Abdominelles Kompartmentsyndrom

 

Ein Kompartmentsyndrom setzt ein begrenztes Kompartment voraus. Normalerweise meinte man im Studium damit vor allem den Unterschenkel, weil dort zwischen den Knochen und Faszien wenig Platz bleibt, wenn da etwas einblutet oder schwillt. Schäden an den passierenden Strukturen, v.a. Nerven und Gefäßen, können die Folge sein. So hört man es häufiger.

Aber auch das Abdomen ist für sich genommen ein Kompartiment. Es ist zwar ziemlich groß, verglichen mit anderen Kompartimenten, aber es ist in sich auch abgeschlossen. Grundsätzlich wäre da genug Volumen in der Bauchhöhle, dass ein Mensch komplett hinein verbluten könnte; aber jedes Volumen ist auch irgendwann mal ausgefüllt, geschwollen, etc. Dazu in diesem Artikel mehr.

Kurzum: Das abdominelle Kompartmentsyndrom führt zu einer Einengung und Kompression von Strukturen in der Bauchhöhle mit entsprechenden Dysfunktionen.

Der IAP ist das Maß für den Kompartmentsyndrom-Verdacht

Ein Maß für den Druck in der Bauchhöhle ist der IAP: Intraabdominal Pressure. Er kann in Grade eingeteilt werden[1]

  • normalerweise liegt er bei 5-7mmHg
  • eine intraabdominelle Hypertension beginnt bei 12mmHg und
  • das abdominelle Kompartmentsyndrom bei Drücken über 20mmHg

Die Messung indes findet über einen speziellen Blasenkatheter mit Druckaufnehmer statt. Man spricht von einer intravesikalen Druckmessung.

Bereich 1: Laparoskopie im OP

Das erste und einfachste, an das man denken kann, ist die Laparoskopie. Dort wird ja nun CO2 in die Bauchhöhle geblasen, bis sich das parietale vom viszeralen Blatt des Peritoneum löst und man einen gewissen artifiziellen Hohlraum hergestellt hat. Dort kann man dann hoffentlich (mehr oder minder geschickt) mit seinen Instrumenten navigieren. Dafür wird natürlich solange Gas hinein gegeben, bis die Bauchdecke sich dann endlich mal hebt.

Der resultierende IAP wird übrigens an den Insufflatoren angezeigt. Er sollte in der Regel unter 15mmHg liegen. Drücke darüber sind schädlich und sollten vermieden werden (dazu weiter unten mehr). Als Sofortmaßnahmen kann man zum Beispiel die Narkose vertiefen oder relaxieren.

Manchmal hat auch die Lagerung etwas damit zu tun, wie hoch der Druck und die Sichtverhältnisse für den Operateur sind. Wenn man einen Patienten wie ein Klappmesser aufklappt, hat man logischerweise eine hohe Spannung in der Bauchdecke. Da hilft auch alles Relaxieren oder Gas-Reinpressen nichts: Irgendwo ist halt eine physikalische Grenze erreicht, wie elastisch die Gewebe und die Haut an sich sind.

Bereich 2: Intensivstation, Sepsis, Volumenüberladung

Der andere große Bereich von erhöhten IAPs ist die Intensivmedizin. Exzessive Volumenzufuhr führt bekanntermaßen zu ubiquitären teils massiven Ödem, auch intraabdominell. Die Sepsis und das Trauma mit der Kapillarbarrierestörung sind da besonders gefährlich.

Morbid adipöse Patienten haben übrigens per se einen erhöhten IAP mit entsprechenden negativen Effekten.  Das sollte man auch noch mal erwähnen.

Die Folge von erhöhtem IAP sind an sich logisch herleitbar. Vor allem werden Gefäße durch den externen Druck komprimiert. Das betrifft die mukosale, also die Darm-Durchblutung. Ein schlecht durchbluteter Darm mag wiederum weniger gut arbeiten und ein paralytischer Ileus kann entstehen, was durchaus ein häufiges Problem bei vielerlei intensivmedizinischen Verläufen darstellt.

Die Durchblutung der Nierenarterien wird vermindert. Infolge dessen kann natürlich weniger filtriert und ausgeschieden werden. Auch hier wieder: Ein akutes Nierenversagen wird begünstigt, was bei kritisch kranken Patienten sowieso schon sehr häufig beobachtet wird.

In Bezug auf Narkosen kann es sein, dass eine Regurgitation begünstigt wird. Ob per se ein erhöhtes Aspirationsrisiko vorliegt, habe ich indessen bei meiner Recherche nicht finden können. Das obliegt dann jedem einzelne zum Einschätzen.

Maßnahmen zur IAP Reduktion

Da ein erhöhter IAP im Zweifel gravierende Folgen für den Patienten hat, sollte er bei Gefährdung zumindest im Auge behalten werden. Intraoperativ zeigt der Insufflator den aktuellen IAP an. Wenn der in die Höhe schnellt, stimmt irgendwas nicht (und wenn es der überambitionierte Operateur ist). Auf der Intensivstation geht es wie bereits geschrieben nur über die intravesikale Messung, na gut.

Zu allererst sollten meiner Meinung nach! trotzdem immer erst konservative Maßnahmen ergriffen werden. Lagerung in Bauchlage vermeiden, Relaxierung, Narkosevertiefung. Neostigmin oder andere Prokinetika können den Darm entleeren und somit natürlich auch den IAP senken. Bei massiver Volumenüberladung ist auch eine Dialyse denkbar, wenn der hämodynamische Zustand des Patienten es zulässt (das sind dann immer die Grenzfälle, für die wir alle – nicht – dankbar sind 😉 ). Perkutane Drainage bei Aszites wäre auch denkbar.

„Behandlung am offenen Abdomen“

Wenn alle Maßnahme nicht helfen, kann auch das Abdomen offen chirurgisch behandelt werden (Abdomen apertum). Damit entlastet man ziemlich effektiv den IAP. Das Problem schließt sich eher an: Wie kriegen wir das jetzt wieder zu?!

Tatsächlich gibt es sogar eine Klassifikation des offenen Abdomens[2], hier in verkürzter Form aufgeführt:

  • Grad 1: ohne Adhärenz zwischen Darm und abdomineller Wand oder Fixpunkt an der abdominellen Wand
  • Grad 2: entwickelnde Fixation
  • Grad 3: Frozen Abdomen
  • Grad 4: Etablierte enteratmosphärische Fistel; permantens enterales Leck ins offene Abdomen

Die Wunde wird üblicherweise über lange Zeiträume mit Vakuum-Behandlung therapiert und das ist dann der Zustand, den eigentlich niemand haben will…

Also: Immer schön an den IAP denken und versuchen, Ursachen – wo möglich – auszuschalten oder zu vermeiden 🙂

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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