Umweltschutz und Narkosegase in der Anästhesie

 

Habt ihr euch schon mal Gedanken zum Umweltschutz in unserem Fach gemacht? Narkosegase sind Treibhausgase. Isofluran und Enfluran, sowie Halothan gehören in die Gruppe der FCKW (böse!), zumal das Halothan noch giftiges Brom enthält.

Früher hatte man Stoffe aus der Gruppe der FCKW als Kältemittel in quasi jeder Klimaanlage oder Kühlschrank drin, heute sind sie weitestgehend verboten. Sie sind in erheblichem Maße für den Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre verantwortlich, weil sie dort durch UV-Strahlen zersetzt werden und Chlor- und Fluor-Radikale bilden.

Sevofluran und Desfluran sind Fluorkohlenwasserstoffe (FKW)[1], und werden erst in der Ionosphäre zersetzt und tragen ebenfalls, aber zumindest deutlich geringer, zum Treibhauseffekt bei. In jedem Fall aber deutlich ausgeprägter, als das böse CO2 (wobei da natürlich die Masse das Problem ausmacht).

Und als Einwurf: Ihr erinnert euch vielleicht noch an den Beitrag über Norfluran, das als FCKW Ersatz im Berodual-Spray enthalten ist, und Dräger-Gasanalysatoren verwirrt.

Narkosegase: Ab in die Atmosphäre damit!

Und wusstet ihr außerdem, was eine Narkosegasabsaugung mit dem überschüssigen Narkosegas überhaupt macht? – Es wird einfach alles durch den Schornstein raus aus dem Krankenhaus und rein in die Umweltluft („draußen“) geblasen. Da gibt’s im Regelfall keine Filter und nichts. Wenn man also am richtigen Auspuff am Krankenhaus riecht, wird man unter Umständen seeehr müde.

Ich meine, Arbeitsschutz geht natürlich auf jeden Fall vor. Früher wurden High-Flow-Narkosen geführt, bei denen die Arbeitsplatzbelastung, ohne jegliche Absaugvorrichtung, unter aller Kanone war. Wie man da noch vernünftig arbeiten konnte, erscheint aus heutiger Sicht rätselhaft. Ich sage nur: Inhalative Einleitungen in der HNO in den kleinen Abstellkammern, die auch heutzutage noch als OP verwendet werden. Da muss man vor Gasbelastung die Hand vor Augen nicht mehr hat sehen können.

Eine Absaugung ist da natürlich ein gewaltiger Schritt in Richtung Arbeitsschutz. Aber wenn wir schon bei nachgewiesenen Umweltbelastungen bei Diesel-Autos Partikelfilter vorschreiben, warum blasen wir in der Anästhesie – im Regelfall – alles unreflektiert in die Luft?

Die Narkosegase an sich sind wohl ungiftig für Menschen – aber wenn sie zu einer Ausdünnung der Ozonschicht führen, kommt der Bumerang früher oder später zurück. Erstaunliche Logik – man könnte auch sagen: Einfach nicht zu Ende gedacht.

Ist das relevant für uns?

Wenn man in die Anästhesiebücher schaut, wird man immer mal wieder (sehr) kleine Kapitel zu dem Thema finden. So zum Beispiel in der „Anästhesiologischen Pharmakotherapie“ (Thiel, Roewer). Da steht sinngemäß drin: Ja, Narkosegase sind umweltschädlich, aber ihr Anteil an den Gasen insgesamt ist so gering, dass es nicht relevant ist (die sprechen von 0,05% Anteil an allen ozonschädlichen Gasen).

Aber was die Potentiale für Treibhauseffekt und Ausdünnung der Ozonschicht angeht, muss man zwischen den einzelnen Gasen unterscheiden, und auf einmal wird es sehr chemisch und grundlagenwissenschaftlich. Ich hoffe, dass ich das korrekt und trotzdem verständlich folgend wiedergeben kann…

Treibhauspotential und Ozonschädlichkeit

Heteronukleäre Gase enthalten unterschiedliche Atome, homonukleäre Gase nur eine Sorte von Atom (z.B. O3, Ozon). Alle heteronukleären und manche homonukleären Gase sind aktiv im Infrarot-Spektrum (wir erinnern uns daran, wie ein Gasanalysator funktioniert – über IR-Absorption durch die kovalenten Bindungen zwischen unterschiedlichen Atomen).

