Lokalanästhetika Resistenz??

 

Immer mal wieder wird von einer Lokalanästhetika-Resistenz berichtet. Die Beweisführung dafür gestaltet sich aber im klinischen Alltag recht schwierig. Immer ist es möglich – und sicher auch wahrscheinlicher – , dass der Anwender bzw. Anästhesist leider die Betäubung nicht erfolgreich anlegen konnte. Also eher ein technisches Ding: Den Nerven nicht richtig erwischt mit Stimulator oder Ultraschall. Oder eben bei rückenmarknahen Verfahren eine Nadeldislokationen während der Injektion und ähnlich nervige Dinge. Ich hatte auch schon mal eine völlig normale Spinalen-Anlage, die aber total verzögert gewirkt hat (Effekt B 20min nach Spritzen): eine erneute Punktion mit einer anderen LA-Charge brachte dann das gewünschte Ergebnis!

In manchen Fällen scheint es aber dennoch eine echte teilweise oder sogar völlige Resistenz gegenüber Lokalanästhetika zu geben. Die Studienlage dafür ist recht dünn, weil es sich um ein ausgesprochen seltenes Phänomen handelt. Viele Autoren scheinen nicht so recht daran zu glauben, wenn man mal auf Pubmed nach „Local anesthetic resistance“ sucht. Meist wird die „resistance“ in Anführungszeichen gesetzt, das sagt wohl schon alles.

Wie kommt das? Naja, wenn man sich den Wirkmodus der Lokalanästhetika noch einmal vergegenwärtigt, kann man das schon im ersten Moment nachvollziehen.

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Allgemeine Pharmakologie

Grundsätzlich handelt es sich um Klasse Ia Antiarrhythmika, also Natrium-Kanal-Blocker. Vor allem geht es hier um den spannungsgesteuerten Natrium-Kanal, der sich während der Erregungsbildung im Axon öffnet und für einen massiven Natrium-Einstrom in der Zelle sorgt. So weit so gut.

An welcher Stelle jetzt die Lokalanästhetika genau angreifen, ist gar nicht endgültig klar. Was wir wissen, ist, dass sie in unprotonierter Form erst die Zellmembran durchdringen können. Je näher der pH-Wert im Gewebe am pKs Wert der LA ist, desto mehr unprotonierte Form liegt vor, und desto mehr kann in die Zelle diffundieren. Der pKs-Wert für Lidocain liegt bei 7,9, der von Bupi-/ und Ropivacain bei 8,1 (EDAIC lässt grüßen). Deswegen wird manchmal empfohlen, sie mit Bikarbonat anzumischen, um die Anschlagszeit der Betäubung zu verkürzen. Aber das nur nebenbei.

Die unprotonierte Form des Anästhetikums dringt in die Zelle ein. Ein möglicher Mechanismus ist nun das „Zuquellen“ der Natriumkanäle innerhalb der Zellmembran, also quasi von lateral. Dafür muss das LA sich in der Membran anreichern und von allen Seiten den Ionenkanal blockieren.

Die andere, geläufigere Theorie ist, dass die unprotonierten Moleküle im sauren Zellmilieu (der liegt in der Zelle im Schnitt bei ~6,8!) wieder protonieren, dort gefangen sind („ion trap“), und dann von innen den Natrium-Kanal „verstopfen“, also von innen binden.

9 Unterformen des Natriumkanals sind bekannt

Von den spannungsgesteuerten (V) Natrium-Kanälen existieren 9 Subtypen. Sie werden benannt: NaV1.1 bis NaV1.9; sie unterscheiden sich vor allem in der regulatorischen Beta-Untereinheit; wichtig ist aber vor allem die Alpha-Untereinheit, die ein langes Protein ist, und den Ionenkanal verschließt oder halt passierbar macht.

Und –  ihr ahnt es schon – wenn wir uns auf so einer molekulare Ebene bewegen, sind auf einmal doch Modi denkbar, wie man resistent werden könnte. Es könnte eine einfache Punktmutation in einem Kanalprotein geben, die das Andocken der Lokalanästhetika erschwert oder sogar verhindert. Clendenen et al. haben so einen Verdacht aufgestellt bei 3 Verwandten, die alle mehr oder weniger resistent auf LA sein sollten[3]. Die identifizierte Punktmutation lag an Stelle A542D (Alanin durch Aspartat ersetzt), allerdings im NaV1.5, der nicht primär peripher exprimiert wird.

