Schlangenbisse im Schwarzwald

 

Passend zum neuen Indiana Jones Film heute ein Beitrag über: Schlangen („Ich hasse Schlangen“).

In Deutschland gibt es tatsächlich zwei nativ vorkommende Giftschlangen (die anderen sind ja uninteressant): Aspisviper und Kreuzotter. Noch Zitat, weil ich nicht anders kann: „Aspisvipern, sehr gefährlich. Du gehst zuerst, Indy“ J

Es werden die Schlangen zunächst vorgestellt, und dann erläutert, was man medizinisch nach einem Biss tun sollte.

Kandidat 1: Die Aspisviper

Die Aspisviper (Vipera aspis) gehört zu den Viperidae innerhalb der Schlangen. 90 Zentimeter wird sie  maximal lang und kommt in Deutschland nur noch im Schwarzwald vor, außerdem in Spanien, Frankreich, Schweiz, Italien und Slowenien. Besonders in Höhenlagen ab 3000m und den Pyrenäen ist sie beheimatet. Ihr bevorzugtes Habitat ist warm, trocken und steinig, wie Geröllflöchen, Steinbrüche oder vegetationsfreie Schotterflächen.

Von der Zeichnung her ist sie hellgrau bis rotbraun oder auch komplett schwarz. Im Nacken befinden sich dunkle Querbinden.

Sie ist überwiegend tagaktiv und sehr standorttreu. Hauptsächlich Kleinsäuger, Eidechsen und auch schon mal Vögel stehen auf dem Speiseplan.

In den kälteren Monaten von Oktober bis März halten die Tiere eine Winterstarre in Verstecken etwa 5-8 Zentimeter unter der Erde. Da sie wechselwarm sind, bleibt ihnen letztlich auch gar nichts anderes übrig.

Sie gilt in der Roten Liste gefährdeter Arten als vom Aussterben bedroht und darf weder getötet noch gefangen werden.

Kandidat 2: Die Kreuzotter

Die Kreuzotter ist ebenfalls eine kleine Giftschlange aus der Familie der Vipern.  Sie ist meist nur 50-70 Zentimeter lang. Die Färbung ist recht variabel, von grau über blau-grau und orange bis schwarz. Auffällig ist vor allem ein dunkles Zickzack-Band auf dem Rücken. Besser zu identifizieren ist sie über ihre Morphologie: Der ovale Kopf ist recht deutlich abgesetzt vom Körper, die Schnauze gerundet mit einer flachen Kopfoberseite.

Sie ist in der nördlichen Hemisphäre recht weiter verbreitet, vor allem in Zentral- und Nordeuropa bis hin nach Skandinavien und Russland. Sie siedelt bis zu 2500m Höhe und ist vor allem tagaktiv.

Vor allem an sehr warmen Tagen (>30°C) und in Schwüle ist sie sehr aktiv, auf Wind reagiert sie eher empfindlich. Auch sie hält in den kalten Monaten eine Winterstarre.

Sie ist nicht auf bestimmte Beute spezialisiert, so stehen zum Beispiel Kleinsäuger, Eidechsen, Frösche oder Mäuse auf der Speisekarte, die meist Kopf-voran „am Stück“ verschlungen werden.

Beide Schlangenarten gehören zu den ovoviviparen Reptilien. Das heißt, dass in den gelegten Eier bereits Embryonen in fortgeschrittenem Entwicklungsstadium vorliegen, die meist nach Ablage oder schon kurz darauf bereits schlüpfen und nicht lange bebrütet werden müssen.

Grundsätzlich sind beide Schlangenarten eher scheu und fliehen bei Erschütterungen des Bodens. Nur wenn sie in die Enge getrieben werden, man auf sie tritt oder versucht anzufassen kommt es zu Bissattacken.

Und was ist jetzt mit dem Gift?

Das Gift der Schlangen ähnelt sich, wobei die Kreuzotter einen deutlich größeren Giftvorrat hat (11-18mg), als die Aspisviper (9-10mg). Auch die Wirkstärke der Kreuzotter ist etwa doppelt so stark wie diejenige Der Aspisviper.

