Dermatologische Notfälle – Das Lyell-Syndrom

 

Heute berichte ich über einen dermatologischen Notfall, der häufig wohl eher allgemeinchirurgisch / intensivmedizinisch betreut wird. Im Kern betrifft das aber die Dermatologie. Und das Gerücht, es gäbe keine Notfälle in diesem Fachgebiet, ist auf jeden Fall unwahr. So viel erst mal zu Beginn 😉

Warum ausgerechnet Lyell-Syndrom? Immer diese schrecklichen Eponyme (z.B. Schmitt-Lautermann-Kerben, OP nach Blalock-Taussig oder Wertheim-Meigs, aber Dreierkombinationen gibt es auch – wir können gerne in den Kommentaren sammeln J ).

Nun, Herr Alan Lyell, Baujahr 1917, war ein schottischer Hautarzt, der 1956 zuerst die sogenannte Toxische Epidermale Nekrolyse, TEN, beschrieb. Das wäre dann auch die normale medizinische Beschreibung dieser Erkrankung ohne Eponym.

dermis.net schreibt zur Definition:

„Das Lyell-Syndrom ist eine akute, lebensbedrohliche, blasenbildende Hauterkrankung aufgrund Keratinozyten-Apoptose, bei der ausgedehnte Hautnekrosen von systemischen Komplikationen begleitet werden.“

Quelle: dermis.net

Klassifkationen, Risikofaktoren

Wie so häufig kann man die TEN weiter klassifizieren. In diesem Fall geht das nach der Ursache bzw. Ätiologie:

  • dTEN, Drug-associated TEN
  • STEN, „staphylogenes Lyell Syndrom“, und jetzt kommt’s, auch bekannt als Dermatitis exfoliativa Ritter von Rittershein. Ich liebe diese Namen J Alternativ geht auch SSSS: Staphylococcal skaleded skin syndrome

Die häufigere Form ist aber die dTEN, ausgelöst durch eine ganze Reihe von Medikamenten. Laut der EUROscar Studie [1] sind aber v.a. folgende Mittelchen besonders gefährlich:

  • Allopurinol, >200mg/d (OR 18!)
  • Carbamazepin (aOR 72)
  • Cotrimoxazol (uaOR 102)
  • Phenobarbital (aOR 16)
  • Phenytoin (aOR 17)

Bevor wir weiter einsteigen muss die Erkrankung noch weiter eingekreist werden. Die Erkrankung hat ein Spektrum ihrer Schwere; und je nach Schweregrad, d.h. betroffene Körperoberfläche in %, wird es in der klinischen Sprache anders benannt:

  • 0-10%: Stevens-Johnson-Syndrom, SJS
  • 10-30%: Überlappung von SJS und TEN
  • >30%: TEN

Quelle: Downey et al.[2]

Insgesamt selten, bei HIV-positiven Patienten deutlich häufiger

Die Epidemiologie ist tatsächlich ganz interessant an dieser Stelle. Insgesamt auf die Bevölkerung gesehen, ist die Erkrankung sehr selten mit einer Inzidenz von 0,4-1,3 Fällen / 1.000.000 / Jahr (Quelle Abood et al.[3])

Aber bei HIV-positiven Patienten liegt die Inzidenz deutlich höher! Hier liegt sie bei etwa 1/1000/Jahr![4]

Das Verhältnis Frauen zu Männer liegt bei 1,5:1 und die Mortalität recht hoch mit bis zu 30% [5].

Pathophysiologie über Fas-Liganden

Pathophysiologisch kommt es zu einer Fas-Liganden Reaktion. CD95+ Fas-Rezeptoren werden auch als Apoptosis Antigen 1, APO-1 bezeichnet. Ihr merkt schon, wo die Reise hier hin geht. Scheinbar sind Keratinozyten dafür verantwortlich, diese aktivierenden Liganden freizusetzen; damit führen sie zu einem Zell-Selbstmord. Ein bisschen übertrieben, findet ihr nicht auch 😉 ?

Aus der Pathophysiologie ergibt sich dann auch der Therapieansatz, über i.v.-Immunglobuline die diese Liganden blockieren

Das Hauptproblem der Dermatolyse ist, dass es natürlich zu bakteriellen Superinfektionen der offenen Hautstellen kommen kann, mit Wundinfektionen und Sepsis als möglichen Komplikationen. In dem Rahmen können auch ARDS, Lungenembolien und der ganze Strauß an Intensivkomplikationen auftreten.