Man denke auch an das Tetrodotoxin, mit dem wir alle in der Physiologie konfrontiert wurden. Dieses – ursprünglich aus dem Kugelfisch gewonnene – Gift kann genau „unsere“ Natrium-Kanäle blockieren. Es gibt aber Tiere, die eine Resistenz dagegen entwickelt haben, suprise surprise[2]. Wir bewegen uns hier also nicht im Rahmen der puren Fiktion, sondern, auch wenn es selten ist, im Rahmen des Möglichen.

Genetische Variationen der spannungsgesteuerten Natriumkanäle wurden bereits auch beim Menschen mit kongenitalen Schmerzsyndromen in Verbindung gebracht (z.B. [1])

Was die Autoren um Clendenen et al. noch zeigen konnten: Lokalanästhetika interferieren nicht ausschließlich mit Natrium-Kanälen. Weiterhin interagieren sie mit Ca2+– und auch K+-Kanälen. Es könnte sich also um ein komplexeres Zusammenspiel handeln. Vielleicht hat der NaV1.5-Kanal eine regulatorische Aufgabe im Rahmen der Schmerzbildung? Vielleicht beeinflusst dieser Kanal auch die Schmerzmodulation im ZNS? Ihr seht schon: Das Thema bietet noch viel Potential für Forschung!

Weitere Ursachen für herabgesetzte LA Wirksamkeit

Davon abgesehen, wurden in anderen Publikationen Beobachtungen gemacht, dass Opiat-gewohnte Ratten auch eine gewisse Resistenz gegenüber Lokalanästhetika ausprägten; also dass zentral wirksame Opiate die peripher wirkenden Lokalanästhetika in ihrer Wirkstärke hemmten. Wie dort der Zusammenhang ist, ist nicht abschließend geklärt. Außerdem handelt es sich hier um präklinische tierexperimentelle Studien (ex vivo). Das Patientenklientel mit chronischen Schmerzen ist sicher sowieso ein schwieriges Patientengut, um ganz eindeutige Kausalitäten nachzuweisen.

Anekdotisch scheinen auch Intoxikationen mit Skorpiongift (Veratridin) eine gewisse Resistenz zu verursachen[4]. Der Grund soll hier in der Bildung von Antikörpern liegen, die auch Lokalanästhetika „abfangen“. Skorpiongift ist, nebenbei gesagt wie viele Tiergifte, übrigens auch ein Natrium-Blocker. Da schließt sich der Kreis.

Zusammenfassung

Lokalanästhetika-Resistenzen sind äußerst selten echte Resistenzen. Meist wird das Scheitern einer Lokal- oder Regionalanästhesie am Anwender liegen (so leid es mir tut 😉 ). Es wird in der Literatur aber immer wieder beschrieben, wenn auch wirklich äußerst sporadisch.

Rein mechanistisch ist eine Resistenz aber denkbar aufgrund von Mutationen des spannungsgesteuerten Natrium-Kanals oder Antikörpern, die die Moleküle abfangen, bevor sie ihre Wirkung entfalten können.

Eine chronische, hohe Exposition von Opiaten kann eventuell ebenfalls eine Resistenz auslösen. Es fehlen aktuell aber belastbare weitergehende experimentelle Studien.

Ist euch schon mal ein Fall passiert, wo ihr euch zum Verrecken sicher wart, dass die Betäubung sitzen muss; und sie es einfach nicht tat? Schreibt  es mir gerne in die Kommentare 🙂

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

13 Kommentare

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  1. Ich habe eine Resistenz bei Lokalanästhesie *Zahnarzt(.
    Er Ann es auh nicht glauben. Er kann Spritzen da bin ich mir sicher. Teilweise musste er 10 mal Buchseiten, auch die waren nach 45 min. wieder verstoffwechselt.
    Ih nehme keine Opiate oder dergleichen.
    Bis vor wenigen Jahren hatte ich damit auch keine Problem.
    Gibt es dafür eine Erklärung? Mein Zahnarzt gat keine..
    Jeder Ingriff wird für mich zur echten Herausforderung.

