Torsade de pointes – perioperativ

 

 

Da macht man nichtsahnend Narkose bei einer nahezu gesunden Dame mittleren Alters, und dann das:

Upsi.

Sehr überraschend. OP: Humerus-Osteosynthese nach Stolpersturz. Vorerkrankungen Z.n. TVT vor einem Monat, ansonsten noch so Dinge wie Hypertonie, Hypothyreose. Blandes Labor. 12 Sekunden des Schreckens:

Alles nur ein Artefakt?

Damit rechnet man nicht. Puls ist über das Pulsoxymeter sowieso die ganze Zeit über schon schwer abzuleiten gewesen; in dieser Situation dann gar nicht mehr. Im ersten Moment dachte ich noch, dass das ein Artefakt sei, weil der Chirurg in dieser Situation just mit seinem Hämmerchen einen Nagel reingedroschen hatte. Dann hörte er aber auf, und das EKG blieb immer noch so. Kreislaufstillstand, Reanimation?

In dem Moment, in dem ich dem Chirurgen mitteilte, dass wir jetzt reanimieren müssen, terminierte sich die Rhythmusstörung. Nach 12 langen Sekunden. Was zum Teufel?

Die oben gezeigten Bilder hab ich natürlich erst nachträglich aus dem Bildspeicher geholt, damit man mir auch glaubt, was ich da gerade erlebt habe. Es wird wohl eine Spitzenumkehrtachykardie, eine Torsade de pointes gewesen sein. Sehr ungewöhnlich, dass sie völlig ohne Vorwarnung auftritt. Grund genug für mich, zu einem Rundumschlag zu dem Them auszuholen.

History of Torsades

Die Torsade de pointes wurde zuerst 1966 in einem Case Report von Dessertenne[1] erwähnt. Es handelt sich um ein Kammerflattern vom Spitzenumkehrtyp, eine polymorphe ventrikuläre Tachykardie. Häufig terminiert sie sich nach einigen Sekunden wieder, manchmal degeneriert sie aber auch in ein echtes Kammerflimmern.

Der Hauptrisikofaktor für eine Entstehung ist die Verlängerung der QTc-Zeit, also der frequenzkorrigierten QT-Zeit. Das geht zum Beispiel mit der Bazett-Formel:

QTc = QT(sec)/sqrt(RRsec)

Ein erhöhtes Risiko besteht bei Zeiten über 440ms.

Ursachenforschung

Zwei große Ätiologien stehen zur Auswahl:

  • angeborene genetische Vorbelastungen, wie ein Roman-Ward-, Lange-Nielsen-Syndrom
  • iatrogene QT-Verlängerung durch begünstigende Medikamente
  • (und das sporadische Long-QT-Syndrom ohne familiäre Vorbelastung)

Bei den angeborenen Ursachen geht es vor allem um Mutationen an den Ionenkanälen des Myokards. Das führt zu einer verlängerten Repolarisationsphase. Wer ganz tief einsteigen will, kann sich die entsprechende Literatur sicher über Pubmed beziehen, aber ich bin ja hier Anästhesist und kein Molekularbiologe.

Medikamentös ausgelöste QT-Verlängerungen können bei einer Reihe von Mitteln auftreten. Wir erinnern uns an das hervorragende Haloperidol, dass deswegen auch einen Rote Hand Brief hat und eine sehr strikte Indikationsstellung. Antiarrhythmika der Klasse Ia und III (Amiodaron!), sowie Antipsychotika wie SSRI, trizyklische Antidepressiva, Makrolide und Fluorochinolone können die QT-Zeit ebenfalls verlängern.

Aber um es kurz zu machen: Diese Patientin nahm keines der o.g. Medikamente zu sich. Sie hatte auch keine genetische Vorbelastung bekannt. Laut Herold’s Innerer Medizin hätte sich das auch schon im Kindesalter manifestiert mit Synkopen bis zum Kreislaufstillstand auf körperliche Belastung und Stress.

Neben Genetik und Medikamenten können auch Elektrolyt-Imbalancen für diese Rhythmusstörung begünstigend wirken: Hypomagnesiämie und Hypokaliämie.