Aktivität im IR-Spektrum über Absorption und Emission führt zu einer Retention von Wärme, oder anders ausgedrückt: Zu einer Reduktion der irdischen Wärmestrahlung und damit Erwärmung der Erde. Das ganze nennt sich GWP: Global Warming Potential oder „Treibhauspotential“. Das IPCC nimmt zum Vergleich die GWP100 über 100 Jahre als Referenzwert.

GWP100s im Vergleich:

  • CO2 : 1
  • N2O : 265
  • Desfluran: 2540
  • Sevofluran: 130
  • Isofluran: 510

(Erläuterung: Ein GWP100 von 2540 für Desfluran bedeutet ein GWP von 1g Desfluran wie 2540g CO2!)

Das GWP eines Gases bestimmt sich erstens durch seine IR-Aktivität, die maßgeblich durch seine Absorptionsspektren beeinflusst wird. Und zweitens ist die Verweildauer in der Atmosphäre ein wichtiger Faktor (gemessen als Zeitkonstante tau).

Abbau in der Atmosphäre

Der Abbau der Gase ist maßgeblich abhängig von den chemischen Reaktionen in der Atmosphäre, v.a. derjenigen mit OHMolekülen. Die Bindungsstärke zwischen C-F Atomen ist deutlich stärker, als zwischen anderen Atomen (C-H, C-Cl, C-Br), und kann somit deutlich schwieriger abgebaut werden.

Verweildauer in der Atmosphäre von Narkosegasen:

  • Sevofluran: 1 Jahr
  • Desfluran: 3 Jahre
  • Isofluran: 14 Jahre

Wir sehen allein anhand dieser Tabelle, was wir unserer Umwelt da eigentlich antun. Für uns sind die Gase in dem Moment weg, in dem sie das Krankenhaus über den Schornstein verlassen. Bis zu einem endgültigen Abbau dauert es aber ganz schön lange. Und vor allem kommen ständig neue Gase hinzu.

Auf jeden Fall liegen die Unterschiede in den GWPs der Narkosegase vor allem in ihrer atmosphärischen Verweildauer begründet und nur untergeordnet in ihrer IR-Aktivität.

In atmosphärischen Messungen machte Desfluran 80% aller volatilen Anästhetika aus, die zum Treibhauseffekt beitrugen[3].

Treibhauspotential und Ozondepletierung

Nun gibt es aber nicht nur ein Treibhauspotential, sondern auch direkt schädliche Effekte auf die Ozonschicht. Chlor und Brom schädigen die Ozonschicht. Wenn sie beim Abbau von Gasen entstehen, schädigen sie damit unseren planetaren „Schutzschirm“. Solche Gase haben ein ODP: Ozone depleting potential. Sevofluran und Desfluran haben an dieser Stelle kein ODP, sehr wohl aber Halothan (das heutzutage mancherorts immer noch verwendet wird), und N2O!

N2O ist sowieso ein Thema für sich, weil es zwar ab und zu auch noch in der Anästhesie verwendet wird, aber auch in (Zahn-)Arztpraxen, Geburtsstationen, aber auch in der Landwirtschaft entsteht oder der Großindustrie. Es ist an dieser Stelle schwierig zu sagen, wieviel Anteil wirklich von der Anästhesie ausgeht. Deshalb wird es häufig in betrachtenden Studien exkludiert.

Jetzt haben wir viel über Treibhauspotentiale, Verweildauern in der Atmosphäre und der Schädigung der Ozonschicht gehört. Diese Erkenntnisse sind leider nicht alle total neu, sondern erschreckend alt – und es wurde nichts unternommen. Seitdem ich Schulkind war, höre ich vom Treibhauseffekt. Aber was wurde geändert? Ich will mal sagen: alles sehr schleppend. Sicher sind Treiber der globalen Erwärmung vor allem große CO2-Emittenten wie die Automobil-, Großindustrie oder auch die Kohleverstromung.

