Intranasales Lidocain gegen Kopfschmerzen?

 

In sozialen Netzwerken lernt man ja bisweilen interessante Dinge. Bis vor kurzem wusste ich zum Beispiel gar nicht, dass die Blockade des Ganglion pterygopalatinum eine diskutierte Möglichkeit ist, Kopfschmerzen zu lindern. Das wird unter verschiedenen Aspekten beleuchtet, vor allem aber in der Schmerzmedizin bei Migräne und – da das ja ein Anästhesie-Blog ist – natürlich auch beim postpunktionellen Kopfschmerz.

Dazu musste ich natürlich recherchieren und möchte euch hier meine Ergebnisse präsentieren. Wir werden zunächst in die Anatomie eintauchen müssen und dann bewegen wir uns langsam über das diskutierte Prozedere hin zum möglichen Effekt oder Benefit.

Um es vorweg zu nehmen: Die Studienlage ist sehr konträr. Weder die Applikation, noch das Medikament, noch die Dosierung ist letztendlich völlig geklärt. Möglicherweise reduziert man die Schmerzen des Patienten um bis zu 3 Punkte auf der Numerischen Rating-Skala, wenn man Pech hat, bleibt alles wie es ist, oder wird sogar noch schlimmer. Auf individuelle Heilversuche und Offlabel-Use Geschichten kann man sich natürlich einlassen. Der Patient sollte aber explizit darüber aufgeklärt werden. Von ernsthafter Evidenz kann man hier leider nicht sprechen.

Da ist es wieder: Das Ggl. pterygopalatinum

Die Idee basiert letztlich auf der Blockade des Ganglion pterygopalatinum, das in der gleichnamigen Fossa pterygopalatina liegt. Es erhält parasympathische Fasern aus dem N. intermedius des N. facialis (VII) und sympathische Fasern aus dem Ganglion cervicale superius. Versorgt werden die Gl. Lacrimalis und die Gl. Submandibularis. Begleitet werden die Fasern teilweise auch von Rami des N. trigeminus.

Es wird diskutiert, dass dieses Ganglion (in der englischen Literatur etwas veraltet „sphenopalatine ganglion“ genannt), eine Rolle im Kopfschmerz spielen soll aufgrund seiner weiteren Verschaltungen[1]. Vor allem werden an und in ihm nicht nur vegetative Reize verschaltet, sondern weitere Sinneswahrnehmungen sensorischer, motorischer Art aus dem Kopf- und Halsbereich. Schmerzsyndrome, für das es diskutiert wird, umfassen nicht nur die Migräne, sondern Cluster-Kopfschmerz, Trigeminus-Neuralgie, atypischer Gesichtsschmerz, vasomotorische Rhinits[1].

In einer Studie 2003 von Yarnitsky et al. wurde bereits die parasympathische Versorgung des Gesichts für entsprechende Schmerzen verantwortlich gemacht[2], wobei die Erstbeschreibung auf Maizels und Geiger zurückgeht[4].

Der Wirkmechanismus – wenn es denn einen gibt – könnte auf eine reduzierte Freisetzung von Neuropeptiden zurückzuführen sein.

Wie kommt man da überhaupt hin?

Das Ganglion kann medikamentös-topisch erreicht werden, indem das Lokalanästhetikum auf die Schleimhaut direkt darüber geträufelt wird. Da es im Grunde noch hinter den Nasengängen in der Epipharynxwand verortet ist, reicht ein einfacher MAD vermutlich nicht aus. In den von mir gelesenen Studien wurde davon tatsächlich auch gar nicht gesprochen.

Der Patient sollte zum einen in der sogenannten Barre-Position liegen, das heißt: Auf dem Rücken; dabei hängt der Kopf über das Tragenende hinaus in der Luft (rekliniert) und dreht ihn auf die betroffene Seite des Schmerzes. Dann wird in dieses Nasenloch das Anästhetikum geträufelt. Dann wird mit dem SphenoCat etwas Lokalanästhetikum auf die betroffene Seite geträufelt.

Das Konkurrenzprodukt Tx360 erlaubt, dass der Patient in einer sitzenden Position verbleibt.

Nun stellt sich die Frage, wieviel Volumen und wieviel Konzentration das Anästhetikum haben sollte. Die meisten Studien wurden mit Lidocain durchgeführt, dort aber mit wechselnden Volumina und Konzentrationen. Ein Beispiel wäre 10% Lidocain-Nasenspray (1 Hub, das entspricht 10mg).

Im Übrigen schein Bupivacain nicht überlegen zu sein [3].

Was kann sonst noch passieren?

