Hulk am Arbeitsplatz: Pilotballon abreißen zum Entblocken ?!

 

Man ist ja immer wieder überrascht, was für Marotten sich so im Alltag einbürgern. Manche meiner Kollegen scheinen sich besonders heroisch zu fühlen, wenn sie wie Hulk in der Extubationsphase den Pilotballon des Tubus abreißen, um den Patienten sogleich vom Tubus zu „befreien“. Huaargh!

Lehrbücher lehren das aber nicht. Im Gegenteil. In „Die Anästhesiologie“ (Rossaint, Werner, Zwißler) wird davon ausdrücklich abgeraten: „Abreißen des Blockventils bewirkt nur ein unvollständiges Entleeren des Cuffs“. Da fehlt aber leider die Fußnote oder mögliche Folgen, deshalb ist es wohl nicht so wichtig. Oder etwa doch? Tatsächlich etwas komplizierter, als man landläufig denkt, aber mehr dazu an dieser Stelle hier 🙂

Wie kommt man überhaupt auf so eine gewalttätige, Testosteron-geschwängerte Methode? Man könnte auch einfach eine Spritze nehmen, und die Luft aus dem Block herausholen, wie sie da herein gekommen ist. Aber das kann schon mal viel verlangt sein. Offensichtlich. Ihr merkt, ich ärgere mich ein wenig.

Experimentelle Studie von Kamata et al.

Im Folgenden stütze ich mich auf eine experimentelle Arbeit von Kamata et al.[1]; Diese haben in verschiedenen Phasen untersucht, wie sich das Cuffvolumen entleert, wenn man den Pilotballon abreißt.

Die Tuben (ID 3,0 , 4,0, 5,0 und später 7,0) wurden mit einer Blockerspritze komplett entleert und dann mit dem aufgesteckten Konus einer Spritze, ohne Stempel, an den Umgebungsdruck äquilibriert, um eine einheitliche Ausgangslage zu haben.

Dann wurde in Phase 1 so viel Volumen insuffliert, bis der Innendruck des Cuffs im Bereich der empfohlenen 20-30mbar lag. Nach Abreißen des Pilotballons führten die Autoren eine stumpfe Kanüle in das frei liegende Ende ein und maßen den verbleibenden Cuffdruck und aspirierten über dieselbe Kanüle die restliche Luft. Für jede Tubusgröße wurde der Vorgang 10 Mal wiederholt.

In Phase 2 wurden die Tuben in eine Röhre platziert und geblockt, um die Verhältnisse in der Trachea zu simulieren.

Phase 3 bestand im selben Versuchsaufbau, diesmal aber mittels eines 7,0mm Tubus, der in die Trachea eines Ambu-Intubationstrainers eingeführt war. Damit kommen wir den in vivo Verhältnissen zumindest recht nahe.

In vivo Experimente führten die Autoren indes nicht durch. Ob man das jetzt noch unbedingt anschließen muss, ich bin da nicht von überzeugt…na gut.

Signifikante Restluft im Cuff konnte immer nachgewiesen werden

In jeder Phase wurde Restluft im Cuff nachgewiesen. Für die genauen Daten verweise ich an dieser Stelle auf den Originaltext. Kurz zusammengefasst:

  • Phase 1 (an der freien Luft): Das Restvolumen nach Abriss betrug zwischen 60 und 70%.
  • Phase 2 (eingeführt in die Teströhren): Der 3,0er Tubus hatte noch 46%, die Größen 4,0 und 5,0 aber noch 60% Residualvolumen
  • Phase 3 (im Intubationstrainer mit 7,0er Tubus): Durchschnittlich 70% Restvolumen!

Wir stellen also fest: Das Abreißen des Pilotballons ist ein Show-Akt, der überhaupt gar nicht effektiv ist. Er sieht nur gut / spektakulär aus für die umstehenden Leute. Sehr heroisch. Herzlichen Glückwünsch. Das gewünschte Entblocken erreicht man damit aber nicht.

Wenn man das Entblocken ernst meint, sollte man doch bitte mit einer Luer-Lock-Spritze da ran gehen. Punkt.

Eine Beobachtung machten die Autoren noch – und in Twitter ist das auch aufgekommen bei dem Thema: Beim Abreißen wird die Gummileitung sehr stark gedehnt, bevor sie reißt. Das kann dazu führen, dass die  restliche anhängende Leitung verschlossen wird und überhaupt keine Luft aus dem Cuff entweichen kann!

Selten und so, ja klar, trotzdem würde man dann einen vollständig geblockten Tubus herausziehen.

Ist das überhaupt gefährlich?

Stellt sich die etwas ketzerische Frage: Ist das überhaupt gefährlich?

Und tatsächlich scheint es keinen echten Beweis zu geben, dass das Extubieren mit unvollständig entblocktem Cuff einen Schaden verursacht. Es gibt sogar Autoren, die das als „neuartige Technik“ vorstellen, um Sekrete, die sich während der Narkose oberhalb des Cuffs angesammelt haben, herauszuholen[2]. Mit einem Absaugkatheter kommt da nachvollziehbarerweise nicht gut heran.

Auf der anderen Seite gibt es bis zum jetzigen Zeitpunkt meines Wissens nach keine Studie, die explizit  Extubationsschäden groß und systematisiert untersucht hätte. Schäden an den Schleimhäuten, den Aryknorpel und den Stimmbändern, bis hin zu Schwierigkeiten, den Tubus überhaupt herausziehen zu können sind alle denkbar, genauso eben wie bei der Intubation.

Warum sollte man das als Risiko eingehen wollen? Und genau genommen trägt ausschließlich der Patient das Risiko für solche Manöver, da sollte man sich immer drüber im Klaren sein.

Deshalb bin ich persönlich von der „alten Schule“ des vollständigen Entblockens überzeugt. Ihr dürft mir natürlich gerne Evidenz vorlegen, und ich passe mich an ;P So. Rant vorbei 😉 Hoffe, es war was Interessantes dabei.

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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