Auch wir Anästhesisten sollten unseren Beitrag leisten

Um unsere Erde lebenswert zu halten, sollten wir aber an allen Stellschrauben drehen, die uns einfallen. Das Argument mit „andere sind ja viel schlimmer als wir Anästhesisten“ ist in meinen Augen nicht valide. Wir sollten mit aller Gewalt versuchen, das Ruder der Erderwärmung herumzureißen, und alle Möglichkeiten zu ergreifen, die uns zur Verfügung stehen.

Was können wir also als Anästhesisten tun?

  1. Minimal-Flow Narkosen fahren. Je weniger Flow, desto weniger wird in die Umwelt geblasen
  2. N2O und Desfluran vermeiden wegen GWP und bei Lachgas auch der direkten Ozonschädlichkeit. Desfluran ist sowieso ein überflüssiges Gas in meinen Augen und damit haben wir wieder einen Sargnagel mehr dafür
  3. Alternative Betäubungsverfahren nutzen, wo möglich: TIVA oder regionale Verfahren

(kurzer Einwurf bezüglich TIVA: Unsachgemäßes Verwerfen oder Entsorgen von Propofol kann auch in erheblichem Maß die Umwelt schädigen, deswegen ist das leider auch nicht die Lösung aller Probleme)

Ausblick: Industrielle Lösungen sind in Arbeit

Andere Lösungen gibt es bereits oder befinden sich im Zulassungsverfahren. Baxter zum Beispiel (keine Werbung, bloße Googelei an dieser Stelle) arbeitet an Narkosegasfiltern, die die Gase im Exspirationsschenkel chemisch binden (CONTRAfluran, Sensofluran). Die vollen Filter werden von der Firma wieder aufbereitet und die Gase getrennt, gereinigt und wieder verkauft. Wenn das alles funktioniert, haben wir hier einen echten Kreislauf ohne Belastung für die Atmosphäre. Genial!

Weiterführende Webinare und Videos findet ihr hier: https://www.baxterprofessional.de/de/videos-anaesthesie

Es gibt übrigens auch ein „Forum Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie“ der DGAI, die sich genau um solche Themen kümmern.

Der Beitrag ist jetzt schon sehr lang geworden, und wir haben uns bloß um die Narkosegase gekümmert. Unbeachtet sind bisher noch der ganze Einweg-Kram und die damit verbundenen Life-Cycle-Assessments und CO2-Bilanzen. Das kommt vielleicht in einem Folgebeitrag. Wie ist das bei euch geregelt? Gibt es eine Awareness hinsichtlich Umweltverträglichkeit von Narkosegasen? Schreibt mir gerne was in die Kommentare

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

2 Kommentare

  1. Ich bemühe mich sehr, Narkosegase einzusparen und nehme Sevo, wo ich kann. Leider gibt es viele „faule“ KollegInnen, die nicht bereit sind, die erhöhte Aufmerksamkeit, die eine minimal flow Narkose benötigt, zu investieren. Ein Liter Frischgasflow nehmen die meisten.
    Auch der Chef, dem eigentlich doch besonders daran gelegen sein sollte, wirtschaftlich zu arbeiten. Nicht mal auf die Vorhaltung von Lachgas mag er verzichten.
    🙁

    • Lachende Sonne auf 17. August 2022 bei 17:47
    • Antworten

    Viele Narkoseärzte wissen leider nicht, dass es ein neues Narkosemittel gibt, das weniger toxisch und umweltbelastend ist als alle kommerziellen Narkosemittel weltweit. Es ist das ultrakurzwirkende Benzodiazepin: Remimazolam (Paion)!
    Vorteile: kaum Umweltbelastung, senkt den Blutdruck kaum, Patienten schneller fit beim Aufwachen, senkt die Mortalität aufgrund des geringeren Blutdruck und Herzfrequenzabfalls, wird weder durch Leber noch Niere abgebaut: Patienten mit Nieren/Leberinsufgizienz profitieren, keine Rhabdomyolyse, kein Injektionsschmetz. Zulassung Vollnarkose wird Ende 22 erwartet.

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