Heparin – Antikoagulation auf Intensivstation

 

Mein persönliches Waterloo sind jedes Mal die Heparin-Perfusoren: Erreiche eine definierte Ziel-PTT, und wenn nicht, kontrolliere, justiere, kontrolliere erneut. Und das klappt – – manchmal . Manchmal laufen aber auch Perfusoren auf 10.000IE in 24 Stunden. Und manchmal wird auf niedermolekulare Heparine umgeschwenkt, weil die Erreichung und das Halten eines gewünschten PTT-Niveaus einfach schwierig sein kann.

Es gibt zwar Schemata, zum Beispiel bei den Pin-Up-Docs, allerdings ist die individuelle Responsivität der Patienten auf den „Perfusor des Schreckens“ sehr unterschiedlich und dementsprechend immer noch – für mein Händchen – schwierig zu steuern. Wir wollen ja einen Zielbereich haben, und nicht ständig Unter- oder Überdosierungen (Gefahren: Thrombose versus Blutung).

Eigentlich wollte ich deshalb für diesen Artikel nach Kochrezepten recherchieren, wie man die Ziel-PTTs besser erreicht, oder was man bei Heparin-Resistenz machen kann. Dabei bin ich aber auf ein ganz anderes Problem mit der PTT-Bestimmung im Labor gestoßen, was die „Ziel-PTTs“ an sich in Frage stellt. Dazu aber im Lauf des Artikels mehr. Und ein Kochrezept gibt es natürlich auch als Grafik, also bleibt dran.

Pharmakologie der Heparine

Zunächst muss ich etwas zur Pharmakologie von Heparin erzählen, um euer Grundlagenwissen aufzufrischen. Danach gehe ich auf die Tests ein. Und am Ende wird es eine Zusammenfassung geben, die vermutlich nicht besonders zufriedenstellend wird, aber gut…

Heparin wurde 1916 von McLean entdeckt und benannt nach der *Trommelwirbel* Leber, in der es zuerst isoliert wurde. Seine erste experimentelle Nutzung als Antikoagulans beim Menschen fand übrigens 1937 statt (in die A. brachialis, über eine 2-stündige Infusion).

Unfraktioniertes Heparin (=UFH) besteht aus einer Mischung von sulfatierten Polysacchariden unterschiedlichen molekularen Gewichts, zwischen 3 und 30kD (im Mittel ~15kDa). Es wird hauptsächlich aus Schweinedarm isoliert.

Ein Drittel dieser Melange bindet an Antithrombin 3 (AT3) und entfaltet darüber seine Wirkung. Damit ist seine Wirkung indirekt und an das Vorhandensein von ausreichend AT3 gekoppelt.

Es hemmt die Gerinnungsfaktoren II und X, sowie V, IX, XI und XII. Die Hauptwirkung wird aber über die Faktor X- und IIa-Inhibition erreicht. Heparine kleiner als 18 Saccharide (= niedermolekulare Heparine) verlieren ihre Fähigkeit, gleichzeitig an Faktor II und X zu binden (immer mit AT3 als Kofaktor – nicht vergessen!) . Ihre Hauptwirkung entfalten sie deshalb nur noch über die Faktor X Inhibition.

Applikationsweg: Immer parenteral

Heparin muss parenteral verabreicht werden: intravenös oder subkutan. Es wird initial durch eine schnelle Kinetik 0. Ordnung, gefolgt von einer langsameren 1.-Ordnung-Kinetik und schließlich über einen nicht-sättigbaren Mechanismus renal eliminiert. Die Applikationsform (i.v. oder s.c.) ist dabei unerheblich.

Die relativ komplexe Clearance-Kinetik führt zu einer nichtlinearen Antwort auf Heparingaben in therapeutischen Dosierungen. Bedeutet: Je höher die Bolusdosierung ausfällt, desto länger ist die beobachtete Halbwertszeit (Bsp.: 25IE/kg – 30min, 400IE/kg – 150min).

Messmethode PTT und Limitationen

Soweit so gut. Aber wie messen wir nun die Heparin-Wirkung?

Richtig: über die PTT, die aktivierte partielle Thromboplastin-Zeit. Eine Blutprobe wird mit einem Gerinnungsaktivator in Verbindung gebracht und die Zeit gemessen, bis sich ein Clot bildet. Das Problem ist die optische Detektion des Clots, weil die klassischen Kaolin-Assays schnell trübe werden. Das verwirrt den Detektor.

