerinnungsfaktoren im Grunde), die weitere Faktoren aktivieren und so weiter und so fort. Dafür benötigen sie als Cofaktor Calcium, aber eben auch exogen zugeführt Wärme als Energie. Außerdem liegt der optimale Arbeitsbereich von Enzymen Normothermie. Hypothermie verlangsamt also die Reaktionen im Rahmen der Blutgerinnung. Das ist schlecht, führt zu vermehrten Blutereien, letztlich erhöhtem Transfusionsbedarf und kann sogar Morbidität und Mortalität erhöhen.

Das kommt uns sicher auch schon aus der Leitlinie Polytrauma bekannt vor mit der „Letalen Trias“: Azidose, Hypothermie und folgend Koagulopathie. Leuchtet irgendwie ein, wenn man das o.g. in Verbindung bringt.

Erschwerend kommt hinzu – und da ist sie wieder –, dass die Sauerstoffbindungskurve nach links verschoben wird und damit die O2-Abgabe an die Gewebe erschwert.

Perioperatives Setting – Faktor 2

Aber auch im perioperativen Setting ist Hypothermie ein relevanter Risikofaktor für Komplikationen. Denn nicht nur das Bluten bedroht die Gesundheit unseres Patienten, sondern auch die Anfälligkeit für Infektionen. Auch Zellen des Immunsystems benötigen für ihren Stoffwechsel Wärme. Weniger Temperatur bedeutet auch weniger schlagkräftige Abwehrzellen. Eine erhöhte Wundinfektrate ist die Folge.

Weil eine Unterkühlung den Zellstoffwechsel reduziert, wird natürlich auch weniger Sauerstoff benötigt. Dieser ist direkt abhängig von der Aktivität der Zellen. Wenn nun aber ein Patient deutlich unterkühlt in der Narkose, so wird — erst mal gar nichts passieren. Die Narkotika unterdrücken jegliche physiologische Reaktion auf die Hypothermie. Wenn der Patient allerdings wieder aufwacht, so wird er das tun, was wir alle tun, wenn man uns ohne Unterhose in einen Kühlschrank stecken würde: Kältezittern, oder Shivering.

Der Körper versucht durch die starken Muskelkontraktionen endogen Wärme zu produzieren, was ihm dann auch mehr oder minder gelingt. Allerdings steigt der Sauerstoffbedarf dafür drastisch an, v.a. im Vergleich dazu, dass er vorher viel weniger Sauerstoff benötigt hat.

Patienten, die sowieso schlecht auf hypoxische Reize reagieren, weil sie vorgeschädigte Organe haben – allen voran das Herz mit seinen Koronarien – können im Rahmen dieses Shiverings Ischämien bis hin zu Infarkten erleiden. Es sollte also unter allen Umständen vermieden werden.

Zwei Möglichkeiten gibt es: Patienten sollten perioperativ konsequent gewärmt werden mit aktiven Systemen, wie Heißluftgebläsen oder gewärmten Infusionen, oder beidem parallel. Oder man verlängert die Narkose, erwärmt den Patienten langsam und holt ihn dann erst wieder zurück. Wobei die erste Möglichkeit natürlich die deutlich elegantere Variante ist.

Die physiologischen Vorgänge und die Konsequenzen für uns daraus sind eigentlich völlig logisch. Umso erschreckender, wie wenig konsequent eine Wärmung von Patienten in meiner Erfahrung durchgeführt wird. Das hängt in vielen Fällen auch einfach an den fehlenden technischen Möglichkeiten, die erst mal beschafft werden müssten.

Leitlinie Perioperative Hypothermie (Vermeidung)

Das Problem schlägt sich dann auch in der Leitlinie „Vermeidung perioperativer Hypothermie“[1] nieder, die gefühlt zu über der Hälfte mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen gefüllt ist. Seit wann muss ich finanziell begründen, warum ich den Patienten vor etwaigem Schaden bewahren will?

Ich kann nur an alle Kollegen appellieren, konsequent zu wärmen, Temperatur zu messen (korrekt möglichst zentral, pragmatisch z.B. mit einer ösophagealen Sonde) und im Zweifel Stunk bei ihrem Arbeitgeber zu machen, wenn keine Möglichkeiten einer vernünftigen Wärmung vorhanden sind.

Hypothermie – Glück im Unglück?

Direkt verbunden mit der geringeren Stoffwechselaktivität (~6-7% pro 1°C weniger, aber eher eine hyperbolische als eine lineare Abhängigkeit) allgemein und dem folgend geringeren Sauerstoffbedarf und -verbrauch sind aber zwei weitere Punkte:

Zum einen Patienten im Rahmen von Ertrinkungsunfällen. Meistens handelt es sich um ein „trockenes Ertrinken“, bei dem die Stimmritze schnell einen Krampf bekommt (v.a. im Salzwasser) und der Patient de facto erstickt, mit Hypoxie.

