Dosieraerosole und Narkosegase

 

Eine Frage hatte mich über das Kontaktformular erreicht, die einfach zu schön war, um nicht daraus einen Artikel zu machen. Zur Erörterung der Frage schlagen wir den Bogen von der Chemie über das physikalische Messprinzip hin zur konkreten Lösung (EDAIC Style). Schöne Grüße an dieser Stelle nach Würzburg und nochmals Danke für die Frage 🙂 :

Wenn man Berodual in einen Tubus bei laufender Narkose sprüht, zeigt das Narkosegerät für einen kurzen Moment Halothan an. Wie ist das möglich?

Unstrittigerweise wird man wohl kaum heutzutage (im deutschsprachigen Raum) Halothan verwenden. Aber irgendetwas verwirrt da doch den Narkomaten… oder ist das ein Gespenst? Apropos Gespenst: Da hatte ich auch einen Artikel zu geschrieben (Tablettenreste im Stuhlgang).

Messprinzip von Narkosegasen: Infrarot-Absorption

Beginnen müssen wir mit dem Messprinzip für Narkosegase. Heutzutage findet das über Infrarot-Absorptionsspektrometrie statt. Das heißt: IR-Licht bestimmter Wellenlängen wird durch das Testgas geschickt und dort zu einem gewissen Teil absorbiert. Am anderen Ende messen wir, wieviel auf der Strecke verloren gegangen ist bzw. absorbiert wurde.

Dazu muss man wissen, dass kovalente Bindungen in der Struktur der gasförmigen Stoffe für die Absorption verantwortlich sind. Genauer gesagt kovalente Bindungen zwischen unterschiedlichen Atomen.

Warum betone ich das? Naja, die meisten Narkosegase und auch das CO2 haben Bindungen zwischen unterschiedlichen Atomen und können folglich über dieses Verfahren gemessen werden.

Sauerstoff muss paramagnetische gemessen werden

Unser Sauerstoff, immerhin ein doch recht wichtiges Gas fürs Überleben, besteht aber nur aus zwei gleichen Atomen und muss deshalb anders gemessen werden. Das Verfahren an dieser Stelle basiert auf dem paramagnetischen Prinzip, würde an dieser Stelle aber zu weit vom eigentlichen Thema abweichen. Vielleicht irgendwann mal etwas dazu.

Ein kurzer Einwurf noch zum Thema EDAIC: Dort wird sehr gerne gefragt, aus was für einem Glas die Messküvette für die Narkosegasmessung besteht. Antwort: Kristallglas. Normales Fensterglas absorbiert das benötigte IR-Licht, sodass natürlich keine Messung möglich wäre.

Anhand der charakteristischen Absorptionsspektren für jedes Narkosegas kann das Gerät die Gase sogar selbst unterscheiden. Früher musste man da noch von Hand nachhelfen. An sich also eine coole Sache.

Struktur vergleichen, dann IR-Absorptionsmaxima

Schauen wir uns wegen der Fragestellung von Halothan versus Berodual erst mal die Strukturformel von Halothan an:

Quelle: Wikipedia

Die Maxima der IR-Absorption liegen um die 1100-1300nm. Soweit, so gut.

Da wir nicht davon ausgehen, dass das beobachtete Verhalten ein grundsätzlicher Systemfehler ist (der Programmierung o.ä.), sondern wahrscheinlich eine Interferenz mit einem anderen Stoff, prüfen wir nun die Inhaltsstoffe von Berodual.

Infrage kommen:

  • Fenoterol
  • Ipratropium
  • Zusatzstoffe

Fenoterol hat eine deutlich komplexere Strukturformel als Halothan. Die Google-Bildersuche offenbart dann auch, dass das Absorptionsmaximum offensichtlich bei von Halothan weit entfernten 220nm liegt (vs. 1100nm). So haben wir zwei Gründe, die gegen Fenoterol als Auslöser sprechen.

Bei Ipratropium verhält es sich ähnlich und auch das Absorptionsmaximum liegt wieder bei ähnlichen 220-270nm. Kein Treffer…

Es muss ein Zusatzstoff sein!

Also müssen wir uns den Zusatzstoffen widmen: Citronensäure, Ethanol, Wasser. Über eine bekannte Suchmaschine bin ich dann noch auf etwas anderes gestoßen, nämlich das Treibgas für das Dosieraerosol: Norfluran.

Eine kurze Recherche fördert eine ziemlich ähnliche Struktur zutage, wie wir sie oben schon beim Halothan gesehen haben:

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia

Zugegeben, die Winkel der Atome zueinander sind etwas anders, aber vom Prinzip der Verkettung, der Anzahl der Fluoratome (4 vs. 3 beim Halothan), ist das schon sehr ähnlich. Außerdem klingelt doch der Name: -fluran… -fluran…; wie unsere Narkose-Flurane!

Der zweite Schritt ist dann wieder die Verifizierung der Ähnlichkeit über die IR-Absorptionsmaxima.

Das lässt sich für die Gase Halothan und Norfluran über die kostenlose Online-Datenbank von Gasmet machen (die bauen offensichtlich Gasanalysatoren).

Siehe da: Halothan und Norfluran sind ziemlich ähnlich in ihren Peaks bei 1100, 1200 und 1300nm. Das muss die Lösung für die Frage sein, und damit ende ich hier.

Zusammenfassung

Ich möchte mich noch einmal für die Einsendung der interessanten Frage bedanken. Wir konnten auf diese Weise die Theorie der Gasmessung im Narkosegerät mit einer konkreten Problemstellung verbinden und physikalisch erklären, warum das Gerät Halothan messen muss. Es ist immerhin ein Narkosegerät und erwartet Narkosegase – wenn etwas anderes in den Kreis gerät, muss es zwangsläufig verwirrt werden bei fast identischem Absorptionsspektrum der Stoffe.

Mir hat es viel Spaß gemacht, danach zu recherchieren. Gerne dürft auch ihr Fragen stellen und mich kontaktieren. Ich garantiere für nichts, aber manchmal kriegt man ja doch ganz interessante Sachen raus.

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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  1. […] als Einwurf: Ihr erinnert euch vielleicht noch an den Beitrag über Norfluran, das als FCKW Ersatz im Berodual-Spray enthalten ist, und Dräger-Gasanalysatoren […]

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