Vergleichbarkeit von volatilen Anästhetika

 

Auf besonderen Wunsch heute ein Beitrag zum Thema Blut-/Gas-Verteilungskoeffizient von volatilen Anästhetika. Ein typisches Dauerbrenner-Thema in Anästhesie-Prüfungen, wenn auch von der rein rechnerischen Seite her eher komplizierter und weniger praxisrelevant.

Die Botschaft, die dahinter steckt, ist natürlich interessant: Welches Inhalationsanästhetikum ist wie gut steuerbar? Darum geht es uns ja meist: Wir möchten den Hebel umlegen, und er Patient schläft. Hebel aus – Patient wird wach. Schnelle Wechselzeiten, möglichst kein Hangover, „der Nächste bitte“.

Wie schnell ein Narkosegas das Blut des Patienten erreicht, hängt von zwei Faktoren ab: Zum einen vom Partialdruck des Gases in der Lunge (direkt abhängig von der inspiratorischen Konzentration); und zum anderen von der Blutlöslichkeit.

Mehr Löslichkeit = Mehr Potenz

Ein Maß für diese Löslichkeit ist der Blut-Gas-Verteilungskoeffizient (höher = löslicher).

  • Ist er 1, bedeutet das nach Ausgleich der Gas-Partialdrücke in den Kompartimenten Blut und Gas, dass die Konzentrationen beidseits gleich groß sind.
  • Ist er größer als 1, ist die Gaskonzentration im Blut höher als in der Lunge.
  • Ist er kleiner als 1, ist die Gaskonzentration im Blut niedriger als in der Lunge.

Einschub: Ich rede hier natürlich gerade nur von Blut und Gas, aber tatsächlich finden im Körper ja weitere Verteilungsprozesse statt, vor allem ins Fett als Speicher und – ach ja – das Zielorgan Gehirn. Für die Erklärung der Pharmakochemie ist das gerade erst mal egal, aber vergessen darf man es trotzdem nicht.

Ein schlecht lösliches Narkosegas erfordert hohe Partialdrücke, damit sich überhaupt ein Teil im Blut löst. Bei Abfall des Partialdrucks (z.B. Durchspülen mit Sauerstoff oder Luft zum Ende der Narkose), entschwindet das Gas auch ganz schnell wieder dem Blut und kommt zurück in die Gasphase.

Gase und das DESAIC

Tatsächlich werden pharmakologische Eckdaten der Narkosegase sehr gerne im DESAIC gefragt, deshalb seien sie hier wiedergegeben. Zunächst einmal die Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten:

  • Xenon 0,12
  • Desfluran 0,42
  • Lachgas 0,47
  • Sevofluran 0,68
  • Isofluran 1,4
  • Enfluran 1,9
  • Halothan 2,3
  • Methoxyfluran 12

Weiterhin kann man die Potenz klinisch in Form der MAC50 beschreiben. Die MAC50 entspricht derjenigen Gaskonzentration, bei der 50% der Patienten auf einen schmerzhaften Stimulus nicht mehr reagieren:

  • Methoxyfluran 0,16%
  • Halothan 0,75%
  • Isofluran 1,17%
  • Enfluran 1,63%
  • Sevofluran 1,8%
  • Desfluran 6,6%
  • Xenon 71%
  • Lachgas 104%

Methoxyfluran als Extrembeispiel

Ein potentes Narkosegas beschreibt sich dabei durch einen hohen Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten und eine niedrige MAC50 (=wenig Gas nötig für maximale Wirkung). Ein Extrembeispiel ist das Methoxyfluran, das als sogenannte „Green Whistle“ in Australien auch heutzutage noch angewandt wird. Es ist neben der sedierenden Wirkung auch analgetisch wirksam. Deshalb wird es von den Flying Doctors gerne genutzt. Bei uns ist es seit den 1970er Jahren nicht mehr im Einsatz wegen Brenn- und Explosionsgefahr. Seit 2018 ist es dennoch wieder als Penthrox zugelassen. Keine Ahnung, wo das zum Einsatz kommt – schreibt es mir gerne in die Kommentare.

