Narkoserisiko – RCRI, Troponin, BNP und Konsorten

 

Heute geht es um die präoperative Risikostratifizierung, die schon seit langer Zeit (meines Wissens nach seit den Siebzigern), untersucht wird. Insbesondere die sich anschließende postoperative 30-Tage Morbidität und Mortalität werden dabei untersucht. Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle immer das Herz mit seinen Infarkten, Ischämien, Insuffizienzen etc.

Bei Durchsicht der Literatur wird man schnell feststellen, dass die üblichen Instrumente zur Risikostratifizierung nur die Spitze des Eisbergs erfassen können. Was man dann aus einem „erhöhten Narkoserisiko“ macht, ist eine andere Frage. Da werde ich mir am Ende des Artikels Gedanken zu machen.

Zum Revised Cardiac Risk Index hatte ich auch schon mal auf meinem Youtube-Kanal einen Beitrag veröffentlicht. Wenn ihr möchtet, könnt ihr da ja auch mal vorbei schauen:

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Der Revised Cardiac Risk Index RCRI

Wo wir hier sind, da bleiben wir gleich mal da und beleuchten den RCRI, ursprünglich von Lee evaluiert. Die initiale Studie inkludierte 4315 Patienten, die 50 Jahre oder älter waren und für elektive größere nicht-kardiochirurgische Operationen geplant waren[1]. Es wurden kardiale Komplikationen erfasst:

  • Myokardinfarkt (Diagnosestellung über CK und CKMB Bestimmung)
  • Lungenödem
  • Kammerflimmern
  • primärer Herzstillstand
  • AV-Block III.°

Es ergaben sich 6 Haupt-Risikofaktoren, die als Punkte addiert werden und damit einen Score bilden. Das Risiko für kardiale Komplikationen steigt mit steigender Punktzahl.

  • Hochrisiko-OPs (Gefäß-OPs, große Bauch-OPs etc.)
  • Koronare Herzkrankheit
  • Herzinsuffizienz
  • Anamnese für zerebrovaskuläre Vorerkrankung (Insult, Apoplex etc.)
  • Insulin-abhängiger Diabetes mellitus
  • Niereninsuffizienz mit Kreatinin >2,0mg/dL

(IDDM und Niereninsuffizienz wurden im finalen Score fallengelassen, weil sie keine eigenständigen Risikofaktoren für das untersuchte Outcome waren)

Der RCRI ist gut evaluiert und wird häufig zur Risikostratifizierung eingesetzt. Das Problem ist, dass er zur Outcome-Diagnose eines Herzinfarkts nur CK-Werte und die  klassischen Symptome in der Evaluationsstudie nahm. In einer aktuellen Meta-Analyse konnte aber gezeigt werden, dass die Risiken in jeder Gruppe systematisch und dramatisch unterschätzt werden[2].

Warum ist das so?

Die Antwort lautet: Es wird auch eine Menge an postoperativen Myokardischämien übersehen, und das führt zu einer höheren Mortalität, als man vom Score her annehmen würde (sie liegt auch heute noch bei ~1-4%). Überdies ist die Vielzahl aller Infarkte stumm[4].

Introducing: MINS

MINS ist ein myokardiale Schädigung nach nicht-kardiochirurgischer OP (Myocardial Injury after noncardiac surgery). Sie ist definiert als Myokardschädigung, die innerhalb von 30 Tagen nach einer OP auftritt[3]. Zur Diagnose muss ein(e) MINS keine Symptome oder EKG-Veränderungen aufweisen!

Letztlich reicht eine Erhöhung des high-sensitivity cTroponinT (hs-cTnT) zur Diagnose aus. Wenn es über 20ng/L beträgt, unabhängig von GFR und Geschlecht, steht die Diagnose! Bleibt nur noch die Frage, wie hoch das Risiko für kardiale Komplikationen ist.

Mit Ischämie-Symptomen betrug die Hazard-Ratio 5,04, ohne Symptome immerhin noch 3,2. Die Mortalität stieg in deren Analyse linear zu den Serum Troponin-Leveln an!

Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: Wir haben Patienten, die keinerlei Symptome verspüren und dementsprechend auch keine weitere Diagnostik triggern. Dennoch ist ihr Risiko dreifach erhöht, eine fatale kardiale Komplikation zu erleiden! Na herzlichen Glückwunsch.

Perioperative myocardial injury

Der perioperative Myokardschaden, PMI, ist eine andere Definition, die aber in dieselbe Richtung zielt. Er ist definiert als absoluter Anstieg des hs-cTnT über 14ng/L oder größer (99. Perzentile gesunder Erwachsener) über die präoperativen Werte oder zwischen zwei postoperativen Werten, innerhalb von 7 Tagen einer Operation[5].

In der zugrunde liegenden Untersuchung wiesen nur 29% der Patienten mit PMI typische Befunde für einen Herzinfarkt auf. Und egal aus welchem Grund die Troponin-Level erhöht waren, wiesen Patienten mit PMI eine erhöhte 30-Tage-Mortalität mit einer Hazard-Ratio von 2,7 auf. Es schien ebenfalls eine Assoziation zu höheren RCRI-Scores und Notfall-OPs zu geben (das ist jetzt nicht so überraschend).

BNP als Prädiktor

Auch das nt-pro-BNP (Brain type natriuretic peptide) ist in gut validierten Untersuchungen ein unabhängiger Prädiktor für  postoperative kardiale Komplikationen und 30-Tage-Sterblichkeit im Krankenhaus[6, 7].

Zusammenfassung

Ein paar Überlegungen von mir, wenn man ich mir die aktuellen Daten so anschaue:

  • Die klassischen präoperativen Stratifizierungsmodelle sind angesichts neuerer Erkenntnisse unzureichend, da sie das BNP meist nicht berücksichtigen.
  • Die Kanadier empfehlen präoperative BNP Bestimmungen bei Patienten >65 Jahren, oder 45-64 Jahren und schwerer kardialer Grunderkrankung oder einem RCRI >1 [8]
  • Die postoperative Überwachung von Troponin sollte nach größeren Operationen routinemäßig durchgeführt werden und der Patient sollte bei Diagnosestellung von MINS oder PMI oder stummem Myokardinfarkt zügig den kardiologischen Kollegen zur Behandlung vorgestellt werden. Das betrifft dann auch die Vigilanz der schneidenden Kollegen auf den Normalstationen. Das wird Schulungsaufwand…
  • Algorithmen für die präoperative Abklärung und postoperative Versorgung müssen angepasst werden.

Ein Beispiel für einen aktuellen Algorithmus ist derjenige der Schweizer Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation: Perioperative kardiale Abklärung und Therapie im Vorfeld nicht-herzchirurgischer Eingriffe. In dem eingefügten Link gibt es auch Flowcharts zur Implementierung in die Praxis.

Auch die Canadian Cardiovascular Society[8] hat eine Reihe von Empfehlungen herausgegeben, die BNP, Troponin und RCRI in Verbindung setzen. Die haben aber nicht so ein schönes Flowchart in ihre Publikation integriert. Die deutschen Leitlinien der DGAI erwähnen BNP und Troponin zwar, messen dem aber keine so überragende Bedeutung zu; allerdings sind die auch von 2010.

Wie ist das bei euch geregelt? Schreibt es mir gerne in die Kommentare!

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

1 Kommentar

    • Ann-Cathrin Bischof auf 17. März 2024 bei 11:57
    • Antworten

    Hey, danke für die gute Übersicht. Allerdings finde ich die Definition von PMI unverständlich. Absoluter Anstieg des hs-cTnt über >/=14ng/l okay, aber dann?
    Gilt auch der Anstieg von 14ng/l über den präoperativen Wert? Und dann innerhalb der ersten 7 Post-Op Tage auch ein Anstieg über 14ng/l zwischen zwei Werten?
    Konnte leider auch im Internet keinen genaue Definition finden.

    Danke für deine Antwort!
    Viele Grüße
    Ann-Cathrin Bischof

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