Anästhesie bei Porphyrie

 

In der Tradition meiner Beiträge zu seltenen Erkrankungen und deren Implikationen für Anästhesien (G6-P-DH-Mangel, Sichelzellkrankheit, Myasthenia gravis), dreht es sich heute um die Porphyrien. Es soll zunächst ein Überblick über die Arten und deren Diagnostik verschafft (z.B. im Intensivstations-Setting interessant) und dann die Narkoseführung diskutiert werden.

Porphyrine sind wichtige Grundbausteine von Enzymen und Strukturen im menschlichen Körper. Woran man nach dem Medizinstudium zuallererst denkt, sind diejenigen Porphyrine, die in der Erythropoise vorkommen. Natürlich ist die Bildung von Hämoglobin wichtig, aber Porphyrine sind ebenso zu finden in Cytochrom-Oxidasen, NO-Synthasen, Cyclooxygenasen, Peroxidasen und Katalasen. Sie sind ubiquitär wichtig für eine ordnungsgemäße Zellfunktion. Diese findet zu 20% in der Leber (ALAS1 – 5-Aminolävulinsäure-Synthase 1) und 80% im Knochenmark statt (ALAS2).

Chemisch gesehen bestehen sie aus vier Pyrrol-Ringen (einem Tetrapyrrol), die durch vier Methingruppen zyklisch miteinander verbunden sind. Der einfachste Vertreter ist das Porphin (Wikipedia).

Sie fluoreszieren rot, wenn sie einer Wellenlänge von 366nm ausgesetzt werden (wunderschön).

Es gibt eine Reihe von bezaubernden Bezeichnungen für die verschiedenen Unterarten, wo man sich fragt, wie man das alles auseinander halten soll. Wir beginnen mit den akuten Formen:

  • AIP: Akute intermittierende Porphyrie (aut.-dominant)
  • VP: Porphyria variegata (aut.-dominant)
  • HCP: Hereditäre Coproporphyrie (aut.-dominant)
  • ALADP: Aminolävulinsäure-Dehydratase defiziente Porphyrie (Plumboporphyrie oder Doss-Porphyrie, aut.-rezessiv)

Bei nicht-akute Porphyrien sammeln sich bestimmte Vorstufen der Porphyrine an, weil ein Enzymdefekt vorliegt. Die Folge ist eine Photosensitivität der Haut und manchmal ein schwerer Leberschaden.

  • PCT: Porphyria cutanea tarda
  • HEP: Hepatoerythropoietische Porphyrie
  • EPP: Erythropoietische Protoporphyrie
  • XLP: X-chromosomale Protoporphyrie
  • CEP: Kongenitale erythropoietische Porphyrie

In der Übersichtsarbeit von Stölzel et al.[4] findet ihr eine gute tabellarische Übersicht über die verschiedenen Porphyrie-Arten, wie sie sich im einzelnen mit Symptomen äußern und wie sie diagnostiziert werden können.

akut: Anästhesie, chronisch: Dermatologie

Nur die vorgenannten akuten intermittierenden Formen sind für uns Anästhesisten aufgrund der Multiorganbeteiligung von Interesse, die anderen eher nur für dermatologisch versierte Anästhesisten.

Die akuten Formen besitzen eine unterschiedliche Penetranz in ihrer Ausprägung trotz ihres zumeist autosomal-dominanten Erbgangs. Die Inzidenz in Deutschland ist eher gering (z.B. bei bei der akuten intermittierenden Porphyrie etwa 1:20.000). In manchen Regionen kommt sie aber deutlich häufiger vor (Lappland: 1:1.000, weiße Bevölkerung in Südafrika bis zu 1:300!). Bei einer entsprechenden Anamnese kann man schon mal hellhörig werden.

Ausgangspunkt für die Synthese ist die delta-Aminolävulinsäure, die direkt vom Endprodukt der Reaktionskette, Häm, Feedback-gehemmt wird. 65-68% des in der Leber produzierten Häms wird für das Cyp450-System verwendet. Veränderungen in diesem System haben also auch einen direkten Einfluss auf die globale Häm-Biosynthese.

Akute Porphyrien verlaufen lange Zeit unauffällig, bevor sie in einen Schub übergehen. So einer kann ausgelöst werden z.B. durch Enzym-induzierende Barbiturate wie Thiopental (das IMPP lässt grüßen). Dann kommt es zu einer verstärkten Aktivierung des Pathways mit einer Akkumulation von d-ALS und Porphobilinogen.

Die Folge ist eine Enzephalopathie und Neuropathie (cerebrale Demyelinisierung, axonale Degeneration), die periphere neuronale Ausfälle (motorisch/sensibel) bewirken.

Namentlich sind folgende Symptome in den Organsystemen möglich:

  • Gastrointestinale Beschwerden in >90% der Fälle
  • Tachykardie und Hypertonie in ~75% der Fälle als Zeichen autonomer Neuropathie
  • Motorische Ausfälle im Sinne eines Guillain-Barré Syndroms
  • Verwirrtheitszustände, Krampfanfälle, Psychosen

Wie kommen wir auf die Idee, dass es eine Porphyrie sein könnte?

Die Diagnosestellung ist schwierig, weil die Symptome leider nicht besonders spezifisch sind. Der „Herold-Innere Medizin“ empfiehlt, bei der Trias „Abdominalschmerzen – Lähmungen / Psychose – Tachykardie“ an die Möglichkeit einer akuten Porphyrie zu denken.

In 50% der Fälle gibt es einen rötlichen, nachdunkelnden Urin, wenn er stehen gelassen wird. „Dunkle Flecken“ in der Unterhose können ein Hinweis sein.