Aus der Auflistung lassen sich weitere Dinge ableiten. Zum einen ist weniger Gaskonzentration nötig (=niedrigere MAC50), wenn die Blutlöslichkeit höher ist.

Zum anderen sei als weitere Besonderheit das Lachgas genannt, das eine MAC50 von über 100% aufweist aufgrund allgemein geringer Potenz (es ist in der Liste auch darin ein Ausreißer, dass es kein Fluran ist). Die Folge ist, dass mit Lachgas alleine eine Narkose nicht durchführbar ist. Es ist als nur als Adjuvans geeignet – aus genau diesem Grund nämlich.

Tatsächlich ist die MAC50 kein besonders tolles Maß für Potenz – 50% der Patienten würden sich bei Fluran-Only-Narkose immer noch beschweren. Das ist ohne Zweifel zu viel. Zum Glück potenzieren sich die restlichen Narkotika mit den Gasen, sodass wir in der Praxis trotzdem kein Problem haben.

Die MAC50 ist darüber hinaus auch noch altersabhängig. Die angegebenen Werte gelten für eine 40 Jahre alte Person (in 100% O2). Jüngere Menschen benötigen in der Regel mehr Gas, ältere weniger. Sie ist tatsächlich auch nur altersabhängig und nicht von weiteren Faktoren.

Sevofluran ist Special bei der MAC50

Eine Ausnahme (DESAIC!) ist das Sevofluran, dass bei Neugeborenen eine relativ niedrige MAC hat, zum ersten Lebenshalbjahr hin zu einem Gipfel ansteigt, und dann erst bis ins hohe Alter langsam abfällt.

An die Blutlöslichkeit schließt sich die Fettlöslichkeit im Zielorgan Gehirn an und da kommt der Öl-/Gas-Koeffizient ins Spiel. Ihr kennt bestimmt den Meyer-Overton-Graph: da ist er wieder 😊. Je höher die Fettlöslichkeit, desto höher soll die Potenz eines Narkotikums sein (aufgetragen wird die Öl-Gas-Löslichkeit gegen die MAC). Das sei an dieser Stelle aber nur der Vollständigkeit halber erwähnt, weil niemand über diese Werte in der Praxis redet.

Zusammenfassend betrachtet wäre Desfluran von der Steuerbarkeit her das Mittel der Wahl: Niedriger Blut-Gas-Verteilungskoeffizient und hohe MAC.

Eine höhere MAC bedeutet auf der anderen Seite aber auch einen höheren Gasverbrauch. Das habe ich auch schon einmal geschrieben. Damit ist es potentiell teuer. Auch mit Sevofluran oder sogar Isofluran lassen sich gut gesteuerte Narkosen fahren (sprich: Der Patient wacht vor allem zeitig nach Ende der OP auf). Es ist eher eine Frage der Erfahrung des Anästhesisten mit diesen Substanzen.

Desfluran… gefällt mir nicht

Hinzu kommt die schlechte Umweltbilanz, gerade von Desfluran.

Wie immer an so einer Stelle kann ich von Desfluran nur ab- und mehr zu Sevofluran raten. Es ist beinahe identisch, was die Eckdaten angeht (s.o.), wird dafür aber weniger an reiner Menge benötigt für denselben Effekt und ist auch noch umweltverträglicher. Und Effekte wie die Metabolisierung habe ich noch gar nicht erwähnt. Überhaupt kann man zu Narkosegasen noch schöne Themen machen, die vielleicht in der Folge hier mal erscheinen werden.

Was ist euer Lieblingsgas? Seid ihr Team Sevofluran, oder sogar noch viel oldschooliger? Ich habe manchmal, einfach aus Prinzip, einen „Isofluran-Tag“ im OP eingeläutet. Hat auch gut funktioniert.

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

1 Kommentar

  1. Lieber Roman, noch eine Frage, es gilt ja der Grundsatz gute Steuerbarkeit durch niedrigen Blut/Gas-Verteilungskoeffizienten. Warum ist das so? Und wäre damit nicht das Methoxyfluran extrem schlecht steuerbar?
    Vielen Dank im Voraus

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