Die Nebenwirkungen waren im Grunde in allen Studien überschaubar:

  • Lokale Irritationen
  • Taubheit im Hals (Überraschung!)
  • Übelkeit
  • Schwindel

Jetzt aber natürlich die wichtigste Frage: Bringt der ganze Budenzauber überhaupt etwas? Und da sind die Studien sich leider überhaupt nicht klar drüber.

Zunächst müssen wir Kopfschmerztypen unterscheiden:

  • Primärer Kopfschmerz: Spannungskopfschmerz, Migräne, Trigeminus-assoziierte Cephalgien
  • Sekundärer Kopfschmerz aufgrund einer medizinischen Grunderkrankungen

Wenn wir in der Anästhesie nicht gerade in der Schmerztherapie gelandet sind, wird uns Kopfschmerz am ehesten im Rahmen von postpunktionellen Kopfschmerzen nach PDA-Anlage begegnen. In diesem Feld ist die Studienlage sogar noch dünner, als sie es bei Migräne ist.

Zunächst: Wirkung bei Migräne?

Bei Migräne ist es folgendermaßen: Manche Studien fanden einen Effekt, der die NRS tatsächlich um bis zu 3 Punkte reduziert – zumindest im Zeitraum 30-60min nach Anlage. Leider waren diese Studien allesamt hochgradig von Selektionsbias gefährdet und insofern schwierig als evidenzbasierte Grundlage zu werten. Es gab Studien, die höherwertig waren, jedoch leider keinen signifikanten Effekt fanden. Das wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass Migräne-Patienten in der Regel auch andere Medikamente erhalten, die nachgewiesen den Schmerz reduzieren, zum Beispiel Antiemetika. Wen es interessiert, der kann sich die Studie unten in den Links rausziehen und nachlesen. Es gibt sogar Studien, die noch nicht mal eine Überlegenheit gegenüber Plazebo herausarbeiten konnten.

Und das gilt nur für primären Kopfschmerz wie die Migräne.

But what about: PDA?

Wenn wir eine PDA versemmeln, gibt es eine recht hohe Wahrscheinlichkeit (bis zu 30-40% bei bestätigter Duraperforation), dass Kopfschmerzen entstehen. Die Arbeitshypothese ist da ja immer das sogenannte Liquorverlustsyndrom durch das Loch und einen Unterdruck im subarachnoidalen Raum, der quasi am Hirn „zieht“ und dadurch Schmerzen verursacht. Es ist nicht so recht einsichtig, warum eine periphere Ganglienblockade auf einmal solche sekundären Schmerzen reduzieren sollte.

Im Brazilian Journal of Anesthesiology ist eine Metaanalyse zu genau dem Thema erschienen. Die Studien, die einen Effekt zeigten, waren nach dem GRADE-Approach allesamt vom Evidenzgrad eher als „niedrig“ oder „moderat“ einzuschätzen. Durch wilde Verrechnungen (Subgruppenanalysen und so weiter) konnte statistisch ein geringer Vorteil von intranasalem Lidocain gegenüber konservativem Vorgehen herausgearbeitet werden. Dieser hielt aber nicht länger als 6 Stunden an und erreichte eher NRS-Reduktionen von 1-2 Punkten.

Zusammenfassung und Leitlinien

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Idee einer Nervenblockade gegen Kopfschmerz sehr charmant ist, aber meiner Meinung nach nicht ausreichend belegt ist. Es gibt immer mal wieder Studien, die erfolgreiche Anwendungen beschreiben. So kann man es natürlich auch Heilversuche und Offlabel-Use ankommen lassen (nach Aufklärung vorher!) – aber ich persönlich würde mir da nicht allzu viel von erwarten. Vor allem weil meisten Studien in diesem Feld vor allem die primären Kopfschmerzen adressieren und nicht die üblichen sekundären, die wir in der Anästhesie eher behandeln.

In der Leitlinie der DGN „Diagnostik und Therapie  des postpunktionellen  und spontanen  Liquorunterdruck-Syndroms“ ist diese Methode jedenfalls nicht aufgelistet. Übrigens auch nicht in der Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“. Die Canadian Headache Society und auch die American Headache Society haben diese Therapie zwar aufgeführt, allerdings mit sehr geringen Empfehlungsgraden („low-quality-evidence“ bzw. „Level C“)

Wie sind eure Erfahrungen? Hat eure Klinik das schon einmal durchgeführt? Wie waren die Ergebnisse? Habt ihr da eventuell sogar etwas in einer SOP stehen? Diskutiert gerne hier in den Kommentaren.

 

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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