Das Antabus Syndrom

 

Oder: wie schafft es jemand 2 L Wodka zu trinken, trotz Antabus-Dauermedikation? Warum tut man so etwas? Und dann fragte er sich, warum es ihm schlecht ging. Und dann landete er der Intensivstation. Dann wunderten wir uns. Denn ein echtes Antabus-Syndrom hatten wir noch nie in der freien Wildbahn gesehen.

So viel zur Fallvignette.

Antabus ist der Handelsname von Disulfiram; das entspricht Tetraethylthiuramdisulfid: so wird es nämlich in der Industrie genannt (Summenformel C10H20N2S4). Disulfiram – ich nenne es jetzt beim einfacher zu schreibenden und sprechenden Namen – wird zur Vulkanisation von Gummi verwendet. Klingt nicht unbedingt nach einem Stoff, dem man den Körper aussetzen will. Aber Alkohol ist mindestens genauso schädlich…

Quelle: Wikipedia

Die Hauptindikation liegt in der Förderung einer Aversion gegen Alkohol bei Alkoholabhängigkeit. Unter Therapie führen die Ingestion schon kleinster Mengen Alkohol zu starken Symptomen im Sinne von Übelkeit, Erbrechen, Diaphorese, Flush an Gesicht, Hals und Nacken, sowie eine Tachykardie.

Was macht Antabus mit einem Patienten?

Ein typischer Symptomenkomplex besteht aus Flush, metallischem Geschmack auf der Zunge, Prickeln / Kältegefühl der Extremitäten im Sinne von Parästhesien.

Der Blutdruck kann hypo- oder hypertensiv sein. Kritische Nebenwirkungen sind auch beschrieben, a lá Angina pectoris, Ataxie, Dyspnoe, Kollaps, Koma. Und da er gibt sich dann doch schon eine ordentlich Indikation für Notfall- und Intensivmedizin.

Die Symptome können dabei fieserweise innerhalb von Minuten nach Alkoholingestion aber auch mit einer Latenz von bis zu 72 Stunden auftreten.

Immerhin bildet sich alles meistens nach ein paar Stunden spontan zurück.

Der Überlieferung nach (Wikipedia) soll ein Werksarzt bereits 1937 die alkoholaversive Wirkung bei Arbeitern festgestellt haben, die diesem Stoff auf der Arbeit ausgesetzt waren. Ja, damals durfte man offensichtlich noch Alkohol auf der Arbeit konsumieren.

Biochemie – olé!

Es bindet irreversibel an die Alkoholdehydrogenase (ALDH1- und -2), die normalerweise das beim Alkoholabbau entstehende Acetaldehyd zu Essigsäure abbaut. Es kommt zu gesteigerten Leveln von Acetaldehyd im Blut, das die o.g. Symptome verursacht. Darüber hinaus entstehen auch toxisch viele Hydroxylradikale.

Nun ist es so, dass nicht nur die Kombination Disulfiram und Alkohol gesteigerte Level von Acetaldehyd verursachen können. Man sollte also nicht nur von „Antabus-Syndrom“ sprechen, sondern vielmehr von Acetaldehyd-Syndrom. Auch wenn das nicht so griffig isst.

Ausflug in die Mykologie

Das „isst“ im vorigen Satz war übrigens kein Tippfehler, sondern eine ungelenke Überleitung zu einem verrückten Fun Fact. Denn das Acetaldehyd-Syndrom wird auch Coprinus-Syndrom genannt. Pilze der Gattung Coprinus (z.B. der Falten-Tintiling, Coprinopsis atramentaria) enthalten Coprin, das zusammen mit Alkohol genau dasselbe o.g. Beschwerdebild erzeugt. Übrigens mit derselben variablen Latenz. Wenn man allerdings Pilz und Alkohol gleichzeitig aufnimmt, passiert nichts (laut Tintinalli, ich würd’s nicht probieren).

Es gibt weitere Auslöser, unter anderem Antibiotika (wobei das unter kritischer Begutachtung in der Literatur ist), Pestizide, Nitrate, ISDN.

Und wo wir ja bald schon wieder voll in der Karnevalssaison sind, der Hinweis auf einen schönen Artikel vom Flexikon: Karneval in der Apotheke.

Therapie? Abwarten und Tee trinken…

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was machen wir, wenn sich ein Patient wie anfangs geschildert, bei uns vorstellt? Die Menge an Alkohol (2 Liter Wodka, zur Erinnerung), führte nicht nur zu „etwas Übelkeit“, sondern zu massiven Beschwerden, Hypotension, Rhythmusstörungen.

Das ist im Übrigen der Grund, warum Antabus® nur bei kooperativen verständigen Patienten eingesetzt werden sollte. Der Patient hatte sich das Zeug aber im Ausland beschafft und eine vernünftige Aufklärung hatte scheinbar auch nicht stattgefunden. „Das ist was, damit ich denn Alkohol besser vertrage“. Ja – nein. Eher, damit du gar keinen Alkohol mehr trinkst. Alter.

Aber zurück zur Frage der Therapie. Es gibt keine schlicht keine. Aussitzen und Symptome behandeln. Bei Hypotension: Katecholamine, bei Tachykardien und Herzrhythmusstörung ggf. vorsichtige Rhythmuskontrolle. Und bei Übelkeit?

Am ehesten gar nichts, ist doch eine gewünschte Wirkung des Mittelchen ;P Aber gut, wenns massiv ist, ist auch eine Antiemesis natürlich erlaubt.

Abschluss

Wichtig ist, sich im Kopf zu behalten: Solche Symptome können auch mit Latenz von bis zu 72 Stunden auftreten. Und: Das Acetaldehydsyndrom an sich ist nicht auf Disulfiram als begünstigenden Faktor alleine beschränkt, auch wenn Alkohol häufig dann die Demaskierung bringt (s.o.).

Disulfiram ist zwar aus o.g. Nebenwirkungen, die in schwacher Form zwar beabsichtigt sind, in stark ausgeprägter Form aber durchaus bedrohlich sein können, in der Abstinenzunterstützung eher out. Es wird trotzdem weiter geforscht. Scheinbar hat es einen Einfluss auf eine Vielzahl von soliden und hämatologischen Krebsarten[1], z.B. NSCLC, Lebertumoren, Brustkrebs, Glioblastom, und weiteren.

Dabei scheint es Signalwege der Tumore zu stören, z.B. NF-kB, Proteasom-Aktivität, es induziert das Endoplasmatische Retikulum, und kann als Adjuvans von Radio-Chemo-Therapien genutzt werden. Es scheint bestimmte Krebszellen auch direkt zu zerstören, und zielt auch auf Krebs-Stammzellen, was einen Einfluss auf Metastasierungs- und Rückfall-Verhalten haben sollte[2].

Interessant, sollte man weiter verfolgen.

Hattet ihr schon mal einen Patienten mit Acetaldehyd-Syndrom? Ich muss sagen, der beschriebene Fall war mein erster in 10 Jahren klinischer Tätigkeit…

 

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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