    1. Lokalanästhetika- Resistenzen kommen beim Ehlers- Danlos- Syndrom vor. Leiden Sie an einer Überbeweglichkeit der Gelenke?
      Die wiederholten Versager auch von einfachen Anästhesien sind suggestiv hierfür.
      Dies gilt auch für die anderen Beiträge auf dieser Homepage.

  2. Ich hab 30 ml ax.plex, dann Ober noch 30 ml ( beide Mischung Prilo plus Ropi, dual guidance). Nach Lama könnte die Pat. sich zudecken und erzählte uns, dass bei ihr hat auch Zahnarzt Probleme gehabt.
    2 Fall: Prof. doppelte sichere Spa (5 ml hyperbar, Liquor beide Male am Ende zu sehen), Sedation 7mg KgKG.h Propofol+20 Sufenta-Bolus und der Hippie sprach mit uns. LG

  3. Bei mir ist es auch so, nicht nur beim Zahnarzt, auch bei lokaler Anästhesie eines Fingers (nach der nicht angenehmen Spritze zu urteilen, hatte er getroffen), im Gesicht und einer Materialentfernung am Bein mit Spinalanästhesie, die nicht wirkte. So ein Skalpell im Bein tut wirklich weh, nähen geht dagegen. Und das schlimmste ist jedes Mal der Spruch: oh, das hätte ich jetzt aber nicht gedacht, da hatten Sie ja doch Recht. Vollnarkosen hingegen wirken sehr gut. Meine Schwester reagiert ähnlich.

    • Carmen Albert auf 19. Januar 2023 bei 17:00
    • Antworten

    Naja, ich hab da schon so einiges durch. Egal ob beim Zahnarzt, bei Operationen der Hand, oder bei der Geburt meiner Tochter. Ganz wunderbar ist nur immer, dass man erst ausgelacht wird, weil es so etwas ja gar nicht geben kann, und jeder Anästhesist bis dato der Meinung war, dass er ja ein Fachmann sei, und ihm würde das sicherlich nicht passieren. Und dann passiert es doch, hab’s ja gesagt, und schon bricht Panik aus, und man möchte mich am besten sofort in die nächste Uniklinik bringen, um das Mal genauer zu untersuchen. Allerdings geht es mir auch mit diversen Schmerzmitteln so, die wirken einfach nicht, und mit Schlafmitteln auch, ich merk nix.

  4. tatsächlich bin ich gerade auf der Suche nach einer Forschung über diese Thematik, da ich genau dieses Problem habe. Schon in meiner Kindheit, musste mir der Nerv eines Schneidezahn am Ende ohne Betäubung gezogen werden, da diese nicht angeschlagen hat. im weiteren Leben hatte ich noch drei Eingriffe, welche abgebrochen und auf eine Vollnarkose verschoben werden mussten.

    1. Siehe den Fallbericht über Lokalanästhetika- Resistenz (im Google) oder https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35718562/

  5. Hallo,

    ich hatte im April einen Kaiserschnitt gehabt. Dabei hatte ich, starke Schmerzen verspürt trotz Narkose und das von Anfang bis Ende des Vorgangs. Als ich gesagt habe dass es sehr wehtut, hatte man mich betäubt. So konnte ich mich nichtmal mehr äußern. Die Schmerzen aber, blieben gleich. Das war ein Alptraum. Ich muss noch erwähnen, dass ich schon mal einen Kaiserschnitt hatte. Das vor 16 Jahren (2007). Deswegen kannte ich den Unterschied. Damals hatte ich nämlich nur einen Druck verspürt und hatte keinerlei Schmerzen.
    Die Frage dazu: wie kann das möglich sein, dass sich mein Körper so verändern konnte innerhalb 16 Jahre, oder haben einfach die Anästhesisten versagt?
    Freundliche Grüße

    1. Das dumpfe Gefühl, das Sie von vor 16 kennen, ist so richtig, alles andere nicht.

      Das klingt nach einer fehlgeschlagenen bzw. nicht ausreichend wirksamen (=hohen) Spinal-/Periduralanästhesie, was leider schon mal passieren kann. Eine Resistenz ist so selten, dass ich da erst mal nicht von ausgehen würde.

