Leitlinie „Prähospitales Atemwegsmanagement“

 

Am 26.02.2019 ist die Leitlinie „Prähospitales Atemwegsmanagement“ in Kraft getreten.  Viele sinnvolle und gute Dinge stehen darin – allerdings ergeben sich auch Probleme daraus. Im folgenden Artikel möchte ich die Leitlinie ein wenig zusammenfassen und interpretieren.

Dass man Maßnahmen trainieren muss, damit man sie sicher beherrscht, ist gesunder Menschenverstand. Auch für Dinge wie die Endotracheale Intubation ETI und Extraglottische Atemwegshilfen EGA gilt das selbstverständlich.

Maßnahmen müssen trainiert werden

In Studien konnten eindeutige Lernkurven bewiesen werden, bevor man diese sicher beherrscht[1]. In der zitierten Studie von Bernhard wird von bis zu 150 Intubationen unter kontrollierten klinischen Anwendungen unter Aufsicht ausgegangen, bevor die Erfolgsrate bei >95% lag.

Für EGA, wie den weit verbreiteten Larynxtubus, aber natürlich auch Larynxmasken, ist die erforderliche Mindestzahl an Einlagen nicht so recht bekannt. Aktuell wird von mindestens 45 Einlagen unter klinischen Bedingungen ausgegangen; die Autoren der Leitlinie nehmen aber an, dass die tatsächliche Zahl deutlich höher liegt.

Wenn jemand den Atemweg nicht sicher beherrscht, sollte er ihn nicht anwenden. Das ist letztlich eine Rationale, der man sich nicht entziehen kann.

Komplikationen des Airway sind in der Präklinik häufiger als in der Klinik

Gerade Fehlintubationen / fehlerhafte Einlage oder andere Komplikationen wie Weichteilverletzungen, Blutungen, Zungenschwellungen etc. sind in der Präklinik häufiger anzutreffen als in der Klinik (weil die Bedingungen bei Patient X zuhause neben Toilettenschüssel und hinter der Tür auf dem Boden einfach deutlich schwieriger sind).

Empfehlungen aus der Leitlinie sind u.a.:

  • „Die endotracheale Intubation soll nur dann angewendet werden, wenn am Patienten
    mindestens 100 Intubationen zum Erlernen der Technik unter Aufsicht durchgeführt und
    dokumentiert sowie nachfolgend mindestens 10 ETI pro Jahr durchgeführt wurden.“
  • „Die Anwendung von mindestens 45 Einlagen extraglottischer Atemwege soll an
    Patienten unter kontrollierten Bedingungen und Anleitung zum Erlernen der Technik
    erfolgen. Die Anwendung soll mindestens dreimal jährlich wiederholt werden. Ein Training
    am Übungsphantom allein ist nicht ausreichend.“

Und damit kommen wir zum Kern der Leitlinie: Maßnahmen müssen natürlich geübt werden; und dazu gibt es auch die entsprechende Evidenz. Die Frage stellt sich aber, was für Folgen sich daraus ergeben.

Die Intubation soll ja nun schon länger nur von entsprechend erfahrenen Personen durchgeführt werden (s. die Reanimations-Leitlinie). In der Regel wird das vor allem der Anästhesist sein (da hab ich ja Glück gehabt 😉 ). Mit der Forderung, dass man mindestens 100 Intubationen zum Erlernen und danach 10 weitere pro Jahr braucht, sind alle anderen Fachabteilungen praktisch „raus“.

EGA als Alternative?

Das ist sicher kein Weltuntergang, wo es doch noch EGA als Alternative gibt, oder?

Aber dort gibt es im Prinzip dasselbe Problem in grün: In einem OP-Praktikum können angehende Notärzte und auch Notfallsanitäter die Einlage sicher ausreichend üben. Aber das regelmäßige jährliche Training, was folgt (3 Einlagen bei Patienten pro Jahr — allerdings nicht unter welchen Bedingungen…?), ist wohl dasselbe Problem.