Heutzutage wird Plättchen-depriviertes Plasma verwendet, das auf eine Temperatur von 37°C erwärmt wurde. Danach wird ein Phospholipid und Kontaktaktivator hinzugefügt – heutzutage auch andere Stoffe als das bereits erwähnte Kaolin, z.B: Ellagsäure. Die Hinzugabe von Calcium als Gerinnungs-Cofaktor aktiviert den Prozess und die Zeitmessung beginnt, bis sich ein Clot formiert. Das ganze nennt sich dann modern: aPTT (a = aktiviert).

An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass offensichtlich keine festen Zahlen als „Ziel-PTT“ allgemeingültig verkündet werden können. Vielmehr sollte in den Publikationen stehen: „PTT-Zielbereich 1,5-2,5fach über der lokalen Norm“. Das meint die lokal im betreffenden Labor bestimmten Normwerte.
Warum das?

Messungenauigkeiten der PTT wegen vieler Faktoren

Die aPTT unterliegt einer großen Zahl präanalytischer Faktoren, die Werte unterschiedlicher Labore schwierig vergleichbar macht. Verschiedene Assays, die in verschiedenen Maschinen durchgeführt werden, führen zu unterschiedlichen Ergebnissen! Von diesen Kombinationen gibt es über 300! PTT ist nicht gleich PTT!

Beispiele für solche Faktoren sind[1]:

  • Geschwindigkeit der Zentrifugation im Rahmen der Analyse
  • Lagerungstemperatur
  • Ort der Blutentnahme; arterielles oder venöses System
  • Ethnie
  • Geschlecht
  • Hämatokrit
  • Schwangerschaft
  • Kritisch kranke Patienten (die Intensivstation lässt grüßen, wo die genannten Perfusoren häufig eingesetzt werden)

Etablierte kommerzielle Reagenzien variieren weit in ihrer Sensitivität auf UFH [3]. Weiterhin schwankt auch noch die Sensitivität innerhalb verschiedener Chargen desselben Herstellers[4]! Okay, jetzt wird’s langsam gruselig.

Auf der anderen Seite wundert es einen da nicht, dass die PTT-Zielbereiche („Heparin Therapeutic Ranges“) auch zwischen großen Studien voneinander abweichen. Standardisierungsversuche wie bei Quick und INR waren indes leider erfolglos.

Jede Institution muss ihre eigene Heparin Therapeutic Range bestimmen!

Es wird daher empfohlen, dass jede Institution ihre eigenen Grenzwerte definiert, nachdem das Labor sie für sein spezielles Setup aus Maschine und Assay bestimmt hat[2].

Aber wie kommen wir überhaupt darauf, dass wir diese Heparin-Therapeutic-Ranges brauchen?

Das lässt sich bis 1972 und eine Studie von Basu et al.[7] zurückverfolgen. Interessanterweise hatte diese einzelne, relativ kleine Studie zur Folge, dass der Zielbereich einer 1,5-2,5fachen PTT-Verlängerung in weiten Teilen ohne größere Überprüfungen übernommen wurde.

Seither hat sich in der Analytik aber einiges getan in Bezug auf die oben genannte Problematik von Assay- und Analysator-Kombination. Inwieweit solche recht schwach definierten Zielbereiche (schon sehr alt, mit Assays bestimmt, die heute schon nicht mehr im Einsatz sind) heute noch Bestand haben sollten, sollte mal dringend untersucht werden.

anti FXa- Bestimmung: Eine Alternative?

Eine andere Methode als die PTT zu bestimmen ist die Bestimmung von „anti-Faktor Xa“. Damit lässt sich der therapeutische Bereich schneller erreichen [8] und die Patienten benötigen weniger Laborkontrollen. Es gab in der zitierten Studie allerdings keinen Unterschied in der Rate der Blutungskomplikationen oder anderen klinisch relevanten Outcomes[9]. Der Zielbereich für anti FXa wird mit 0,3-0,7IE/mL angegeben.

