Bier-Block – Prost! (i.v.-Regionale)

 

Das klingt so falsch: „Bier“-Block. Wie eine durchzechte Nach in der Altstadt und den Kater am folgenden Morgen.

Aber ich muss leider enttäuschen, so langweilig das auch ist. Heute geht es nicht um Ausschweifungen an Karneval mit ordentlich Alkohol, sondern um die intravenöse Regionalanästhesie, die ihren Eigennamen, „Bier-Block“ vom deutschen Forstmann August Bier, geb. 24.11.1861, erhalten hat. Chirurg war er auch, aber das mit den Bäumen fand ich erwähnenswert.

Es geht um eine Sache, die man in der modernen Medizin im Grunde nicht machen sollte, wenn man viele Kollegen fragt: Lokalanästhestikum intravenös zu injizieren.

Aber warum sollte man das tun? Wir haben Vollnarkosen, wir haben periphere Regionalanästhesien mittels Neurostimulator und Ultraschall – warum sollte man das Lokalanästhetikum i.v. geben?

Warum überhaupt?

Die kurze Antwort ist: Weil sehr schnell und effektiv wirkt und das Bewusstsein nicht ausschaltet, sondern eben nur regional wirkt. Deshalb ist es diese Art der Betäubung gut für ambulante Eingriffe geeignet. Im Vergleich zum Handling mit Nadel und Ultraschallkopf oder den Skills, die es für einen Neurostimulator braucht, ist es eine relativ einfache Technik zur Betäubung bei Operationen am Unterarm oder der Hand.

Tatsächlich wird die Komplikationsrate mit nur 0,01% angegeben, das ist doch mal was[1]. Auf der anderen Seite muss man aber dringend die relativ komplizierte Schritt-Reihenfolge genau einhalten, weil es sonst zu tödlichen Zwischenfällen kommen kann. Ich will ja keine Angst machen, aber…

An Material wird neben einer elastischen Gummibinde noch eine Blutdruckmanschette, am besten mit einer proximalen und einer distalen Kammer, benötigt.

Bevor das irgendjemand nachmacht, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich hier ein Blog im Internet betreibe, und keine Garantie für Vollständigkeit und Richtigkeit geben kann.  Ich empfehle deshalb dringend, das im Team unter entsprechender Vorbereitung durchzuführen, wenn es in Frage kommen sollte.

Kochrezept voraus!

Die Schritte im Detail:

  1. Der Patient wird identifiziert und an ein übliches Basismonitoring angeschlossen (SpO2, NIBP, 3-Kanal-EKG)
  2. Am zu betäubenden Arm (im Folgenden „ipsilateral“ genannt) wird ein venöser Zugang am Handrücken gelegt (für den Block) und auf der kontralateralen Seite ebenfalls (zur Sicherheit)
  3. Der zu betäubende Arm muss mit einer elastischen Gummiwickel möglichst „blutleer“ gemacht werden. Dafür von distal nach proximal eng auswickeln. Je weniger Blut im Arm verbleibt, desto besser ist nachher die Betäubung
  4. Am ipsilateralen Oberarm wird der proximale Cuff über den systolischen Blutdruck aufgepumpt.
  5. Nun wird das Lokalanästhetikum in die ipsilaterale Viggo injiziert. In der Regel wird dafür Prilocain verwendet
  6. Innerhalb von 3-5 Minuten wird der ipsilaterale Arm nun taub. Yay 😀
  7. Die Blutsperre muss 45-60min am Arm verbleiben und wird mit der Zeit recht unangenehm und mitunter auch schmerzhaft (häufigste Komplikation des Verfahrens):
  8. Deshalb wird nach Wirkeintritt der distale Cuff über den systolischen Druck aufgeblasen (in dem Bereich der nun schon betäubt ist) und der proximale Cuff langsam komplett abgelassen.
  9. Nun sind wir bereit in den OP-Saal zu fahren.
  10. Nach 45-60min kann langsam begonnen werden, die Manschette langsam und schrittweise ebenfalls abzulassen.

Das intravenös injizierte Lokalanästhetikum diffundiert durch die blutleeren Gefäße direkt an die Nerven und führt dort zur Blockade. Im Lauf der Zeit wird es durch unspezifische Esterasen abgebaut, sodass man dann tatsächlich die Blutleere relativ problemlos aufheben kann (unter Kontrolle im Aufwachraum). Manchmal berichten Patienten über einen metallischen Geschmack auf der Zunge, aber mehr an wilden Nebenwirkungen geschieht in der Regel nicht.

Natriumkanalblocker im Blut – ist das nicht gefährlich?!

