PONV Prophylaxe: Aktueller Stand?

 

Der letzte Beitrag zum Thema PONV hier auf dem Blog liegt nun schon 6 Jahre zurück. Seitdem ist vor allem meine Hauptquelle, eine Analyse der Cochrane Collaboration zurückgezogen worden. Schade. Der Grund war, dass bis Juli 2017 67 der 737 analysierten Studien ihrerseits zurückgezogen wurden. Das verfälscht die Meta-Analyse natürlich schon gehörig.

Zum Glück ist 2020 eine aktualisierte Version erschienen, die ich hier zusammenfassen möchte.

Der Apfel-Score gilt nach wie vor

Unverändert gilt als Risikoabschätzung für Übelkeit der Apfel-Score, mit seinen Items:

  • Weibliches Geschlecht
  • Nichtraucher
  • Neigung zu Übelkeit (Reise- oder postop)
  • Hoher Opiat-Verbrauch postoperativ

Jedes Item erhöht die Wahrscheinlichkeit für PONV um etwa 20%. An diesem Risikoprofil lässt sich dann auch gut eine rationale Prophylaxe planen. Eine 100%ige Chance, Übelkeit zu erleiden gibt es im Übrigen nicht und auch ohne Prophylaxe kann es zu postoperativem Wohlbefinden kommen, obwohl die Wahrscheinlichkeit dagegen sprach.

Insofern bleibt uns nur der rationale Einsatz von Prophylaktika, denn: Jedes Medikament hat auch Nebenwirkungen, allen voran die Setrone, die potentiell kardiale Nebenwirkungen bis hin zu Ischämien auslösen können. Einfach unreflektiert jedem Patienten einen „Cocktail Antiemesis“ zu verabreichen ist deshalb definitiv nicht der medizinisch korrekte Weg.

Letztlich geht es hier um Wahrscheinlichkeiten, mit Wirtschaftlichkeitsüberlegungen (Medikamente kosten nun mal Geld), Abwägung von Wirkung zu potentiellen Nebenwirkungen und eine rationale Entscheidung, ob und wieviel Prophylaxe notwendig ist.

PONV-Prophylaxe ist wichtig!

Dass PONV-Prophylaxe wichtig ist, ist offensichtlich. Wenn ein Patient aus der Narkose aufwacht und sich den ganzen Tag nur übergibt, kann die eigentliche Operation und Narkose so gut und sicher gewesen sein, wie sie will – der Patient bekommt nur das Übergeben mit, weil er da erst wieder wach war. Eine postoperative Beschwerdefreiheit ist damit auch ein wichtiger Punkt für Patientenzufriedenheit und positives Erscheinen nach außen für einen Dienstleister, wie Krankenhäuser.

Im Cochrane Review von 2017 wurde geschlussfolgert, dass im Grunde jede Antiemetika-Klasse des PONV-Risiko relativ um 30% reduziert. Das bedeutete, dass das zweite und dritte Mittel nur noch das verbliebene Risiko weiter reduzieren konnte. Eine Addition von Substanzen macht deshalb zwar Sinn, aber der Effekt wird immer geringer. Außerdem ist es ein deutlicher Unterschied, ob man mit einem Risiko von 80% (n. Apfel) startet, oder einem Risiko von 20%.

Was hat sich 2020 in der Einschätzung geändert?

In der Aktualisierung von 2020 wurden nur noch 585 Studien inkludiert (mit 97.516 Patienten). Die am häufigsten untersuchten Substanzen waren Ondansetron, Desamethason und Droperidol.

Die Kombination von Substanzen war effektiver, als die Nutzung einzelner Substanzen, mit Ausnahme von Neurokinin-1-Antagonisten wie Aprepitant oder Fosaprepitant: Hier war die Reduktion der Monosubstanz mit Kombinationen anderer Substanzen vergleichbar (gleich: effektiver als Monosubstanz).

Folgende relativen Risiken für PONV ergaben sich mit einer hohen methodischen Sicherheit:

  • Aprepitant: RR 0,26
  • Ramosetron: RR 0,44
  • Granisetron: RR 0,46
  • Dexamethason: RR 0,51
  • Ondansetron: RR 0,55

Folgende Substanzen können möglicherweise das Risiko reduzieren:

  • Fosaprepitant: RR 0,06
  • Droperidol: RR 0,61

Die empfohlenen und höhere Dosen erzielten erwünschte Effekte. Unterdosierungen führen zu keinen klinisch relevanten Effekten.