      Das Management danach klingt leider überhaupt nicht gut, aber lässt sich ohne Unterlagen von hier aus nicht endgültig bewerten (und biete ich auf einem öffentlichen Blog auch nicht an).

      Grundsätzliche Möglichkeiten bei teilweiser Wirkung: Versuch mit Mitteln über die Vene zu puffern; ansonsten neu punktieren oder Vollnarkose…

  6. Ich versuche mich aus privaten Gründen über dieses Thema zu informieren. Auch bei mir gab es schon im Kindesalter bei Zahnarztbesuchen mit Lokalanästhetika Probleme. Damals wurden die „Schmerzen“ als Angst abgetan. Erst als ich dann im Erwachsenenalter eine Füllung brauchte wurde ich mir diesem Phänomen bewusst. Auch der Zahnarzt stutze weil ich auch nach maximaler Dosierung (lt. Aussage des Arztes) noch genau sagen konnte wann sein Instrument die eigentlich betäubte Stelle berührte. Kürzlich hatte ich dann eine Magenspiegelung auf die zwei weitere mit minimal invasivem Eingriff folgten. Sehr beeindruckt gab der Anästhesist an ich brauchte pro Eingriff mindestens 700mg Propofol. Dabei fühle es sich für mich nicht einmal nach einem „knock-out“ an, ich kann mich sogar noch lebhaft an Träume während der Eingriffe erinnern. Etwas überrascht hat mich, dass über dieses Phänomen recht wenig zu finden ist und ich bin neugierig über mögliche Ursachen oder Zusammenhänge. Denn von Zufall oder falscher Dosierung auf Arztseite gehe ich nicht mehr aus.

  7. Endlich mal ein Artikel zu diesem Thema…. bei mir ist es ebenfalls so, dass eine lokale Betäubung nicht anschlägt. Das wurde vergangenes Jahr festgestellt. Heute hätte mein Sohn mit 19 Jahren alle vier Weißheitszähne raus bekommen sollen und was soll ich sagen: dreifache Dosis der „LMAA“ Tablette nahezu wirkungslos und lokale Betäubung ebenfalls ohne Auswirkung auf die Nerven.
    Gibt es eine Möglichkeit sich hier testen zu lassen? Ich stelle mir das im Notfall wirklich problematisch vor

    • Florian Marti auf 8. Februar 2024 bei 20:29
    • Antworten

    Wie viele erfolglose Lokalanästhesien oder Regionalanästhesien haben Sie bereits erlebt? Einzelne Versager sind immer möglich und noch keine Lokalanästhetika- Resistenz; andere Gründe sind viel häufiger. Ebenso bei Ihrem Sohn: War es das erste Ereignis oder gab es früher bereits welche? Das Ziehen von (Weisheits-) Zähnen kann auch bei korrekter Betäubung sehr unangenehm sein. Bei wiederholten erfolglosen Lokalanästhesien muss man an eine echte Lokalanästhetika- Resistenz denken. Dann stellt sich auch gleich die Frage nach einem Ehlers- Danlos- Syndrom (Überbeweglichkeit der Gelenke?).
    Ein standardisierter Test ist mir nicht bekannt. In einem Fallbericht wurde eine Patientin getestet, ohne schlüssiges Resultat („Versagen der Lokalanästhesie
    Technische Unzulänglichkeit oder echte Resistenz?„). Man dürfte einem Test aber auch nicht zu viel Bedeutung geben, denn auch Patienten mit einer beschriebenen Lokalanästhetika- Resistenz können erfolgreiche Lokalanästhesien haben und umgekehrt. Das heisst dann im Einzelfall: ausprobieren, hohe Dosierung, Geduld und notfalls eine Vollnarkose.

  8. nun, zumindest funktiuniert lidocaion als oberflächenanästhetikum in der mundschleimhaut nicht bei mir. weder spray noch das bananengel.
    injection von derivaten funktinieren, aber weniger lang. es wäre durchaus interessant zu sehen, ob es da eine veränderung gibt bei menschen die das beobachten- allerdings ist es ja auch nicht essentiel.

  1. […] gewünschte Themen vom Gewinnspiel letztes Jahr habe ich thematisch untergebracht: Lokalanästhetika-Resistenz (und Wirkweise auf Youtube), ROTEM, SBAR und […]

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