Ich habe sehr selten ärztliche Kollegen anderer Fachabteilungen bei uns zum OP-Praktikum begrüßen dürfen; ganz zu schweigen davon, dass sie ein zweites oder drittes Mal gekommen wären zum Auffrischen (Ausnahmen bestätigen die Regel, so ist jedenfalls meine Erfahrung).

Bei Rettungsdienstpersonal besteht das Problem in verschärfter Form: Nach ihrem Krankenhauspraktikum kommen sie noch nicht mal mehr planmäßig jedes Jahr zur Auffrischung überhaupt ins Krankenhaus.

Oder wie ist das bei euch gehandhabt?

Und wenn wir jetzt zu den Hilfsorganisationen und dem Sanitätsdienst gehen, wo vor allem der Larynxtubus sehr stark gepusht wurde in den letzten Jahren, ist es quasi unmöglich die Voraussetzungen der Leitlinie umzusetzen.

Praktischerweise sind medizinische Leitlinien rechtlich nicht bindend. (Im Gegensatz zu Richtlinien, die z.B. vom G-BA vorgegeben werden). Aber das kann es ja nun auch nicht sein.

Was sind die Konsequenzen?

Regelhaft werden nur Anästhesisten und / oder ausgewiesene Notfallmediziner die notwendige Atemwegs-Kompetenz beherrschen. Ein „Facharzt für Notfallmedizin“ könnte das Problem zumindest ärztlicherseits lösen (wenn man den aktuellen Notarzt-Mangel dazu noch irgendwie aufgefangen und die geforderten jährlichen klinischen Wiederholungen in den Griff bekäme).

Die Evidenz ist überwältigend. Jemand, der es nicht kann, soll es sein lassen. Alles klar.

EDIT 16.09.2020: Ein aufmerksamer Hörer der Podcast-Version hat mich darauf gebracht, dass die Lage sogar noch verrückter ist, als in meinem ursprünglichen Artikel beschrieben. In Tabelle 10 der Anlage der Leitlinie wird auch für die Beutel-Masken-Beatmung eine Mindestzahl angegeben: 100 Anwendungen am Patienten unter klinischen Bedingungen, davon 5 Kindern! Damit sind nun wirklich alle anderen Fachdisziplinen mit Ausnahme des Anästhesisten raus aus der Notarzt-Nummer.

Zwar gehört die Beutel-Masken-Ventilation zum Standard der notfallmedizinischen Ausbildung. Aber auch dazu gehört ehrlicherweise Übung in der Praxis; am besten unter klinischen Bedingungen. Tatsächlich habe ich für die geforderte Mindestzahl aber keine untermauernden Studien gefunden. Diese Technik wird bei Rettungsdienstpersonal in Pubmed gemeinhin vorausgesetzt. Aber trotzdem steht sie jetzt halt in der Leitlinie drin.

Es bleiben nicht mehr viele Rückfallebenen übrig…

Jetzt bleibt die Frage: Was sind die Folgen aus dieser Leitlinie? Alle Nicht-Anästhesisten müssen bitte Mund-zu-Mund/Nase beatmen? Oder noch viel besser: Direkt koniotomieren (dafür gibts auch in der angesprochenen Tabelle keine Mindestzahl). Das kann es doch irgendwie nicht sein.

Weiterhin Rettungsdienstpersonal, das jährlich zur Auffrischung der Platzierung von EGA in den OP gepilgert kommt? Nicht-Anästhesie-Kollegen, die ihre 10 Intubationen im Jahr oder auch die EGA Einlagen üben?

Habt ihr schon Folgen davon an euren Standorten erlebt?

Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was sich vielleicht noch ändern wird (oder vielleicht doch praktisch nicht…?) In jedem Fall ist diese Leitlinie ein Paukenschlag, wenn ich das so einschätzen darf.

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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