Im Rahmen des Studiums großer Anästhesie-Bücher bin ich über einen Gefäßzugang gestolpert, den ich im normalen Alltag nicht für möglich gehalten hätte: Die Vena saphena magna. Vor allem im Zusammenhang mit einem chirurgischen Cut-Down wird sie immer wieder erwähnt.
Eigentlich hatte ich das – auch weil es unter anderem in Tintinalli’s Emergency Medicine nur eine Randnotiz ist – für ein überholtes und Kolibri-artiges Verfahren gehalten. Auf der anderen Seite entsteht dieser Artikel gerade im aufsteigenden Ast der dritten Corona-Welle mit vielen Bauchlage-Patienten auf der Intensivstation.
Man denke sich nur folgendes: Wir haben einen typischen Intensiv-Langlieger-Patienten, der schon überall peripher ödematös gequollen ist aufgrund der forcierten Volumentherapie und des Kapillarlecks. Nun liegt er auf dem Bauch wegen der Verbesserung der Oxygenierung, aber benötigt noch dringend einen weiteren Schenkel, weil der zuletzt gelegte ZVK schon voll belegt ist. Was tun?
Schwierige Punktionsverhältnisse in Bauchlage
In Bauchlage sind die Venen in der Regel nicht gut erreichbar. Denkbar wären die Arme und die Beine. Wenn man Glück hat, bekommt man noch einen Zugang am Handrücken. Die Ellenbeuge scheidet in Bauchlage leider aus. Da bleibt nur noch das Bein. Oder das Zurückdrehen auf den Rücken – aber das ist was für Spaßverderber 😉
Eigentlich wird ein Cutdown auf die V. saphena magna als Notfallzugang beschrieben. Sie ist eine relativ große Vene, die auf der Innenseite des Unterschenkels entlang läuft und superior und anterior des Malleolus medialis endet. An dieser Stelle ist sie recht gut anatomisch definiert und für uns zugänglich.
Chirurgischer Cutdown im Detail
An dieser Stelle wird eine vorsichtige Querinzision der Haut durchgeführt und vorsichtig mit einer kleinen Klemme das subkutane Gewebe stumpf in longitudinaler Richtung präpariert (d.h.: Klemme geschlossen einführen, spreizen, zurückziehen; außerhalb Klemme wieder schließen und erneut beginnen).
Nach Darstellung der Vene wird die Klemme in geschlossenem Zustand darunter hindurch geführt und ein chirurgisches Faden gegriffen, der zurück darunter hindurch gezogen wird. Über eine distale Ligatur soll nun der Rückstrom in den Fuß vermieden werden. Proximal der Ligatur kann die Vene nun kanüliert werden. Die Braunüle muss nun noch fixiert werden, zum Beispiel über eine weitere proximale Ligatur oder Pflaster, oder was sonst noch zur Verfügung steht.
Soweit die Theorie. Ich denke, dass die wenigsten Kollegen das in der Praxis so schon einmal durchgeführt haben. Als ich zuletzt einen Kurs für ausländische Ärzte zur Qualifizierung abgehalten habe, wurde mir das als Notfallzugang angeboten, was mich schon ehrlich etwas erstaunt hat. Aber offensichtlich handelt es sich tatsächlich um einen erprobten Zugang; der offensichtlich nur bei uns nicht so geläufig ist.
Auch POCUS kann zum Ziel führen
Grundsätzlich kann man aber auch das Skalpell ruhen lassen und die Vene einfach, als Freund von POCUS, unter Ultraschall-Kontrolle punktieren. Bei manchen Menschen sieht man die Vene auch so, aber bei unserem Intensivpatienten mit den Ödemen wird das wohl weniger der Fall sein.
Dafür setzt man den Schallkopf quer zum Gefäßverlauf auf und punktiert in Out-of-plane Technik die Vene. Manchmal geht das sogar ungestaut. Ansonsten muss man halt peripher einen Venenstauer anlegen.
Stellt sich die Frage nach dem Sinn der distalen Ligatur, die bei einer konventionellen Punktion natürlich fehlt. Rein anatomisch gesprochen sehe ich da keinen Sinn für. Die Vene hat doch Venenklappen, die den Blutstrom nach proximal leiten; eine „Fuß-Infusion“ wird wohl kaum möglich sein.
Ausblick
Übrigens hat sogar das British Journal of Anesthesia schon einen Beitrag zu diesem Zugangsweg gebracht. In diesem Fall ging es um den Venenzugang bei kleinsten Kindern. Mit Ultraschall lag die Erfolgsquote bei 96 bis 100%. Wird also wohl was dran sein an der Nummer.
Wenn ihr also das nächste Mal verzweifelt einen guten Gefäßzugang sucht, und die klassischen Wege ausscheiden (V. jug. ext., Leiste, intraossär), denkt doch mal an die „Magna“. Die ist erstaunlich einfach zu treffen!
Links:
- [1] Triffterer et al., Ultrasound-guided cannulation of the great saphenous vein at the ankle in infants, BJA VOLUME 108, ISSUE 2, P290-294, FEBRUARY 01, 2012
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK532880/
- https://wikem.org/wiki/Venous_cutdown
Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.
1 Kommentar
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Tatsächlich schon beim Kind gemacht. Und beim erwachsenen Patienten gesehen aber da hat das einfach so punktieren geklappt. Gut war aber ein erfahrener Kinderanästhesist
[…] Der chirurgische Cutdown auf die Vena saphena magna ist eine Option, die in manchen Ländern praktiziert wird, hierzulande aber angesichts einfacherer und schnellerer Methoden meines Wissens nach nicht angewandt wird. Wen es interessiert, ich hatte es in einem Beitrag auch mal kurz beschrieben. […]