Anästhesie bei Elektrokrampftherapie

 

Heute ein Fall, mit dem sich die meisten Anästhesisten in Deutschland vermutlich nie werden auseinander setzen müssen: Kurznarkosen für Elektrokrampftherapien, kurz EKT.

Im ersten Moment klingt es wie in einem schlechten Film: Dem Patienten werden Elektroden an die Schläfen geklebt. Sodann erfolgt die Auslösung eines Grand Mal-Anfalls über die Elektrostimulation des Gehirns (man könnte sagen: Das Gehirn wird geschockt!) Immerhin unter Narkose. Laut GBA wird diese Methode hierzulande bei etwa 1000 Patienten im Jahr angewandt. Verrückt.

EKT ist erwiesen und  hochwirksam

Zunächst etwas zur Methode an sich. Es handelt sich offenbar um eine hochwirksame Möglichkeit, schwerwiegende psychiatrische Krankheitsbilder zu behandeln. Indikationen sind insbesondere therapieresistente:

  • Major Depression
  • nicht lebensbedrohliche Katatonie
  • Manien

Wir merken schon: „therapieresistent“. Bevor man einem Patienten Strom in den Kopf jagt, muss schon was passieren.

Dabei ist die Methode an sich sicher und liegt mit einer Komplikationsrate von ~1:50.000 bei ungefähr dem allgemeinen Risiko für Vollnarkosen. Insbesondere kardial vorgeschädigte Patienten sind gefährdet. Das hat etwas mit der Pathophysiologie zu tun, die durch den Stromstoß ausgelöst wird (s.u.)

In der Tat ist die Methode so wirksam, dass sie sogar lebensrettend sein kann. Man denke nur an die Suizidrate bei schwer Depressiven (20x höher als in der Normalbevölkerung!). Die Datenlage ist belastbar vorhanden, und sogar die Bundesärztekammer hat sich genötigt gefühlt, eine Stellungnahme für die Methode zu veröffentlichen[2]. Auch in den Leitlinien der DGPPN hat sie einen festen Platz.

Bereits 1934 wurde beobachtet, dass Patienten mit schweren Depressionen nach spontanen Krampfanfällen plötzlich Besserung erlebten. Nach einigen pharmakologischen Versuchen landeten Cerletti und Bini 1938 bei der Elektrotherapie[1]

EKT für Anfänger

Es werden mehrere Sitzungen durchgeführt (8-12) im Abstand von 2-3 Tagen, bei denen meist unipolar, das heißt auf der nicht-dominanten Hirnhälfte, der Krampfanfall ausgelöst wird.  Der Krampfanfall soll mindestens 25-30s andauern.

Da das alles eher in die Kategorie „unangenehm“ zu verorten ist, muss an dieser Stelle ein Anästhesist dafür sorgen, dass die Patienten das gut überstehen. Sonst wäre es ja wirklich wie in einem schlechten Horrorfilm.

Dafür wird ein übliches Standardmonitoring angelegt: 3-Kanal-EKG, Pulsoxymetrie, Blutdruckmessung. In den Artikeln steht immer etwas von „Sauerstoffbeatmung“. Süß ;P Hinzu kommt ein EEG, das den Krampfanfall dokumentiert.

Erschwerend an der ganzen Geschichte ist, dass diese Art von Narkose häufig in sehr abgelegenen Bereichen / Kliniken durchgeführt wird, wo bei Problemen nicht so schnell Hilfe zu erwarten ist. Deshalb sollte das Personal gut ausgebildet und eine entsprechende Notfallausrüstung zur Verfügung stehen.

Die Narkoseführung ist klassisch kurz gehalten

Es wird eine übliche Kurz(-voll)narkose eingeleitet, inklusive Muskelrelaxation. An dieser Stelle bieten sich Propofol und Succinylcholin wegen ihrer Wirkzeit an (oder als Alternative Rocuronium/Sugammadex).

Es geht bei dieser Therapie um den Krampfanfall im Gehirn und die unkontrollierten Entladungen der Neurone, nicht aber um das periphere Bild der Muskelkonvulsionen. Da dadurch natürlich Schäden entstehen könnten (bis hin zu gebrochenen Wirbeln, luxierten Hüften oder Zahnschäden), ist die Relaxierung ein wichtiger Baustein. Für die Apnoe-Phase reicht in der Regel eine einfache Beutel-Masken-Beatmung aus.

Manchmal wird ein Arm von der Relaxanswirkung ausgespart mittels Blutsperre vor Injektion der Relaxierung, um ein sichtbares Korrelat der zentralen Konvulsionen zu haben. Durch die EEG-Ableitung ist das aber nicht zwingend nötig.

Pathophysiologie des Grand Mal Anfalls

Sobald der Patient schläft, kann der Stromimpuls verabreicht werden, mit ~850mA bei 26Hz für bis zu 5 Sekunden. Es folgt im Prinzip ein Grand Mal Anfall:

  • kurze Latenzphase
  • tonische Phase mit generalisierter Kontraktur aller Muskeln für etwa 15 Sekunden
  • klonische Phase für 30-60 Sekunden

In der tonischen Phase überwiegt eine Parasympathomimese mit vagaler Stimulation, die zu ausgeprägten Bradykardien führen kann.

In der folgenden klonischen Phase überwiegt eine Sympathomimese mit Tachykardie, Hypertonie und massiver Katecholaminausschüttung. Entsprechen steigen nun auch der Sauerstoffbedarf von Herz und Hirn massiv an.

Kontraindikationen betreffen vor allem den gesteigerten O2-Bedarf

Anhand dieser Sequenz erschließen sich die Kontraindikationen:

  • Herzinfarkt < 3 Monate
  • schwerste kardiopulmonale Vorerkrankung
  • schwerer Hypertonus
  • erhöhter Hirndruck
  • intrazerebrale Raumforderung
  • akuter Glaukomanfall

Interessanterweise sind laut BÄK keine Kontraindikationen: Herzschrittmacher oder Schwangerschaft [3]!

Ich bin immer wieder erstaunt, was es nicht alles gibt. Wie seht ihr das? Schon mal bei so etwas beigewohnt?

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

1 Kommentar

  1. Während einer Famu in der Psychiatrie war ich bei ein paar EKTs dabei und fand es ungemein spannend, auf der einen Seite die Physiologie/Pathophysiologie dahinter, auf der anderen Seite auch die Bedeutung der Kommunikation mit den Patient:innen vor der Kurznarkose (mal eben eine EKT zwischenschieben ist schwierig 😀 Es wurde aber immer ein ruhiges, ausreichend großes Zeitfenster organisiert, sodass alles ganz in Ruhe ablaufen konnte). Ich hoffe, dass ich als angehende Anästhesistin die Gelegenheit haben werde, wieder bei EKTs dabei zu sein 🙂

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