Notarzteinsatz. Stichwort: „Z.n. SEK-Einsatz, Nachforderung RTW“. Oha – machen wir jetzt einen auf Cobra 11? Da wäre meine Frau aber neidisch… Anfahrt in eine ruhige Anliegerstraße mit putzigen Einfamilienhäusern. Kein Wölkchen trübte den Himmel. Alles fein – was war hier passiert?
Wir wurden von einem Rettungsassistenten direkt zum Wagen gelotst. Die Patientin war bereits dorthin verbracht worden. Im Türrahmen des Hauses standen noch zwei finster dreinschauende Herren.
Ich fand eine junge Frau vor, etwa Mitte 20, die sich auf der Trage vor Schmerzen wand. Was war passiert? In den frühen Morgenstunden hatte es in besagtem Haus einen SEK-Einsatz gegeben. Inklusive Tür aufbrechen, reinstürmen und alle Personen stellen und auf dem Boden „festnageln“.
Wehentätigkeit nach SEK-Einsatz
Dummerweise war auch besagte schwangere! Frau darunter: 26. SSW – mit nun einsetzender Wehentätigkeit nach einem entsprechenden Trauma im Rahmen des Einsatzes. Wehenabstand 3-5 Minuten: Alter Falter! Für so etwas möchte ich nicht verantwortlich sein, wenn es kommt! Das Kind mag lebensfähig sein, aber das macht es eher noch schlimmer! Eine Frühgeburt im RTW ist etwas, das wünsche ich niemandem.
Als Zielklinik wählten wir deshalb ein Krankenhaus mit angeschlossener Kinderklinik aus, einen Maximalversorger. Dann setzten wir uns mit wehenden Fahnen in Gang.
Eine Notfall-Tokolyse ist sicherlich das Mittel der Wahl in solch einer Situation. Das Kind muss nur so lange noch „drin“ bleiben, bis es im Zweifel unter kontrollierten Bedingungen von erfahrenen Kinderärzten und Geburtshelfern auch geholt werden kann, wenn nötig oder unvermeidbar.
Tokolyse als Spray ist zweifelhaft wirksam
Früher gab es für solche Fälle Fenoterol, meist als Berotec(r)-Spray. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich es aber nicht zur Verfügung. Keine Ahnung warum. Da bleibt dann präklinisch nicht mehr viel übrig.
Während ich weiter nachdachte, notierte ich mir den Zeitpunkt jeder Wehe, um die Abstände einschätzen zu können. Weiterhin ging es alle 3-5 Minuten wieder los.
Fenoterol ist ein b2-Mimetikum. Da liegt der Gedanke nahe, dass auch Salbutamol gleichartig wirken könnte. Inhalativ sind beide Medikamente jedoch nicht zur Tokolyse zugelassen und die Wirksamkeit ist auf dieser Applikationsroute nicht bewiesen. Als i.v.-Lösung standen sie mir jedoch nicht zur Verfügung.
Zugelassen zur Tokolyse sind nur Fenoterol und Atosiban (i.v.)
In Deutschland sind de facto nur intravenöses Fenoterol und Atosiban zur Wehenhemmung zugelassen. Alle anderen Medikamente können nur off-label verwendet werden.
Eine weitere Möglichkeit schöpfte ich aber doch noch aus: Magnesium.
Die Datenlage dazu ist „kontrovers“ laut der Leitlinie (s.u.). In manchen Analysen verlängerte es die Schwangerschaft über 48 Stunden, in anderen nicht. (Die 48 Stunden sind die magische Grenze für die Wirksamkeit der Tokolyse in diesen Studien. Zur Notfall-Tokolyse schweigen sich die Quellen aus). Immerhin scheint Magnesium neuroprotektiv zu wirken. Wenn man sonst nichts hat, ist ein Versuch dennoch sicherlich gerechtfertigt.
Empfohlene innerklinische Tokolytika: Indometacin, Atosiban, Nifedipin
Die Medikamente, die für eine klinische Tokolyse primär empfohlen werden, seien auch der Vollständigkeit halber erwähnt: Indometacin (COX-Inhibitor), Atosiban (Oxytocin-Antagonisten), Nifedipin (Kalzium-Antagonist).
Keines dieser Mittel hatte ich auf dem Wagen, und musste dennoch etwas unternehmen.
Also gedacht, getan: Nachdem ich 2g Magnesium als Infusion über recht kurze Zeit verabreicht hatte, verlängerten sich die Wehenabstände deutlich (>10min!), bis sie bei Eintreffen im Krankenhaus fast verschwunden waren.
Sicher ist der Beitrag hier als Einzelfallschilderung zu sehen. In der u.g. Leitlinie der AWMF wird von Magnesium sogar wegen des fehlenden Wirksamkeitsnachweises abgeraten. Ebenso aber tatsächlich von b2-Mimetika wegen der Nebenwirkungen (Tachykardie, Lungenödem, fetale Nebenwirkungen). Atosiban oder Nifedipin haben wir zumindest – meines Wissens nach – nicht auf dem Wagen. Da bleibt nicht mehr viel übrig zur Tokolyse.
Die AGNNW führt als Indikation für Magnesium immerhin die „Wehenhemmung“ in ihrem offiziellen Handbuch auf (Link s.u.)
Im Krankenhaus angekommen, war dann immerhin alles fein. Puh. Ziel erreicht. Wie die Kollegen das dann dort weiter handhaben, ist deren Bier. Die haben aber auch andere Medikamente zur Verfügung.
Quellen:
Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.
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[…] Magnesium auch ein super Mittel zumindest für die Notfall-Tokolyse ist, hab ich hier schon mal beschrieben; auch wenn es als Langzeit-Tokolyse scheinbar nicht evident ist. Na gut, man […]