Die LD50 des Kreuzottern-Gifts liegt bei 6,45mg / kg Körpergewicht, bei direkter intravenöser Injektion allerdings nur bei 0,55mg/kg Körpergewicht.

Bezogen auf einen Menschen mit 80kg liegt die tödliche intravenöse Dosis bei ~145mg. Das entspricht bei 18mg Giftvorrat dem Biss von 8 Kreuzottern. Und das ist schon der schlechteste Fall, denn meist wird es wohl eher zu einer subkutanen Injektion kommen, die noch deutlich höhere Grenzwerte bietet (siehe oben). Deshalb sind Todesfälle in Deutschland tatsächlich selten und betreffen eher Kinder oder geschwächte ältere Personen.

Das Gift enthält Neurotoxine, das neben Atemnot durch Lähmung und Herzbeschwerden auch Hämolysen verursacht. Weiterhin sind Proteasen enthalten, die auch direkt Gewebe angreifen und auflösen.

Symptomatik

Die Symptome ergeben sich aus den vorgenannten Bestandteilen: Rötung, Schwellung, Nekrosen, bis hin zu Nervenlähmung und Rhythmusstörungen.

Aber was tun wir nun, wenn wir auf einer entspannten Wanderung im Schwarzwald eine eher unschöne und überraschende Begegnung mit einer Aspisviper hatten?

Grundsätzlich ist das gift – giftig. Auch bei gesunden Menschen wurden schon Todesfälle beschrieben[2]. Der Biss sollte also, trotz der obigen Ausführungen, ernst genommen werden. Therapie besteht vor allem aus drei Schritten:

  1. Transport bzw. Evakuierung
  2. Verabreichung von Antivenin
  3. Intensivbehandlung

Um die Schlange zu identifizieren, kann man versuchen, ein Foto aus sicherer Distanz aufzunehmen (aus mindestens 2 Metern!) Versuche, die Schlange zu töten oder einzufangen sollten indes auf jeden Fall unterbleiben aufgrund der Gefahr weiterer Bisse; und auch eine enthauptete Schlange kann noch tödlich sein. Das betrifft natürlich eher Schlangen in anderen Teilen der Welt, aber better be safe than sorry. Der Beißreflex kann bis zu einer Stunde nach Abtrennen des Kopfes noch vorhanden sein!

Basale Erste-Hilfe-Maßnahmen, nicht mehr!

Erste-Hilfe Maßnahmen sind von anekdotischer Evidenz und haben laut Auerbach’s Wilderness Medicine (ein tolles Buch nebenbei bemerkt) auch teils mehr Schaden als Nutzen gestiftet.

Die schnelle Evakuierung und Verabreichung von Gegengift ist die wichtigste Maßnahme. Man könnte auch sagen: Die Uhr tickt! Nebenbei muss natürlich nach ABC untersucht und ggf. unterstützt werden. Sauerstoffgabe und ein Monitoring des Herzrhythmus können genutzt werden, wenn verfügbar. Belastung sollte vermieden werden, auch wenn ein Wanderer gegebenenfalls eine Strecke bis zur Rettung selbst laufen muss. Einengende Kleidung oder Schmuck sollten von der betroffenen Extremität entfernt werden in Erwartung der Schwellung.

Das Ödem sollte mit einem Stift in regelmäßigen Zeitabständen markiert werden, z.B. 15 minütig, damit das Rettungspersonal die Progredienz im Verlauf besser einschätzen kann.

Maßnahmen, die unterlassen werden sollten, sind insbesondere:

  • Inzision (zusätzliche Wunde, war bisher niemals sinnvoll; kann die Blutung verstärken – Stichwort Koagulopathie durch das Gift)
  • Wunde aussaugen (mit Mund oder Pumpe; Kontamination mit oraler Flora, ggf. Vergrößerung des Weichteilschadens)
  • Tourniquet
  • Elektrischer Schock (in den 80ern empfohlen: Ohne Evidenz! Erhöht die Rate an Myokardinfarkt und direktem Gewebeschaden ohne Morbidität oder Mortalität günstig zu beeinflussen!)
  • Eis
  • Alkohol

Und jetzt: Das Gegengift

Im Krankenhaus sollte unverzüglich ein Antivenin (intravenös, nach Rekonstitution langsam als Kurzinfusion über 1 Stunde) verabreicht werden, das in der Regel die für Europa vorkommenden Arten abdeckt. Es enthält Fab-Fragmente, die sich an das Gift der Schlang binden und inaktivieren. Zeit ist an dieser Stelle entscheiden, da diese Reaktion nur mit Molekülen funktioniert, die sich nicht bereits an Gewebe und Zellen angeheftet haben.

