Kokosnuss als Infusionslösung

 

In Mangelszenarien wird der Mensch kreativ. In der Medizin ist das meist im Rettungsdienst der Fall. Aber auch in anderen medizinschen Szenarien ist die Kreativität der Mitarbeiter gefragt.

Was stellt man zum Beispiel mit einem Patienten mit Schluckstörung und intravenösem Substitutionsbedarf an, wenn die Infusionsflaschen leider nicht mehr auf Lager sind und das nächste Flugzeug mit Nachschub erst in einer Woche zu erwarten ist?

Die Kollegen Campbell-Falck et al. haben sich in ihrer Publikation aufgrund eigener Erfahrung solch einer Situation mit dem Thema der Kokosnuss-Infusion beschäftigt, als sie für einen Unterstützungseinsatz im Atoifi-Hospital auf der Inselgruppe der Salomonen eingeteilt waren.

Die Flüssigkeit in der Nuss entsteht quasi steril, weil sie nie einen Kontakt zur Außenwelt hatte. Deshalb liegt auch der Gedanke nahe, dass man sie zur Infusion nutzen könnte:

  • Eine kleine Kanüle zur Entlüftung in eines der kleinen „Augen“ stecken
  • Transfusionssystem (wegen des Partikelfilters) in ein großes „Auge“ bohren
  • Aufhängvorrichtung basteln (improvisieren!)
  • Spaß haben!

Zu beachten ist dabei, dass jüngere Kokosnüsse mehr Flüssigkeit enthalten als gereifte essbare. Hier ist das Fruchtfleisch deutlich ausgeprägter, die potentielle Infusionslösung aber geringer. Der durchschnittliche Flüssigkeitsgehalt liegt bei 500 bis 1000ml.

Kokosnuss-Infusionen wurden bereits mehrfach angewandt und untersucht

So absurd sich das ganze anhört – die Autoren des vorliegenden Case Reports sind bei weitem nicht die ersten, die von dieser Idee berichten. In einer Pubmed-Recherche findet man durchaus ein paar Artikel zu dem Thema. Vor allem geht es um die intravenöse Applikation. Als orale Rehydratationslösung (oral rehydrating solution) ist es tatsächlich ganz gut geeignet. Aber auch intravenös wurde es bereits mehrfach untersucht.

Bereits im zweiten Weltkrieg soll es von Briten und Japanern versucht worden sein. Stichwort: Mangelwirtschaft im Krieg – man probiert Dinge, weil man mit dem Rücken zur Wand steht.

Aber auch danach gibt es aus dem südostasiatischen Raum (Indien, Malaysia) Studien mit kleinen Fallzahlen, die eine mögliche Nutzung untersuchen (s.a. der Pubmed-Link).

Nebenwirkungen waren vor allem lokale Reizungen

Nebenwirkungen wurden tatsächlich kaum beobachtet. Vor allem lokale Reizungen und keine fatalen Zwischenfälle wurden in der Literatur bisher beschrieben. Allerdings sind die Studien und zugrunde liegenden Fallzahlen so gering, dass in keiner Weise von Repräsentativität gesprochen werden kann.

Die Kollegen haben in ihrem Report netterweise auch die Elektrolyte analysiert. Das Wasser ist hypoton, azidotisch und vor allem reich an Kalium, Kalzium und Magnesium. Die anderen Salze sind in deutlich niedrigeren als den physiologischen Konzentrationen vorhanden.

Wegen der hohen Zuckeranteile ist es eine Flüssigkeit mit hoher Osmolarität – das erklärt die lokalen Venenreizungen aus den Studien.

Hypotone Infusionslösung, azidotisch, reich an Kalium, kein nennenswerter Hinweis auf Antigenität

In Voruntersuchungen konnte bisher keine nennenswerte Antigenität nachgewiesen werden. Aufgrund des natürlichen Ursprungs wäre es ja denkbar, dass Antigene in der Flüssigkeit zu finden sind, die Immunreaktionen und Anaphylaxien auslösen können. Tatsächlich scheint das aber nicht der Fall zu sein (Aussage mit Einschränkungen, s.o.)

Wenn ihr also mal wieder – wie ja häufiger – im Tropenhaus im städtischen Zoo notfallmäßig infundieren müsst, könnt ihr nicht davon ausgehen, dass das auf jeden Fall gut gehen muss. In den Schlagzeilen wäre man am nächsten Morgen aber mit einiger Sicherheit.

Oder ihr infundiert rektal mit einem Trichter (gibt es wirklich, heißt Proktoklyse). Prinzipiell auch möglich. Aber ebenso spektakulär für unsere Breitengrade.

Aber Spaß beiseite – ganz abwegig ist das ganze nicht. Es kommt nur auf die äußeren – im Zweifel äußerst widrigen Umstände – an.

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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