Ein Nachweis von Porphobilinogen im Urin über den sog. Hoesch-Test scheint gut zu funktionieren. Die Diagnosesicherung erfolgt dann über die quantitative Bestimmung von d-ALS, Porphobilinogen und Porphyrinen im 24 Stunden Urin, sowie Genanalysen nach Diagnosesicherung zur genauen Benennung des Defekts. Über Plasma-Fluoreszenz-Untersuchungen können die Porphyrin-Arten auch direkt gemessen werden.

Triggersubstanzen

Als Auslöser eines akuten Schubs kommen in Frage:

  • Hormonelle Ursachen (Frauen sind häufiger betroffen als Männer)
  • Hunger
  • Infektion
  • Alkohol
  • Stress

Medikamente, die das Cyp450-System induzieren, gelten als „porphyrinogen“ und sollten vermieden werden, insbesondere (unsortiert)

  • Thiopental
  • Etomidat
  • Phenytoin
  • Ketamin
  • Diclofenac
  • Nifedipin
  • Theophyllin
  • Sulfonamide
  • Erythromycin
  • Lidocain

Allerdings besteht eine große interindividuelle Variabilität, sodass Listen, die Medikamente in „sicher, mäßig sicher und gefährlich“ unterteilen, mit Vorsicht zu genießen sind. Es gibt kein Mittel, das als Prophylaxe eines Anfalls gegeben werden kann. Deshalb sollte unbedingt bekannte Triggersubstanzen vermieden werden.

Es gibt im Wesentlichen drei parallel geführte Medikamentenlisten zur Klassifikation. Teilweise widersprechen die sich leider auch (European Porphyria Network, American Porphyria Foundation, University of Capetown). Ich würde empfehlen, ihr haltet euch an die Liste von Orphananesthesia[2] bzw. deren Publikation in der A&I[3].

Präoperative Phase und Planung

In der präoperativen Phase sollte die Nüchternheitszeit möglichst knapp gehalten werden , weil Hunger als Trigger gilt. Benzodiazepine sind eventuell porphyrinogen und sind deshalb kritisch als Prämedikation zu sehen.

Lokalanästhesie vor Allgemeinanästhesie

Die Wahl des Betäubungsverfahrens orientiert sich am Grundsatz: Wo möglich, sollte eine Regionalanästhesie durchgeführt werden. Der Spinalanästhesie ist dabei der Vorzug vor der PDA zu geben, weil bei ihr geringere Blutspiegel des Lokalanästhetikums erreicht werden.

Lidocain sollte grundsätzlich aufgrund seines Triggerpotentials vermieden werden, die anderen Lokalanästhetika können aber eingesetzt werden.[1]

Trotz der neuropathischen Problematik konnte übrigens gezeigt werden, dass Regionalanästhesien allgemein sicher durchgeführt werden können [1]. Vollnarkosen haben ein höheres Risiko, einen Schub auszulösen.

Allgemeinanästhesie

Für die Vollnarkose empfehlen DGAI/BDA die Gabe von Propofol als Hypnotikum. Thiopental hingegen gilt wegen seiner enzyminduzierenden Eigenschaft als Auslöser von Schüben und ist absolut kontraindiziert.

Die üblichen Opiate Morphin, Fentanyl, Remifentanil gelten als sicher und können verabreicht werden.

Zu Muskelrelaxantien fehlen verwertbare Informationen.

Es macht auf jeden Fall Sinn, sich vor Beginn der Narkose die entsprechende Medikamentenliste, z.B. von orphananesthesia.eu zu besorgen, damit man immer weiß, welches Medikament erlaubt ist, und welches nicht. Für eine übliche Narkose mit beispielsweise Propofol, Remifentanil und ggf. Muskelrelaxans ist nach Aktenlage nichts Großes zu erwarten an Zwischenfall. Sobald aber weitere Substanzen gegeben werden sollen, sollte man vorher gegenchecken, ob die erlaubt sind.

Therapie des akuten Schubs

Sollte es dennoch im Aufenthalt (oder bei Neuaufnahme, je nachdem) zu einem akuten Schub kommen, muss therapiert werden, ohne wiederum den Schub neu zu unterhalten.

Gastrointestinale Beschwerden in Form von Bauchschmerzen stehen meist im Vordergrund. NSAID (ohne Diclofenac!) können dafür eingesetzt werden, und bei ausgeprägten Schmerzen auch Opiate. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass häufig solche Patienten fälschlicherweise sogar laparotomiert werden unter der Annahme eines Akuten Abdomen!

Tachykardie und Hypertonie sind weitere Symptome, die in der Regel mit Betablockern behandelt werden. Die meiste Erfahrung scheint für Propranolol vorzuliegen, aber das habe ich persönlich bisher nur sehr sporadisch eingesetzt. Das übliche Metoprolol wird in den Listen nicht aufgeführt, dafür aber „Betablocker“, und namentlich noch Atenolol, Labetalol.

Krampfanfälle sind schwierig insofern zu therapieren, als Benzodiazepine als potentiell porphyrinogen gelten. Gabapentin oder Vigabatrin sind potentielle Kandidaten zur Behandlung. Und ganz schnell im Merkblatt nachschauen (Levetiracetam, Clonazepm evtl).

Weitere Therapien gründen sich vor allem auf das Verständnis der biochemischen Pathways. Hochdosierte Glukosegabe (400g/d) hemmt die d-ALS-Synthase. Außerdem kann mit exogen zugeführtem Häm behandelt werden (wegen der Feedback-Hemmung des Pathways).

Abschluss

Habt ihr schon mal einen porphyrinogene Krise erlebt oder allein schon so einen Patienten gehabt? Die Rate an diagnostizierten Patienten ist sicher sehr niedrig, obwohl man im Grund die Enzymdefekte gut nachweisen kann; aber natürlich nur, wenn man weiß, wonach man genau suchen muss…

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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