Mysteriöse Muskelschmerzen…

 

Im Bekanntenkreis ist mir ein interessanter Fall untergekommen, den ich mit euch teilen möchte. Deshalb verrate ich euch nicht sofort, um welches Krankheitsbild sich dieser Beitrag dreht. Dafür müsst ihr schon dran bleiben 😉

Es präsentiert sich ein kräftiger Mann Mitte 60, Vorarbeiter auf dem Bau. Hauptbeschwerden sind Muskelkrämpfe in den Händen und Füßen, aber auch ab und zu den körperstammnahen Muskeln, sowie Schmerzen dort.

Weiterhin fällt euch auf, dass er recht krank aussieht. Fahles Hautkolorit und aufgedunsener Aspekt im Sinne eines fraglichen generalisierten Ödems. Er berichtet darüber hinaus über eine starke Müdigkeit, die sich im Lauf des letzten Jahres immer mehr manifestiert hatte. Arbeiten auf dem Bau sei so nicht mehr möglich.

Wir fassen zusammen: Vorher gesunder, nun recht stark beeinträchtigter Mann mit den Leitsymptomen Muskelkrämpfe/-schmerzen und starke Müdigkeit.

Und, habt ihr schon eine Idee?

Erst mal das Labor bestimmen…

Im orientierenden Labor fallen eine CK von 1800U/L auf, sowie ein gering angestiegenes Kreatinin mit 1,56mg/dL. Der –MB-Anteil ist vernachlässigbar. In der Spezialdiagnostik, die ihr selbstverständlich angefordert habt als verantwortungsvoller Hausarzt, fallen weitere Werte auf:

fT3 von 0,03ng/L und TSH von 150mU/L!

Folglich hat der Patient eine massive, manifeste Hypothyreose. Aber wie kommt er an diese? Wir müssen weiter recherchieren. Eventuell liegt dem ja etwas Malignes zugrunde?

In der Sonografie zeigt sich eine diffuse Echoarmut, aber keine Rundherde oder ähnliches. Wir gehen deshalb von einer Autoimmunerkrankung aus: Hashimoto-Thyreoidits!

Bei dieser liegen Autoantikörper und eine T-Zellantwort gegen die eigene Schilddrüse vor. Das führt zu einer sekundären Hypothyreose. Manchmal kann das initial sogar zu einer Überfunktion mit entsprechenden Symptomen führen, aber im betrachteten Fall wurde das nicht beschrieben.

Zum spezifischen Nachweis fordern wir deshalb weitere Werte nach: TPO-Ak (=Thyreoperoxidase-Antikörper) und Thyreoglobulin-Antikörper, die in 90 respektive 70% der Fälle bei Hashimoto nachweisbar sind. Auch in diesem Fall. Yes!

Diagnose: Hypothyreose

Soweit, so gut. Die Müdigkeit, das teigige Gesicht (Myxödem, nicht eindrückbar) und die Hautfarbe lassen sich damit erklären. Aber bei schweren Fällen (das Fallbeispiel entspricht einer Hypothyreose Grad 3 = höchste Klasse), kann es auch zu einer Rhabdomyolyse kommen. Wir erinnern uns: Zu viel CK ist nicht gut für die Nieren, sodass auch an dieser Stelle das erhöhte Kreatinin als Folge zu erklären ist („Crush-Syndrom“).

Zur Referenz noch mal die Grade einer Hypothyreose anhand des TSH:

  • Grad 1: TSH 2,6-4,0mU/L
  • Grad 2: TSH 4,1-10mU/L
  • Grad 3: TSH >10mU/L

Die CK und das Myoglobin wirken vermutlich toxisch auf die Nierentubuluszellen und führen überdies zur Bildung intratubulärer Zylinder, die die Nierenkanälchen obstruieren. Im Harn ist Myoglobin nachweisbar.

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen des Menschen und die häufigste Ursache für eine Schilddrüsenunterfunktion.

Die Diagnose wird über Klinik und Labor gestellt. Flankierende Maßnahmen wie Sonografie, Szintigrafie, Feinnadelpunktionen können aber in manchen Fällen zur Differentialdiagnose und Abgrenzung zu weiteren Krankheitsbildern sinnvoll sein.

Assoziierte Erkrankungen sind Diabetes mellitus Typ 1, Zöliakie und Hypoparathyreoidismus im Rahmen sogenannter polyendokriner Autoimmunerkrankungen.

Therapie – was machen wir nun?

Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung. Stattdessen wird lebenslang Thyroxin (T4) substituiert. In der Anfangsphase wird es langsam aufdosiert, bis das TSH im Normbereich liegt (es fällt im Rahmen der Substitution langsam ab). Die übliche Zeit dafür liegt bei 6-8 Wochen. Außerdem muss das TSH im Anschluss lebenslang regelmäßig kontrolliert werden, um Entgleisungen frühzeitig entgegenwirken zu können.

Das Myxödemkoma als Maximalform ist ein intensivmedizinischer Notfall. Es entsteht auf Basis einer manifesten Hypothyreose und einem exogenen Trigger wie Infektion, Operation, Traumata etc. (also im Grunde die „Rolle rückwärts“ zur thyreotoxischen Krise). Patienten präsentieren sich mit Hypoventilation, CO2-Retinierung und –Narkose, Bradykardie und Hypotonie, Hypoglykämie. Die Temperatur liegt üblicherweise unter 35,5°C, manchmal ist sie auch gar nicht rektal messbar!

CAVE: Infektionszeichen können durch die Hypotonie / Bradykardie verschleiert werden. Tintinalli’s Emergency Medicine empfiehlt sogar, dass bei Patienten im Myxödemkoma mit Normothermie eine Infektion primär als Ursache angenommen werden sollte!

Die Therapie an dieser Stelle findet anfangs anhand des allseits bekannten ABCDE-Schemas statt. Das heißt: Atemwege sichern, Kreislauf unterstützen und so weiter. Spezielle Ansätze und Supportiva sind Glukokortikoid-Gaben (100-200mg Hydrocortison), Glukose und Ausgleich von Elektrolytimbalancen.

Thyroxin wird in so einem Fall intravenös ersetzt, was aber unter kontinuierlichem Monitoring stattfinden sollte, weil es auf diesem Applikationsweg und zu schneller Gabe Rhythmusstörungen und kardiale Ischämien verursachen kann. An dieser Stelle verweise ich auf entsprechende Schemata in den Kliniken. Wenn ein Patient sehr ausgekühlt ist, muss er eventuell langsam wiedererwärmt werden.

Es darf außerdem nicht vergessen werden, nach Auslösern für die Krise zu suchen (OP, Trauma, Infektion, Rest s.o.)

Abschluss

Diese maximale Form ist meinem Bekannten zum Glück erspart geblieben. Aber ich finde es schon bemerkenswert, dass im Grunde die Muskelschmerzen der Präsentationsgrund waren. Die sind für eine Hypothyreose nun wirklich nicht so üblich. Auf der anderen Seite waren die Werte, als sie dann mal bestimmt wurden, schon wirklich sehr entglitten. Glück gehabt. Ein paar Wochen nach Therapiebeginn besserten sich alle betrachteten Werte und Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit deutlich.

Wie sind eure Erfahrungen mit Hashimoto- bzw. Hypothyreosen? Auch schon mal so einen außergewöhnlichen Fall vielleicht aus der Prämedikation gezogen? Immer dran denken: Augen und Ohren wie ein Luchs haben J

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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