Digitalisierung – wir haben 2023 ver*§$%!“

 

Wie immer mal wieder auf meinem Blog durscheint, habe ich in meinem Alltag im Momemt auch viel mit handfester Digitalisierung zu tun (hier, oder hier, oder hier). Stichwort Krankenhaus-Zukunftsgesetz KHZG und die milliardenschwere Förderung des Bundes und der Länder. In diesem Rahmen wird richtig Geld in die Krankenhäuser gepumpt, um endlich den Weg in eine digitale Welt zu schaffen.

Jetzt gibt es die Förderung und es gibt Firmen, die Lösungen in aller Couleur anbieten. Von Krankenhaus-Informationssystemen über Systemen für die Intensivstation bis hin zu Handy-Apps, um Patienten über das Klinikgelände zu navigieren, damit sie rechtzeitig ihren Termin am anderen Ende des Geländes wahrnehmen können.

Aber sind wir dafür eigentlich bereit? Geld allein macht aus uns kein voll-digitales Land von heute auf morgen; vermutlich leider auch nicht übermorgen. Ich sag nur: „Faxen Sie’s mir doch“.

Einige Stationen wurden von mir digitalisiert

In der Tat sind meine Erfahrungen sehr gemischt. Ich durfte auf einer Reihe von Normalstationen die Abläufe digitalisieren. Das betrifft die Visiten, die nun am Patientenbett direkt – per Spracherkennung – ins Krankenhaussystem diktiert werden. Das betrifft Anordnungen, die in Echtzeit bei der Pflege aufpoppen, und ebenso schnell gespiegelt werden, wenn sie ausgeführt wurden oder Fragen auftauchen. Das betrifft auch die e-Medikation, die sicher der komplexeste Bereich der ganzen Digitalisierung in diesem Umfeld ist.

Ich rede hier explizit noch nicht vom Umfeld Intensivstation, das noch deutlich komplexer ist und performanter funktionieren muss, als die üblichen Systeme.

Dann gibt es noch die Frage der Pflegevisiten: Vitalwerte erheben und so. Wie kommen die ins System? Es gibt tatsächlich Vitalwertmonitore, die nach Scan des Patientenarmbands die Daten über WLAN direkt ins KIS spielen. Natürlich hat man dafür eine Verzögerung von wenigen Sekunden. Selbst bei WLAN-Ausfall kann man damit aber weiterarbeiten und später übertragen.

Ich schreibe das letzte so genau, weil an diesem Beispiel hervorragend die Probleme von Digitalisierung ausgearbeitet werden können. Denn diese Lösung von einem hier nicht zu nennenden Hersteller haben wir seit kurzer Zeit im Einsatz. Die Schnittstelle funktioniert astrein, alle Daten kommen rüber, für alle Eventualitäten sindwir gewappnet. Endlich mal eine Schnittstelle, die funktioniert (strukturierte Daten, die direkt beim Patienten erfasst und versandt werden, ohne abschreiben zu müssen, yay!)

Wenn da nicht die andere Seite wäre…

Es könnte alles so schön sein – und tatsächlich nehmen die meisten Mitarbeiter das Angebot sehr gut an. Im Grunde ist das mein Fuß in der Tür, auch andere Dinge auf den Stationen in den PC zu überführen. Eine Doppeldokumentation auf Papier und im PC ist völlig obsolet und grundsätzlich abzulehnen. Damit bin ich bei meinen Einführungen bisher auch sehr gut gefahren. Das aber nur am Rande.

Dann gibt es aber Mitarbeiter, die auf einmal anfangen, täglich böse Support-Tickets zu schreiben, wie schlecht doch alles sei. Das WLAN sei so schlecht, das sei ja im Urlaub im Hotel auf woauchimmer schon besser gewesen. Die Latenz der Übertragung (1-2 Sekunden!) sei viel zu lang, das gehe ja gar nicht, und überhaupt würden Menschen sterben, wenn man das jetzt digitalisieren würde.

(Das „da kommen Patienten zu schaden“ Argument kommt immer wieder. Das ist quasi das Totschlagsargument für jegliche Änderungesbemühungen).

Denn im Grunde wird es durch die Erfassung besser: Die Pflege muss nichts abschreiben. Die Werte sind von überall im Haus, auch natürlich während der Visiten einsehbar. Man kann jederzeit nachvollziehen, wer es erfasst hat. Das heißt, wir entlasten die Mitarbeiter und lassen sie auf ihre Kernkompetenz konzentrieren: Sich entspannt um den Patienten zu kümmern, ohne sich um Dinge wie abschreiben sorgen zu müssen, was ja wieder ablenkt.