Dieses landläufige „Gegengift“ wird aber aufgrund hoher Kosten und begrenzter Lagerfähigkeit nur in zentralen Depots in Deutschland vorgehalten; zumeist sind das die Tropenmedizinischen Institute der Unikliniken oder das Serum Depot Berlin[5].

Ein ABC-Approach, der vor allem Atmung (Atemwege und O2-Therapie), sowie den Kreislauf mit einer adäquaten Volumentherapie beinhaltet, ist auf einer Intensivstation indiziert. Ein Anruf bei der Giftnotrufzentrale ist an dieser Stelle auch sinnvoll, um Klarheit über die Therapie zu gewinnen.

Zu bedenken ist auch: Allergische Reaktionen auf das Gegengift sind möglich und teilweise schwer. Allein deshalb schon sollten entsprechende Patienten auf die Überwachungs-/Intensivstation aufgenommen werden.

Wenn Schmerzen auftreten, sollten diese natürlich behandelt werden. Allerdings sollten NSAID wegen ihrer antikoagulatorischen Effekte eher vermieden werden.

Wundinfektionen nach Schlangenbissen sind selten (im Gegensatz zu Krokodilbissen) und die prophylaktische Gabe von Antibiotika ist nicht indiziert.

Noch ein Leckerli

Ach, und noch ein Schmankerl zum Schluss: Da Schlangengift hoch-immunogen ist, kann es nicht nur die oben genannten Effekte haben, sondern auch zu einer ausgewachsenen anaphylaktischen Reaktion führen, die ebenfalls ziemlich lebensbedrohlich ist.

Ich hoffe, ihr könnt nun euren nächsten Wanderurlaub im Schwarzwald so richtig genießen. Fanpost gerne unten in die Kommentare, aber natürlich auch gerne anderweitige Beiträge 😊

 

 

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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.

3 Kommentare

    • Jochen Keller auf 15. August 2023 bei 11:06
    • Antworten

    Hallo, danke für den Artikel.
    Ist die tödliche Dosis bei i.v. Biss und 80kg nicht 44mg (80kg* 0,55mg/kg), was im Zweifel eben ca. 2,5 Schlangenbissen entspricht?
    Und gerade für wesentlich giftigere, tödliche Schlangen, ist dort ein tournique nicht sinnvoll?

  1. Hallo,
    Vielen Dank für deinen Podcast, den ich regelmäßig höre.
    Ich plane nächste Woche eine Wanderung in morditalien in einem Naturschutzgebiet (Valle Grande)
    Auch dort sollen beide Schlangenarten vorkommen.
    Teilweise ist dort keine Mobilfunkverbindung verfügbar. Zugänglich ist das Tal fast nur über Fußwege.
    Hast du einen Tipp für mich?
    Grüße aus Baden-Baden

  2. Hi, da ich selbst im Urlaub war, nur eine kurze Einschätzung. Ich denke, dass das halb so wild ist. Die angesprochenen beiden Arten sind von so geringer Toxizität, dass man sich da keinen allzu großen Kopf machen muss. Schön auf den Wegen bleiben, keine Schlange provozieren (wenn man überhaupt eine zu Gesicht bekommt), quasi Primärprophylaxe.

    Ein Erste-Hilfe-Kit bei einer Wanderung in so ein abgelegenes Tal ist vermutlich sowieso dabei. Wegen möglicher allergischer Schocks nach einem Biss (vermutlich ist das sogar gefährlicher, als das eigentliche Gift (s.o.)) könnte man über ne Ampulle Adrenalin mit Kanüle und Spritze noch nachdenken. Dann wird das aber wohl ausreichen.

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