Dazu muss man wissen, dass ein Mensch im Wasser (bei normalen Schwimmbad- oder Meerestemperaturen) unglaublich schnell auskühlt. Diese Hypothermie reduziert seinen Sauerstoffbedarf durch einen reduzierten Metabolismus in einer Situation, wo er hypoxisch wird. Wie praktisch. Daher kommt auch das gute alte: „Nobody’s dead until warm and dead“.

Wir erinnern uns weiterhin, dass die Hypoxie auch noch eine reversible Ursache für eine Herz-Kreislaufstillstand ist. Die Sequenz ist ja bekanntermaßen: Hypoxie, Bradykardie, Asystolie. Wenn wir nun wieder Sauerstoff zuführen, haben wir eine gute Chance, auch wieder einen Kreislauf zu bekommen. Weiterhin auch noch ein gutes neurologisches Outcome, weil die Hypothermie zerebroprotektiv wirkt. Eine sehr sinnvolle Kombination. Jetzt muss man den Patienten nur noch früh genug finden. Aber eine initiale Asystolie – die sonst mit einem schlechten Outcome vergesellschaftet ist, ist kein Kriterium, frühzeitig aufzuhören.

DESAIC lässt grüßen

Übrigens ist ein Zeichen für eine tiefe Hypothermie(<32°C Kerntemperatur) die sogenannte Osborn-Welle (J-Welle), die sich bei Wiedererwärmung vollständig zurückbildet. (Bildbeispiel auf Doccheck-Flexikon). Das wird ganz gerne im DESAIC mal gefragt.

Bei solchen Unfällen sind Störungen von Blutgerinnung und Immunsystem natürlich erst mal zweitrangig. Sie können aber im Verlauf auf der Intensivstation doch noch eine Rolle spielen, wenn sich dann die Folge-Pneumonie entwickelt o.ä.

Bei sich langsam entwickelnder Hypothermie zentralisiert der Patient zuallererst. Das heißt, dass die Peripherie vasokonstringiert, um den Kern „Herz und Hirn“ warm zu halten. In solch einer Situation den Patienten wild zu bewegen, kann zu einer schlagartigen Verschiebung des kalten peripheren Blutes in die Zentrale und damit einem reflektorischen Herzstillstand führen (=“Bergetod“). Also Vorsicht.

Kühlung nach Reanimation?

Apropos Herzstillstand und Reanimation. Die automatisch Kühlung von Patienten post reanimationem ist in den neuesten Guidelines nicht mehr standardmäßig empfohlen (trotz der oben dargestellten Überlegungen und Zusammenhänge) “ In patients who remain comatose after cardiac arrest, we recommend continuous monitoring of core temperature and actively preventing fever (defined as a temperature > 37.7 °C) for at least 72 h.“ Solche Patienten entwickeln ja leider häufig eine recht schwer zu kontrollierende Hyperpyrexie, die definitiv schädlich für das Hirn ist. Wie so häufig ind er Anästhesie gilt auch hier – Stand heute -, dass der „Normalzustand Normothermie“ am günstigsten für den Menschen ist.

Ihr habt gesehen, dass zum Thema Temperatur viel erzählt werden kann, von routinemäßigen perioperativen Settings bis hinzu Notfall- und Intensivmedizin. Natürlich kann ich nicht alles in einen Artikel packen, aber ich hoffe, ich konnte euch einen guten Überblick bzw. Refresher geben. Gerne dürft ihr auch in den Kommentaren ergänzen, wenn ihr wollt.

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

4 Kommentare

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  1. Hallo Roman,

    wie immer ein super Artikel… Nach meinem Dafürhalten muss JEDER/JEDE Patient/in gewärmt werden… Dazu heißt es in der Leitlinie:

    Kernelemente der operativen Phase
    ▪ Aktive Wärmung für alle Patienten mit erwarteter OP-Dauer > 30 Minuten

    Da meist der Operateur/in schon 20 Minuten auf sich warten lässt… sind die 30 Minuten schnell erreicht!

    Die Maßnahme kostet wenig, ist effektiv und trägt viel zum Wohlempfinden der Patienten/innen bei 🙂 Dann noch ein Wassereis im Aufwachraum und der Patient/in ist glücklich 🙂

  2. „ein Wassereis im Aufwachraum“ — das merke ich mir 😀 !

    Danke für deinen Kommentar 🙂

  3. Hallo Roman,

    Vielen Dank für den schönen Beitrag. Wie immer super zusammengefasst! An zwei Stellen sind Hypoxie und Hypothermie durcheinander geraten („weil die Hypoxie zerebroprotektiv wirkt“ und „ Zeichen für eine tiefe Hypoxie (<32°C Kerntemperatur)“) aber das war wahrscheinlich nur ein Test ob wir auch alle gut zu hören.

    Viele Grüße
    Antony

  4. „weil die Hypoxie zerebroprotektiv wirkt“ – das wäre neu, nicht wahr ;P ? Danke fürs Aufpassen 🙂 !

    Ich geh dann mal korrigieren und verschwinde dann ganz schnell …. 😉

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