Manche behaupten das eine und machen das andere…

Aber scheinbar gibt es Menschen, die einfach keine Veränderung wollen. Sie mögen zwar behaupten, dass sie „digitalisieren wollen“, aber wenn es dann ernst wird, werden Scheinargumente angeführt, um doch wieder zu verhindern.

Zum Beispiel: „Nein, du musst alles auf Papier dokumentieren, weil es digital nicht rechtssicher archiviert wird“. Falsch. Unser System ist zum Beispiel ein zertifiziertes Medizinprodukt. Die garantieren dafür! Außerdem ist noch ein Archivsystem hinten angeschlossen, das auch noch mal archiviert. Eindeutig falsifizierbar. Aber solange solche Leute mit solchen Behauptungen durchkommen – und vielleicht noch in Leitungspositionen sitzen – wird es mit der Digitalisierung nichts werden.

Denn mit dieser kruden Argumentation kommt ja im Grunde ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber digitalen Systemen zum Ausdruck. Da sind die Vitalwertmonitore natürlich ein rotes Tuch – wenn man schon einer Freitext-Visitendoku im System nicht vertraut (Was man aber kann. Grundvoraussetzungen für solche Systeme sind zum Beispiel: Revisionssicherheit und Nachvollziehbarkeit).

Ich muss mir hier gerade etwas Frust von der Seele schreiben, es tut mir leid. Auf der anderen Seite gibt es nämlich auch viele Mitarbeiter, die der Digitalisierung aufgeschlossen gegenüber sind. Es ist halt ein Geben und Nehmen: Die Systeme arbeiten auf irgendeine Art und Weise, die in der Regel auch noch angepasst werden kann auf Bedürfnisse (das nennt sich Parametrierung). Auf der anderen Seite sind auch die Mitarbeiter gefordert, ihre Arbeitsweise (=ihre Prozesse) ggf. etwas anzupassen, dass man sich in der Mitte treffen kann und ein Benefit entsteht.

Beispiel: e-Medikation

Ein gutes Beispiel ist die e-Medikation. Alle reden davon, was man alles tolles damit erreichen kann (Arzneimittel-Therapie-Sicherheit AMTS,  Nachvollziehbarkeit, Medikationspläne nach gesetzlichen Vorgaben drucken, Rezepte ausstellen…).

Die wenigsten machen sich aber Gedanken darüber, wo die Daten eigentlich herkommen. Aktuell muss halt jemand am Anfang des Prozesses (Patientenaufnahme, egal wo das ist, auch wenn es die ZNA ist!) die Medikamente erfassen. Das heißt: Den Medikationsplan scannen, oder im schlechtesten Fall auch die Medis einmal in den PC hacken. Es entsteht an dieser Stelle eventuell etwas Mehrarbeit (wobei die Internisten das aktuell bei uns sowieso machen, nur eben in Word 😉

Auf der Station und bei der Entlassung entfällt aber Arbeit, denn niemals mehr muss jemand Medikamente im Patientenaufenthalt abschreiben (weder Pflege noch Ärzte). Man ändert halt die Medikation, so wie man damit arbeitet, und am Ende fallen Medikationsplan und Rezepte quasi einfach „raus“.

Keine Medikationserfassung in der ZNA möglich??

Wenn man aber einfach nur seinen Bereich „Notaufnahme“ sieht, und nicht den ganzen Prozess (oder es einfach nicht will, Stichwort unsinnige Widerstände), dann werden wir auch noch in 10-20 Jahren Medikamente per Hand in Excel-Kurven tickern. Mich stört vor allem die Verhinderungspolitik einzelner v.a. ärztlicher Kollegen. So kommt man nicht voran. Und die Scheinbehauptungen, es sei keine Zeit für e-Medikamente da oder Patienten kämen sonst zu schaden, sind einfach nicht haltbar. Im Gegenteil: e-Medikation und die AMTS schützt Patienten und Medikation ist wichtig: Deshalb sollten Ärzte ein ganz besonderes Augenmerk darauf haben.

Aber was rede ich alles. Ich werde weiter die Leute triezen und vor allem da weiter machen, wo die Leute verstanden haben, was Digitalisierung eigentlich bedeutet. Nämlich nicht einfach alles „auf’m Tablet“  zu machen, sondern auch alle Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und gegebenfalls auch die eigene Komfortzone eingefahrener Arbeitsweisen zu verlassen, um die vielbeschworenen Vorteile der Digitalisierung einzuheimsen. Das setzt natürlich gut funktionierende Schnittstellen und fitte EDV-Abteilungen voraus, die brauchbare Systeme aufsetzen; das ist die andere Seite der Medaille, über die ich mich vielleicht demnächst mal auslasse 🙂

Wie sind eure Erfahrungen mit Digitalisierung? Schreibt es mir gerne in die Kommentare, lasst uns auch gerne diskutieren.

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