Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase Mangel und Anästhesien

 

Da sitze ich in meinem Ohrensessel vor dem prasselnden Kamin, schlürfe einen Glühwein, da kommt ein Elflein herbei und flüstert mir ins Ohr: „Auf auf, schreib einen Artikel über…

Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel!“

Vor Schreck falle ich mitsamt Sessel hintüber, lösche die Glut, die sich aus meiner Pfeife auf den teuren Perser-Teppich verstreut hat. Mist, ein paar Brandflecken werden bleiben.

Also auf in die Bibliothek zur Recherche. Zu Weihnachten nur besonderes. Sonst gibts die Rute!

Warum in die Bibliothek, fragt ihr? Nun, diese Erbkrankheit, auch Favismus oder Favabohnen-Krankheit genannt, ist in unseren Breiten äußerst selten. Ich persönlich habe noch keinen Patienten damit erlebt.

Epidemiologie des Favismus

Dennoch ist es wichtig, darauf eingestellt zu sein. Denn im mediterranen, afrikanischen und asiatischen,  Raum ist sie sehr verbreitet. Es handelt sich um die häufigste Enzymopathie der Erythrozyten, mit geschätzten >400 Millionen Merkmalsträgern weltweit. Sie ist gonosomal-rezessiv erblich über Xq28 (DEHUG 6 Locus) mit Bevorzugung des männlichen Geschlechts, und es gibt über 400 verschiedene genetische Varianten.

Das Enzym an sich wurde übrigens bereits 1932 als eines der ersten des Glukose-Stoffwechsels identifiziert von Otto Warburg und Walter Christian. Aber das nur so nebenbei.

Die Haupt-Ausprägungen (Phänotypen) sind:

  • Symptomfreiheit
  • induzierte hämolytische Krisen
  • chronische hämolytische Anämie mit hämolytischen Krisen

Klassifikation nach Yoshida / WHO

Der Grad des Enzymdefekts bestimmt direkt die Schwere der Symptome. Dafür gibt es unter anderem von der WHO eine Klassifikation, die sich an der Enzymaktivität orientiert:

  • Klasse I: schwerer Enzymdefekt (<1% der normalen Aktivität), mit chronisch-hämolytischer Anämie
  • Klasse II: schwerer Enzymdefekt (1-10% der normalen Aktivität), mit mit akut-hämolytischen Krisen
  • Klasse III (z.B. GP6D A-): Moderater Enzymdefekt (10-60% der normalen Aktivität), mit intermittierenden hämolytischen Krisen auf Stressoren wie Infektionen oder Medikamente
  • Klasse IV: kein Enzymdefekt (60-150% der normalen Aktivität), keine Hämolyse oder andere Klinik
  • Klasse V: erhöhte Enzymaktivität – >150% der normalen Aktivität!

Übrigens wäre ein Individuum mit völligem Fehlen der G6PDH nicht lebensfähig, weil die Erythrozyten durch den absoluten Mangel an NADPH und Glutathion nicht lebensfähig wären. Aber das nur so am Rande[2].

Fun Fact: Die Klassifikation basiert auf einer Publikation von Yoshida et al. , die gar nichts mit der WHO zu tun hatten oder haben wollten. Es wurde halt in einem Bulletin der WHO[3] veröffentlicht. So schnell kann das gehen. Die WHO scheint aber für die ICD11 Bestrebungen zu haben, eine eigene aktualisiert Version der Klassifikation, im Rahmen ihres Malaria-Programms, entwickeln zu wollen.

Evolution – Selektion

Ja aber – warum ist die Glukose-6-Phosphat…ihr wisst schon… so wichtig? Und außerdem: In der Natur passiert ja nichts aus Zufall. Beziehungsweise: falsch. Es passieren ständig Zufälle, aber manche setzen sich im Rahmen der Evolution durch, weil sie vorteilhaft sind. Das Konzept nennt sich Selektion oder „Survival of the fittest“ (nach Darwin).

In diesem Fall ist der Enzymdefekt assoziiert mit einer gewissen Resistenz gegen die Malaria. Wenn man ab und zu hämolytische Krisen hat (die man häufig ganz gut wegsteckt), dafür aber nicht vom Plasmodium malariae umgebracht wird, ist das doch ein guter Deal, oder nicht?

Biochemische Grundlagen

Zur Biochemie noch ein paar Absätze: Das Enzym katalysiert die Oxidation von von G6-Phosphat und stellt dabei aus NADP – NADPH her. Es ist der erste Schritt im Pentose-Phosphat-Pathway. Die Biochemie lässt grüßen.

NADPH ist als Kofaktor für die Reduktion von verbrauchtem Glutathion, das das wichtigste Antioxidanz im menschlichen Körper ist.

Normalerweise gibt es verschiedene Pathways, um NADPH zu regenerieren. In den Erythrozyten ist aber genau dieser Weg der entscheidende. Und wenn er wegfällt –  schützt nichts mehr die Zelle vor dem oxidativen Stress. Der Erythrozyt „verglüht“ in der Oxidation. Oder so ähnlich 😉 : Hämolyse, intra- und extravasal.

Ebenjener oxidative Stress oxidiert auch Sulfhydryl-Gruppen am Hämoglobin, das daraufhin präzipitiert: Es bilden sich die im Mikroskop sichtbaren Heinz-Körper. Bestimmt schon mal gehört.

Folgen des oxidativen Stresses

Die häufigste Variante sind übrigens die Klasse III Defekte. Also diejenigen, die auf Stressoren auf einmal mit einer Hämolyse reagieren, weil sie den zusätzlichen oxidativen Stress nicht aushalten und … „platzen“. Das ist auch das, worauf viele Prüfungen hinaus wollen. Den Rest des Artikels bis hier her hättet ihr euch also im Prinzip sparen können ;P

Die hämolytischen Episoden dieser Patienten sind häufig selbstlimitiert und gut toleriert vom Patienten, sodass sie häufig nicht erkannt werden als das, was sie wirklich sind.