Außerdem können durch Schleimhautbeteiligungen der Epidermolyse eine nekrotisierende Tracheobronchitis, Bronchopneumonie, Ösophagitis und / oder Tubulusnekrose mit Nierenversagen auftreten.

Prognosescore: SCORTEN

Für die Prognoseabschätzung gibt es natürlich, wie immer einen Score, den SCORTEN [6]. Es gibt 1 Punkt für jedes Item:

  • Alter > 40 Jahre
  • HF > 120/min
  • Tumorleiden oder Blutbildungsstörung
  • Betroffene Körperoberfläche an Tag 1 > 10%
  • S-Harnstoff > 10mmol/L
  • S-Bikabonat < 20mmol/L
  • Glukose > 14mmol/L

Mortalitätsraten: 0-1 Pkt.: 3,2%, 2 Pkt.: 12,1%, 3 Pkt.: 35,3%, 4 Pkt.: 58,3%, >=5 Pkt.: 90%

Die Klinik beginnt mit einer Prodromalphase von 48-72 Stunden, mit schwersten Allgemeinsymtpomen wie Fieber, Grippegefühl, Kopfschmerzen, Myalgien und einer Schmerzhaftigkeit von Haut und Schleimhäuten.

Danach bricht die TEN aus, mit einer definitionsgemäßen Beteiligung von über 30% Körperoberfläche. „Schießscheibenartige Läsionen“ mit dunkelrotem Zentrum und hellrotem Halo, sowie eine beginnende Ablösung von Nägeln und Haaren folgen. Die Schleimhäute sind ebenfalls betroffen. Ein totaler Epidermisverlust in unter 24 Stunden ist nicht selten [4]!

Diagnostik:

  • Nikolski-Phänomen positiv (seitlicher Druck schiebt die Epidermis ab)
  • Tzanck-Test
  • Histologie als Diagnostikum der Wahl: Dermoepitheliale Spaltbildung, Keratinozyten-Apoptose, dermale Lymphozyten-Infiltration

Therapie: Intensivstandard mit kleinen Ausnahmen

Die Therapie ist leider relativ „konventionell“. Zwei wichtige Maßnahmen erhöhen das Überleben der Patienten aber signifikant:

  • Absetzen des auslösenden Medikaments (na klar)
  • Verlegung auf eine Burn Unit: Das ganze Wundmanagement ist im Prinzip wie eine große Verbrennung zu behandeln

Gerade die ausgedehnten Wundbefunde machen die Behandlung dieses Krankheitsbildes speziell. Die restlichen Maßnahmen sind – wie leider häufig – supportiver Natur: Volumentherapie, Elektrolye, Ernährung, Schmerzmanagement.

Was ist mit Kortisol?

Jetzt kommt ihr bestimmt auf die Idee: Dermatologischer Notfall? Kortisol! Aber: Bitte nicht! Die Studienlage ist „eindeutig mehrdeutig“. Bitte sowieso in so einem Fall Rücksprache mit einer Dermatologie halten. Einfach Kortisol geben ist definitiv nicht der Weg!

Zusammenfassung

Wie oben schon beschrieben, können i.v.-Immunglobuline eine positive Wirkung entfalten. Aber auch hier sollte man sich von Spezialisten beraten lassen über die Auswahl und Dosierung. Im Zweifel halt den Patienten in so eine Abteilung auch verlegen.

Das Wundmanagement sollte eng mit entsprechenden Managern abgestimmt werden, weil die Infektgefahr und die Wundheilung doch sehr schwierig sein wird.

Und noch ein Bulletpoint aus der Epidemiologie oben: Die TEN ist zwar insgesamt recht selten, aber bei HIV-positiven Patienten recht häufig. Gerade bei diesen Patienten vielleicht mal in die Liste von auslösenden Mitteln gucken (Allopurinol…).

Andersherum geht’s natürlich auch: Ihr habt einen Patienten mit TEN – dann wäre zu überlegen, bei unklarem Status einen HIV-Test durchzuführen (und Einwilligung des Patienten). Die Wahrscheinlichkeit etwas zu finden, ist auf jeden Fall nicht gering.

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.