Gepaarte Tests bei Patienten, die sowohl aPTT als auch FXa-Aktivität bestimmt bekamen, ergaben dummerweise auch noch häufig uneinheitliche Ergebnisse. Man würde ja erwarten, dass sie irgendwie zusammenhängen – aber: Pustekuchen[5]

Und nicht zuletzt ist dieser Test auch deutlich teurer und erfordert Kompetenz vom Labor, die nicht flächendeckend vorhanden ist. Auch dieser Test weist Abweichungen von Labor zu Labor auf. Super.
In der Tat sind auch die Daten, die einen oberen oder unteren Grenzwert der aPTT zur Vermeidung von Thrombose oder Blutung definieren, erstaunlich schwach.

In einer gepoolten Analyse von 30.000 mit Heparin antikoagulierten Patienten zeigten sich bei den laut Grenzwert „unterdosierten“ Patienten keine erhöhte Thromboseinzidenz[27]. Daten für den oberen Grenzwert sind sogar noch schwächer[2].

Dosisanpassungen sollten über Protokolle stattfinden

Dosisanpassungen sollten über lokale Protokolle stattfinden und können über die Dosis oder die Laufrate definiert sein. Dafür gibt es Nomogramme und klare Anweisungen, die auch wirklich verwendet werden sollten. Sonst ist es eher ein „Gestocher im Nebel“.

Ein Beispiel habe ich aus Cruickshank [6] übersetzt und auf die übliche Dosierung in unserem Perfusor mit 25.000IE/50ml angepasst. Wir haben nicht wie in der Studie 40IE/ml, sondern ganze 500, was die angepassten Empfehlungen des Nomogramms ein wenig unsauber erscheinen lässt, aber sei’s drum. Aber immer noch besser, als gar nichts In deren Studie waren übrigens trotzdem noch 25% der Patienten nicht im Zielbereich. Aber besser so ein Schema, als gar keins. Die Evidenz ist ja leider doch sehr dünn.

Heparin Dosierungsrezept

Die Kollegen beginnen mit einem Bolus von 5000IE Heparin, gefolgt von einer Basalrate von 1280IE/h. Die erste Kontrolle findet nach 6 Stunden statt; und dann wird bedarfsweise angepasst.

Weitere Empfehlungen zum Thema laut der Practice Guideline Venous Thromboembolism[4]:

  • Definition Heparin-Resistenz: Therapie mit >35.000IE UFH pro Tag ohne ausreichende aPTT Verlängerung
  • FXa Aktivität als Zielwert nehmen bei: Heparinresistenz, verlängerte Baseline-aPTT, verändertes Heparin-Ansprechverhalten
  • Gerinnungskontrollen alle 6 Stunden, bis zwei Ergebnisse ähnlich ausfallen (betrifft aPTT und FXa gleichermaßen)
  • Dosisanpassungen nach Nomogramm

Abschluss

Habt ihr bei euch auch ein Anpassungsschema im Einsatz? Oder geht das eher nach „Gusto“? Wie sind eure Erfahrungen mit der Heparinisierung? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen!

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

2 Kommentare

    • Andrej Antonov auf 16. Januar 2023 bei 23:59
    • Antworten

    Hey.

    Schönes Beitrag, danke.

    Ich habe nicht so richtig verstanden deine Info über sc vs iv Gabe. Mein Wissenstand – sc 20-30% Verfügbarkeit. IV wahrscheinlich 100%.
    Dann Wie würdest du Thrombose Prophylaxe bei Citratdialyase machen? Ich habe Info, nicht viel, dass eingentlich elegant ist einfach NMH (zb Enoxparin) spritzen. Das wieder nur wenn Katecholamine nicht zu hoch sind. Weil dann ist die Durchblutung von Haut und Bioverfügbarkeit ist Fraglich. Wie siehst du es?

    MfG,

    Andrej

    1. Die Sache ist ja: Mit normalen Mitteln kannst du nicht einfach die NMH Aktivität messen. Von wegen „braucht man nicht messen“ — man kann sie nur nicht einfach und verlässlich messen..

      Bei Citratdialyse würde ich eine völlig normale Thromboseprophylaxe laufen lassen (bin ein Fan von prophylaktisch dosierten Heparin-Perfusoren). Das Citrat hat mit der Gerinnung im Körper ja im Grunde nichts zu tun, weil am Postfilter wieder Calcium zugeführt wird und dadurch die Gerinnung nicht beeinflusst werden sollte.

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