Nebenwirkungen waren selten oder gar sehr selten in den empfohlenen Dosierungen, vor allem die Klassen-spezifischen wie Kopfschmerzen, Obstipation, Wundinfektion, extrapyramidale Symptome, Arrhythmien, Qtc-Verlängerungen. Man kann aber, bei limitierter Datenlage, dass die Mittel vermutlich sehr sicher sind.

Eine Ausnahme war Ondanestron, das vielleicht die Rate an Kopfschmerzen erhöht (RR 1,16) und möglicherweise die Sedierung reduziert (RR 0,87). Und Dexamethason hat mit einer hohen Sicherheit keinen Einfluss auf die Sedierung (RR 1,00), das ist doch mal was.

Zusammenfassung

Tatsächlich hat sich die Bewertung der einzelnen Medikamente zur Untersuchung von 2017 deutlich verschoben. Dexamethason und Ondansetron reduzieren nun das Risiko um beinahe 50%, wobei Dexamatheson vielleicht sogar ein wenig effektiver ist. Granisetron wäre Ondansetron von einem PONV-Standpunkt aus zu bevorzugen.

Weiterhin gilt, dass die Wirkung der Antiemetika immer zu einer Reduktion des Rest-Risikos führt. Insofern bleibt die oben beschriebene Rationale gleich: Es kommt auf das individuelle Risikoprofil des Patienten an.

Aprepitant ist offensichtlich hoch-effektiv, aber das habe ich in der Praxis tatsächlich noch nie gesehen. Das liegt vermutlich unter anderem daran, dass ich davon nur Hartkapseln als Darreichungsform gefunden habe. Als Rescue-Therapie ist aber vielleicht eine Option für uns? Und eine Tablette kostet etwa 14€. Eine Ampulle Dexamethason 4mg hingegen kostet im Schnitt 1-2€. Auch eine wirtschaftliche Überlegung.

Wie ist die PONV-Propyhalxe bei euch geregelt? Habt ihr dafür gar eine SOP, oder ist es eher „nach Gefühl“? Würde mich interessieren, diskutiert gerne hier.

 

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

4 Kommentare

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  1. Bei uns wird überwiegend nach Schema F gegeben. Der Apfelscore wird in der PräMed gar nicht erhoben und (fast) jeder erwachsene Patient erhält Dexa und Onda. Bei Personen mit zentralen Störungen wird Onda dann eher nicht gegeben. Hm, die Nebenwirkungen sind zwar auf dem Papier vorhanden, aber im AWR eher selten.

    Aber Danke für die Zusammenfassung, Denkanstöße sind wichtig…

  2. Ich arbeite in der Schweiz. Wir haben zur PONV-Prophylaxe tatsächlich ein SOP und bereits in der PräMed wird explizit das PONV Risiko erfasst und dementsprechend verordnet.
    Als standalone erhalten nahezu alle Patienten (Apfelscore 1) Dexamethason. Ab einem Score von 2 zusätzlich Ondansetron, ab einem Score von 3 zusätzlich Droperidol.
    Bei Extremfällen verabreichen wir 60 Minuten vor OP oral Aprepitant 80mg, mit dem wir sehr gute Erfahrungen sammeln konnten. Diese sog. Extremfälle leiden deutlich weniger oft über PONV und äussern sich zufrieden.
    Spannendes Thema und nicht ausser Acht zu lassen.

    • Einer mit FESAIC auf 1. Januar 2024 bei 15:31
    • Antworten

    https://journals.lww.com/anesthesia-analgesia/fulltext/2020/08000/fourth_consensus_guidelines_for_the_management_of.16.aspx

    Hier oben findet man alle letzte Info.
    Damit man Ponv gut behandelt kann und Prophylaxe durchführen, man muss Pathophysiologie davon verstehen. Dann versteht man warum Vomex erster Wahl bei Reisekrankheit ist und Onda nicht. Warum bei opiatinduziertem Ponv Droperidol bestes Medikament ist und Vomex wirkt fast gar nichts.
    Man soll auch dazu sagen, bei höhem Risiko muss TIVA plus Dexa (TIVA hat leider höhes Risiko von delayed PONV, hier aus Pharma Sicht Dexa ist am besten) gemacht werden, nicht Gasnarkose mit 3 Medikamenten zu Prophylaxe.

    1. Spannende Quelle, danke für den Kommentar!

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