Gruselig ist die ganze Sache aber trotzdem. Wir erinnern uns: Lokalanästhetika sind Natrium-Kanal-Blocker. Das ist insbesondere in Hinblick auf das kardiovaskuläre System ein Problem (sprich: evtl. akut lebensbegrenzend). Man spritzt bei diesem Block hier eine Dosis, die sich recht wahrscheinlich normalerweise, systemisch gegeben, in einem toxischen Bereich befindet. Einzig die Blutsperre macht hier den Unterschied.

Andernfalls würde das Lokalanästhetikum nicht nur die Natrium-Kanäle lokal im Arm blockieren, sondern auch zentral am Herz, nämlich am Myokard. Die Komplikationen sind dann die einer LA-Intoxikation: zunächst Tachykardie, Hypertonie, dann Bradykardie und Hypotonie und in der maximalen Ausprägung: kompletter Herzblock und Reanimation.

Im Übrigen scheint es Berichte zu geben, bei denen trotz korrekt angelegter Blutsperre systemische LA-Intoxikations-Symptome zu berichten waren. Verantwortlich dafür wurde der venöse Abstrom der Knochen gemacht, der nicht mit der Manschette unterbunden werden kann. Na super…

Sicherheit geht immer vor

Das wäre dann auch der Grund, warum eine namhafte Uniklinik bei mir in der Nähe dieses Verfahren auf gar keinen Fall und niemals durchführt. Ein Grund- und Regelversorger, den ich näher kenne, macht das aber trotzdem bei ambulanten Karpaltunnel-OPs. Mh.

Drei Dinge sind auf jeden Fall sicherzustellen:

  1. Das genaue Prozedere ist allen Anwendern bekannt
  2. Die Blutsperren-Manschette funktioniert und „fliegt nicht einfach zwischendrin ab“
  3. Es ist sichergestellt und bekannt, wo das Lipovenös 20% als Antidot einer LA-Intoxikation gelagert wird und wie es dosiert wird.

Die Wahl des Lokalanästhetikums ist ebenfalls wichtig. Lidocain und Prilocain sind relativ sicher intravenös zu injizierende Substanzen. Lidocain wurde früher sogar zur Behandlung von „Arrhythmien“ als Perfusor verabreicht.  Beide Stoffe binden in der Aufstrichphase (Phase 0) des myokardialen Aktionspotentials und lösen sich in der Ruhephase (Phase 4). Man kann sie auch charakterisieren als „fast in – fast out“.

Bupivacain und Ropivacain binden erst in Phase 1 / 2 und lösen sich ebenfalls in Phase 4 (fast in – slow out). Sie beeinflussen nicht die Depolarisation des Myokards, sondern die Überleitung. Gerade das Bupivacain hat eine hohe kardiale Affinität und deshalb unter allen Umständen zu vermeiden.

Lustiges Detail am Rande: „Ropivacain“ ist nur als L-Ropivacain erhältlich und relativ gut vom Sicherheitsprofil. Bupivacain ist üblicherweise ein Racemat: Es gibt aber auch Laevo-Bupivacain, das dann wieder ähnlich sicher wie das Ropivacain ist. Beide langwirksamen Substanzen haben aber nichts bei der i.v.-Regionalen verloren.

Und ihr?

Habt ihr schon mal eine i.v.-Regionale durchgeführt? Ich zwar schon, und das hat auch gut funktioniert. Aber ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem. Beschreibt gern eure Erfahrungen in den Kommentaren 🙂

 

Links:

[1]https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/2152460/

[2]Pinup Docs: Lokalanästhetika Intoxikation

[3]S1 Leitlinie: Prävention und Therapie der Lokalanästhetika-Intoxikation (AINS)

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

2 Kommentare

1 Ping

  1. Moin. Ich habe iv Regionalanästhesie gemacht. Im Vergleich mit Ax. Block sehe ich keine Vorteile. Ich sehe nur so. Es wird gemacht von Leuten die Ax. Block nicht können. Akzeptabel nur für sehr kurze Eingriffe, wir erwähnt Karpaltunnel-OPs, Metall Entfernung. Ich würde immer vermeiden dieses Verfahren machen, wenn möglich.

    Andrej

    • Christoph auf 12. Februar 2024 bei 08:34
    • Antworten

    die ivRA ist eine ganz wunderbare Methode. Seit knapp 30 Jahren hab ich da Erfahrungen mit gemacht und hatte nie einen ernsteren Zwischenfall. Aber wie oben schon beschrieben: extrem wichtig ist die korrekte Durchführung und v.a. der korrekte Manschettendruck. Wenn es zu Stauungsphänomenen kommt ist das eine echt kritische Situation. Ferner muss man sorgfältig und korrekt auswickeln, wirklich blutleer, sonst funktioniert es nicht. Doppelkammer-Manschette ist ein muss.
    Für OPs wie Digitus saltans, Epping Plastik, CTS, gibt nix besseres.

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