Aber auch das war im vorliegenden Fall nicht zu finden (ich kontrolliere nämlich die Labore, bevor ich  die Narkose einleite).

Perioperative Torsaden wurden mehrfach beschrieben

Und dann stieß ich auf ein Review, das eine Reihe von perioperativen Torsaden als Fallberichte analysierte[2]. Offensichtlich gab es bis 2013 genau 43 publizierte Fallberichte, in denen Torsaden perioperativ auftraten. Es scheint dabei durchaus auch einen Zusammenhang zu Narkosemitteln zu geben, in Abwesenheit anderer Faktoren.

Offensichtlich ist Sevofluran in ein paar Fällen schon mal mit diesem Phänomen in Verbindung gebracht worden[2], weil es – Überraschung – zu einer QT-Verlängerung führen kann; ebenso wie perioperative Antibiotika (s.o.) oder Ondansetron gegen PONV.

Sevofluran hatte meine Patientin zur Aufrechterhaltung der Narkose erhalten. Alle anderen Auslöser waren quasi nicht-existent (s.o.) Es fehlt an dieser Stelle natürlich die statistische Power; aber in Abwesenheit anderer Auslöser (Genetik, typische medikamentöse Auslöser), könnte es tatsächlich die Narkose mit ihrem Medikamentencocktail gewesen sein.

Therapie der Torsade

In meinem Fall terminierte die Torsade zum Glück spontan, wenn auch erst nach 12 Sekunden. Die übliche Therapie möchte ich hier dennoch kurz darstellen:

  • 2g Magnesium als Kurzinfusion über 20min; anschließend ggf. 2-20g/h bei Bedarf; das findet man tatsächlich in fast jedem Lehrbuch und der ERC-Leitlinie zur tachykarden Rhythmusstörung wieder
  • Elektrokardioversion bei länger anhaltender Torsade / Defibrillation bei Kammerflimmern
  • Overdrive-Pacing kann auch erfolgreich sein (wenn man es denn schon mal gemacht hat)
  • Vermeidung von QT-Zeit verlängernden Medikamenten und Medikamenten, die zu Hypokaliämie führen können
  • Ausgleich von etwaigen Elektrolyt-Imbalancen
  • Prophylaktische Therapie mit ICD, außerdem die Gabe von Betablockern ohne ISA und Magnesium oral

Für detaillierte Einzelfallentscheidungen verweise ich an dieser Stelle auf den Kardiologen eures Vertrauens.

Zusammenfassung und Interpretation

Postoperativ wurde sie zur weiteren Therapie auf die Überwachungsstation aufgenommen und dort kardiologisch auf den Kopf gestellt. Auch in der Coro konnte man keine wirklichen strukturellen Auslöser finden. Somit ist eine iatrogene Verursachung durch die Narkose zumindest recht wahrscheinlich. Wenn man den angeblichen Stolpersturz noch mit einbezieht, könnte es natürlich sein, dass sie das Phänomen schon vorher ausgebrütet hatte, und es sich nur in der Narkose das erste Mal wirklich dargestellt hat. Gerade, wo eine Torsade auch „einfach nur“ (zumindest zunächst) Schwindel machen kann. Das reicht ja schon zum Stolpern aus. Oder es ist eine sporadische Form; das wäre die unbefriedingste „Ursache“.

Aber da sieht man mal wieder, dass man auch bei vermeintlichen Routine-Narkosen aufpassen muss wie ein Luchs. In diesem Sinne: Bleibt sauber und sicher 🙂 !

 

Quellen:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

2 Kommentare

  1. Hallo, danke für die guten Artikel (lese gerade in der Arbeit vor meiner EDAIC-Prüfung).
    Wollte nur sichergehen bei der Therapie mit Mg++ -> 2-20g/min? Echt? Oder eher pro Stunde? :O

    LG, Petra

  2. Hi! Danke für den aufmerksamen Kommentar. Da ist mir ein Fehler unterlaufen, den ich sofort korrigiere.

    Allein 2g/min wäre schon ziemlich heftig (Flush, RR-Abfälle etc.)… deshalb … my bad. Sorry 🙂

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