Die Diagnose erfolgt über die Quantifizierung des Enzyms. Es geht also wirklich um die Menge an Enzym und nicht dessen Funktion, wie etwa beim Pseudocholinesterasemangel, der eigentlich eine Wirkreduktion ist, aber mit der Quantität des Enzyms wenig zu tun hat.

Weitere Hinweise kann der Blutausstrich geben, der Zeichen einer Hämolyse zeigen wird, sowie die o.g. Heinz-Körperchen. Im Labor haben wir weitere indirekte Indikatoren: Erhöhte Retikulozyten als Zeichen einer Hämolyse, sowie Bilirubin und LDH; Hämoglobinurie.

Therapie

Die Therapie richtet sich nach der Symptomschwere. Zunächst muss das auslösende Agens entfernt bzw. nicht mehr zugeführt werden. Hinzu kommen Kristalloid-Infusionen, um einem Nierenversagen vorzubeugen und eventuell EKs, um die Anämie zu behandeln. Wenn eine Infektion vorliegt, muss sie behandelt werden, weil auch sie ein Auslöser sein kann. Und wir behandeln Infektionen, als Ärzte, ihr wisst schon 😉

Kontraindizierte Medikamente und mehr…

Darüber hinaus gibt es aktuell 8 bewiesene Medikamente, die eine hämolytische Krise auslösen können[1]; außerdem gibt es eine starke Dosisabhängigkeit:

  • Dapson
  • Phenazopyridin
  • Nitrofurantoin
  • Primaquin
  • Rasburicase
  • Pegloticase
  • Methylen-Blau
  • Toluidin-Blau

Andere oxidierende Medikamente scheinen nicht mit hämolytischen Krisen assoziiert zu sein. Favabohnen aber dann schon (genauer: die enthaltenen nicht-volatilen Glukoside, die freie Radikale produzieren). Deshalb der alternative Name: Favismus.

Außerdem führen Infektionen zu oxidativem Stress und können darüber eine Krise auslösen.

Aber wir erinnern uns: Eigentlich soll der Enzymdefekt vor der Malaria schützen. Und ausgerechnet Antimalaria-Mittel wie Primaquin können die lebensbedrohlichen Krisen auslösen. Deshalb war es um 1920 auch als „Primaquin Sensititvitäts Syndrom“ bekannt. Verrückt, ne? In der Folge wurde es die erste charakterisierte Enzymopathie, und prägte die Ausbildung der Pharmakogenetik maßgeblich.

Enzymmangel und Narkosen?

Was ist jetzt mit OPs und Narkosen? Das ist hier doch ein Anästhesie-Blog?

Nach dem neuesten Artikel, den ich auf Pubmed zu dem Thema finden konnte, gibt es bislang kein Anästhetikum, was eine hämolytische Krise in vivo auslösen könnte (und das ist ja das Relevante!). Seien es Benzodiazepine, Opiate, Propofol, Fentanyl oder Ketamin.

Der Einfluss volatiler Anästhetika wird nach wie vor untersucht, auch weil einige Autoren diesen Gendefekt in Bezug auf eine Prädisposition für die Maligne Hyperthermie hin untersuchen. Abschließende Aussagen lassen sich dazu aber aktuell nicht treffen.

Da Methylenblau kontraindiziert ist, wie oben beschrieben, verbieten sich Substanzen, die Methämoglobin bilden. Das wären zum Beispiel klassisch Prilocain, Benzocain, Lidocain, Silbernitrat.

Auch eine Diabetische Ketoazidose scheint ein Trigger sein zu können. Da schließt sich der Kreis hier im Blog wieder 🙂

Sicher ist auch die physiologische Stressanwort auf den OP-Reiz ein Risikofaktor. Es läuft also wieder, wie häufig in der Anästhesie, darauf hinaus, eine gute, tiefe Narkose zu machen und nicht irgendwelche sportlichen Anreize zu haben, möglichst flach und möglichst schnell „fertig zu werden“. Stress ist immer schlecht. Für den Patienten; aber auch für den Anästhesisten. Auch was das Glukosemanagement (engmaschig normoglykäm) und die Temperatur (Normothermie!) angeht.

Zusammenfassung

Schnell zusammengefasst ist der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase Mangel ein quantitativer Mangel an ebenjenem Enzym. Die Rückgewinnung von NADPH ist reduziert und folgend auch die von Glutathion. Die Eryhtrozyten sind mehr oder weniger schutzlos oxidativem Stress ausgesetzt und es kann zu hämolytischen Krisen kleiner oder größerer Ausprägungen kommen. Triggersubstanzen sind Antimalaria-Mittel, ebenso wie Fava-Bohnen und Infektionen. Narkosemittel an sich scheinen sicher zu sein, auch wenn Volatile Anästhetika eventuell damit und auch mit einer MH assoziiert sein könnten.

Handlungsempfehlungen der DGAI sind ebenfalls verfügbar. Dort sind auch ausführliche Bewertungen bezüglich des Risikoprofils weiterer Medikamente und allgemeinen perioperativen Vorgehens zu finden.

Habt ihr schon mal so einen Fall gehabt? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen!

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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  1. […] der Tradition meiner Beiträge zu seltenen Erkrankungen und deren Implikationen für Anästhesien (G6-P-DH-Mangel, Sichelzellkrankheit, Myasthenia gravis), dreht es sich heute um die Porphyrien. Es soll zunächst […]

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