Köpfchen unter Wasser, …: der Taucherreflex

 

Im letzten Beitrag haben wir uns um Kaltwasserunfälle, speziell mit Kopf über dem Wasser, gekümmert. Allein durch den Wasserdruck, die Position und den Temperaturverlust werden einige (Patho)physiologische Vorgänge in Bewegung gesetzt. Daraus kann die 1-10-1 Regel und die HELP-Position abgeleitet werden.

Wir müssen zunächst zwei Begriffe klären:

  • Immersion bedeutet, den Körper in ein wässriges Medium zu geben
  • Submersion bedeutet, dass Gesicht und Atemwege mit wässrigem Medium bedeckt sind. Es reicht aus, bäuchlings auf der Wasseroberfläche zu treiben!

Heute kümmern wir uns um die Prozesse, die bei Submersion passieren. Das erste, was einem in den Sinn kommt, ist das Ertrinken (natürlich). Wasser ist ein feindliches Medium, in dem wir nicht überleben können ohne Hilfsmittel (Stichwort: Gerätetaucher). Aber tatsächlich können arrhythmogene Effekte bereits ausgelöst werden, wenn bloß das Gesicht in eine Schüssel voll Eiswasser gehalten wird (s. Video anbei), durch eine, wie könnte es anders sein, vagale Aktivierung.

Es handelt sich dabei um den sogenannten Taucher-Reflex (Diver’s Response). Er ist charakterisiert durch

  • Luftanhalten
  • Verminderte Herzfrequenz bis Bradykardie
  • Erhöhter peripherer Widerstand, um zentrale Kompartimente (Herz, Hirn) adäquat perfundiert zu halten

Das oberste Ziel ist die Lebenserhaltung durch Sauerstoffeinsparung in einer Situation, wo es keinen Sauerstoff aus der Umgebung gibt (ohne Rettung aus der Situation).

Ziel ist die Lebenserhaltung

Die Blutumverteilung kann Sauerstoff einsparen, weil er vor allem nur noch den vitalen Organen angeboten und von diesen genutzt wird. Die Bradykardie spart ebenfalls Sauerstoff ein (weniger Herzarbeit = weniger O2-Bedarf, das kennen wir zum Beispiel auch bei herzvorerkrankten Patienten, die betablockieren zu genau diesem Zweck).

Bei Kleinkindern führt eine Aktivierung des Reflexes, bei erhaltener Atmung, allein durch kaltes Wasser im Gesicht zu einer sehr ausgeprägten vagalen Reaktion. Mit zunehmendem Alter nimmt die Reaktionsintensität ab und kann bei Erwachsenen nur noch ausgelöst werden, wenn sie gleichzeitig die Luft anhalten.

Der Reflex beginnt mit der Triggerung peripherer Rezeptoren, vor allem im paranasalen Schleimhautbereich, um den Nervensystem zu sagen: Achtung – Submersion![9] Der Nerv, der sensibel dafür verantwortlich gemacht wird, ist der N. ethmoidalis anterior aus dem N. trigeminus (Ast I und II). Er enthält Mechano- und Chemorezeptoren-Anteile. (Eine Dissektino dieses Nerven führt tatsächlich tierexperimentell zu einer Unterdrückung des Taucherreflexes). Hier haben wir also den afferenten Teil des Reflexbogens. Die Efferenzen übernimmt wie oben beschrieben der N. vagus.

Weitere Pathways sind involviert

Dies ist aber nicht der einzige Pathway, der aktiviert wird. Auch Chemorezeptoren in der Carotis und Aorta werden aktiviert, weil sich durch das Tauchen der Partialdruck des Sauerstoffs in den Lungen verändert. Wenn der Sauerstoffgehalt unter einen Grenzwert fällt, wird dies an den Hirnstamm gemeldet (N. glosspharyngeus), der über eine Vielzahl von sympathischen Fasern eine periphere Vasokonstriktion auslöst, um eine Zentralisation auszulösen und Sauerstoff auf diese Weise zu sparen.

Ein überaktiver Tauchreflex wird von manchen Autoren als Mechanismus für das SIDS (plötzlichen Kindstod) diskutiert. Es gibt dafür aber nicht genügend belastbare Evidenz. Wie man SIDS an sich vermeidet, immerhin schon, deshalb ein Einschub an dieser Stelle zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Tatsächlich wurde der Tauchreflex auch schon genutzt, um paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien zu unterbinden. Eine Schüssel mit kaltem Wasser hat man wohl selten in der Notaufnahme oder dem RTW dabei, aber es genügt schon, das Gesicht des Patienten einem kalten Stimulus auszusetzen. Wie man das genau im klinischen Alltag einbinden kann (welches Protokoll oder welche Methode), bleibt unklar und muss weiter erforscht werden[1].

Quelle: BICO – Baby it’s Cold out there; bicosurvive.com

Techniken der Vagus-Aktivierung

Habt ihr dafür eventuell ein paar Tipps? Ich habe in Google nur folgendes gefunden, was man dem Patienten ins Gesicht geben kann (und dabei muss er die Luft anhalten, Durchführung nach ACLS mindestes 10 Sekunden lang):

  • Nasskaltes Handtuch aus dem Kühlschrank
  • Tüte mit Eiswasser

Tatsächlich genutzt habe ich so ein Manöver aber noch nicht. Eher das übliche Valsava mit „Pressen Sie mal wie auf der Toilette!“ oder „Pusten Sie mal diese Spritze hier auf“. Carotismassage habe ich auch schon mal erfolgreich zur Durchbrechung einer AVRT genutzt (Fallbericht). Life in the fast lane hat auch noch einen schönen Beitrag zur Physiologie des Valsalva-Manövers, wenn ihr da noch in die Tiefe gehen wollt.

 

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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