Eichenprozessionsspinner – In da House!

 

Wenn dieser Beitrag erscheint, ist das schlimmste für dieses Jahr vermutlich schon vorbei. Der Eichenprozessionsspinner (genauer, seine Raupe: Thaumetopoea processionea larvae),  ist in den letzten Jahren immer mal wieder in den Nachrichten gewesen, als ein Schädling, der epidemische Ausmaße annimmt (ein anderes Beispiel ist der Buchsbaumzünsler).

In der Tat gibt es neben dem EPS noch weitere Raupen, die ähnliche Symptome hervorrufen, aber das führt für diesen Artikel dann doch zu weit.

Sogar vor der Ärztekammer Nordrhein waren letztes Jahr Eichen abgesperrt mit Flatterband wegen einer vermuteten Besiedlung. Wobei ein 2-Meter-Radius um einen befallenen Baum eher Augenwischerei ist, aber dazu unten mehr.

Das Problem ist das allergische Potential, und deshalb gibt es auch diesen Artikel. Denn obwohl die üblichen allergischen Manifestationen kutan sind: Papeln, Pusteln, Quaddeln etc., kann es auch zu Nebenwirkungen bis hin zu Pharyngitis und spastischer Bronchitis kommen[1]. Da wären wir wieder im Themenkreis Intensiv- und Notfallmedizin.

Lebenszyklus

Der bevorzugte Ort für die Fortpflanzung des Eichenprozessionsspinners sind, wie der Name verrät, Eichen in Waldrandnähe oder solitär stehende Bäume.

Fun Fact: Es gibt auch Prozessionsspinner anderer Gattungen, die zum Beispiel auf Kiefern „spezialisiert“ sind.

Im Zeitraum Juli bis August legt die erwachsene weibliche Motte 30-300 Eier auf die kleinen Äste des ausgewählten Baums. Die Larven schlüpfen 9 Monate später und ernähren sich so (im Frühling April bis Mai) an den frisch sprießenden Knospen und Blättern des Baums. Die Entwicklung der Larven dauert 9-12 Wochen und umfasst 6 Stadien[2].

Während der Entwicklungsschritte und tagsüber leben die Larven in ihren typischen seidig gesponnen grau-braunen Nestern in der Krone der Eichen.

 

Wenn die Raupen ihr Nest verlassen, bewegen sie sich nah an nah in langen Prozessionen durch die Wälder, um sich an den Blättern im Wald gütlich zu tun. Sie kehren danach zu ihrem Nest zurück.

Toxizität

Raupen in Stadium 1 und 2, sowie die erwachsenen Motten sind nicht gefährlich. Die Stadien 3-6 sind die gefährlichen. Hierbei entwickeln die Raupen toxische Härchen auf der dorsalen Oberfläche ihrer 8 abdominellen Segmente, genannt Setae[3].

Setae sind hohle haarartige Strukturen, die 5-10 Mikrometer durchmessen und 150-250 Mikrometer lang sind. Sie enthalten ein 18-kD großes Protein, genannt Thaumetopoein. Mehrere Wirkmechanismen der Toxizität sind beschrieben:

  1. Thaumetopoein führt zu einer direkten Aktivierung von Mastzellen und dementsprechend Histaminliberation als direkter nicht-immunlogischer Effekt
  2. Typ 1 Hypersensitivitätsreaktion (IgE vermittelt)
  3. mechanische Irritation im Sinne einer Fremdkörperreaktion (Haupteffektweg für die kutanen Manifestationen)

Setae zerbrechen bei der leichtesten Berührung und können über den Wind verteilt werden. Deshalb meinte ich weiter oben: 2 Meter Sicherheitsabstand um einen befallenen Baum ist viel zu wenig.

Die Setae sind aber auch Bestandteil des Nestes, deshalb ist das Entfernen eines Nestes, vor allem ohne Schutzausrüstung, recht …. mutig.

In einem Artikel, den ich hierzu gelesen habe, wurde auf einen alten Beitrag in einer italienischen Dermatologie-Zeitschrift verwiesen. Es war ein Case Report über einen italienischen Farmer, der händisch Nester des Kiefernprozessionsspinners entfernt hatte. Danach hatte er offensichtlich die Hände voll mit den Setae. Das Ergebnis, nachdem er dann eine Runde masturbieren war, war eine Vernarbung seines Genitals[4]. Blöd gelaufen. Immer schön aufpassen und Abstand wahren (nicht nur bei Corona eine gute Idee offensichtlich).

Klinik

Der häufigste Manifestationsort ist die Haut und ausgeprägter Juckreiz ist eigentlich immer vorhanden. 6-10 Stunden nach Exposition folgt eine von zwei Reaktionen auf die Setae, die 3-10 Tage anhalten kann[5]:

  • Solide Papeln mit mehr oder weniger Beteiligung von Urtikaria (eher allergisch bedingt)
  • Stecknadelkopfgroße Papeln, Pusteln und erythematösen Streifen (eher direkt toxisch bedingt)

Schwerste Komplikationen treten bei besonders engem und massivem Kontakt mit den Härchen auf. Gerade okuläre Symptome wie Konjunktivitis, Iritis, Keratitis (eine Erblindung erscheint ebenfalls möglich).

Respiratorische Symptome wie trockener Husten bis hin zu spastischer Bronchitis erscheinen logisch. Anaphylaktische Reaktionen bis hin zum Schock sind äußerst selten, aber möglich[1].

Therapie

Die Behandlung indes ist relativ simpel. Für lokale Reaktionen das Wundermittel der Dermatologie: Cortisol-Salbe und Antihistaminika. Für generalisierte Reaktionen dieselben Mittelchen intravenös und beim Schock Adrenalin intramuskulär (0,3-0,5mg).

Viel spannender ist die Frage nach der Prävention. Die Härchen können teils jahrelang in der Umwelt überstehen und dabei immer noch toxisch wirken. Sie können mit dem Wind weit von ihrem Ursprungsort hinweg getragen werden. Und nicht zuletzt stehen wirklich sehr viele Eichen in Bundesdeutschland rum. Alle Bäume zu fällen wäre echt keine sinnvolle Lösung.

Die Eradikationsmaßnahmen, wie Leimringe um die Baumstämme oder Absaugen mit Spezialgerät helfen auch nur kurzfristig. Und niemals sollte man nach solchen Säuberungsaktionen … masturbieren. Könnte nach hinten losgehen ;P

Ausblick

Das einzige, was beruhigt: Zwar wird seit der Jahrhundertwende immer wieder in wissenschaftlichen Artikeln über gefährliche Raupenhaare berichtet (nicht nur vom Eichenprozessionsspinner, sondern auch einigen anderen Spezies); allerdings kommt es vor allem ab und zu zu einer massiven Vermehrung der Raupen für einen Zeitraum von etwa 2-3 Jahren; danach nimmt die Population wieder ab. Das hat etwas mit Umwelteinflüssen zu tun, die wir auch kaum beeinflussen können (Temperaturen, Niederschlag, Nahrungsangebot für die Raupen, Zustand der Bäume etc.). Na gut, die Erderwärmung sollten wir langsam mal angehen…

Links:

Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

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