Strom ist allgegenwärtig, auch und besonders in den Funktionsbereichen wie der Intensivstation oder dem OP. Das Potential für fatale Komplikationen ist vorhanden, aber dank unserer Freunde aus der Elektrotechnik zum Glück heutzutage gering. Nichtsdestotrotz bleibt das Problem mit Kriech- und Fehlerströmen, die im schlechtesten Fall zur Exekutierung des Patienten per Stromschlag führen können.
Explosionen wegen Funkenschlags im OP ist ein anderer Bereich, den ich in einem Folgeartikel behandeln werden. Auch sehr spektakulär.
Strom aus der Steckdose ist im OP überall. Neben der Ladung für Narkosegeräte und das Monitoring wird die Beleuchtung, die Endoskope, Ultraschallgeräte und die chirurgische Diathermie (der Kauter) in die dort eingesteckt. Und auch wenn viele dieser Gerät einen eigenen Akku haben, so werden sie dennoch zumindest zeitweise ans Stromnetz angeschlossen.
Die internationale Norm 60601-1 für elektrische Gerätesicherheit
Damit sind sie in der Regel nach der IEC 60601-1 Norm Klasse I und II Geräte mit entsprechendem Gefahrenpotential. In Klasse I muss mindestens das elektrische Gerät vom Gehäuse elektrisch isoliert sein, in Klasse II das Gehäuse auch noch mal eine extra Isolierung aufweisen. Deswegen haben viele Geräte im OP eine extra „Kordel“ zur Erdung, die zur Sicherheit in die entsprechenden Buchsen gesteckt werden sollte (diese grün-gelb-geringelten Kabel).
Eine Unterteilung dieser Klassen in B, BF und CF kann vorgenommen werden.
Typ B Geräte haben einen begrenzt erlaubten maximalen Leckstrom (Klasse I: 0,05mA, Klasse II: 0,1mA). Typ BF Geräte weisen als Steigerung eine Isolierung des Teils auf, der an den Patienten angeschlossen wird, was deutlich sicherer ist. Typ CF Geräte haben deutlich niedrigere Toleranzen für den Leckstrom und dürfen auch Kontakt mit dem Herzen des Patienten haben (Klasse I: 0,05mA pro Elektrode, Klasse II: 0,01mA).
Pathophysiologie von Strom
Verschiedene Probleme entstehen beim Kontakt mit Strom:
- Erhitzung der Gewebe und Verbrennungen durch den Stromfluss
- elektrische Stimulation erregbarer Gewebe (Atemmuskeln, Herz)
- elektrochemische Effekte
- Entzündung von entzündlichen Materialien (alte Narkosegase!)
Faktoren für die Schwere der Effekte sind abhängig von Resistenz (R), Energiemenge (I) und Spannung bzw. Potentialdifferenz (V), der Frequenz, dem Weg der Stromrichtung, Energiedichte und der Expositionszeit.
Die Haut ist bei der ganzen Sache der Widerstand, der uns beschützt. Allerdings ist er sehr variabel:
- Haut trocken: 10-40 kOhm / cm²
- Schweiß: 2,5kOhm / cm²
- nasse Haut: 1,2-1,5kOhm / cm²
Schleimhäute haben natürlich den geringsten Widerstand (0,1kOhm / cm²) und die höchste Leitfähigkeit, Fett und Knochen den höchsten Widerstand.
Blöderweise leiten auch Muskeln den Strom hervorragend. Das betrifft Skelett-, wie auch den Herzmuskel.
Stromfrequenz, Energiedichte und das Herz
Aus wirtschaftlichen Gründen beträgt die Netzspannung in Europa 50Hz. Bei dieser Spannung kann im Umspannwerk am meisten Energie am effizientesten in die Netze eingespeist werden. Ausgerechnet diese Frequenz ist aber auch die, die dem Körper am meisten Schaden zufügen kann (bei dieser Frequenz wird am wenigsten Energie für schädliche Effekte „benötigt“).
Das gefährdetste Organ ist das Herz. Ab einem Stromfluss von 100mA können Tachyarrhythmien und Kammerflimmern ausgelöst werden. Studien legen nahe, dass die Stromflussrichtung einen Einfluss auf die Art des Schadens nimmt. Horizontaler Fluss (von Arm zu Arm) führt eher zu Rhythmusstörungen, vertikaler Fluss eher zu strukturellen Beschädigungen[2].
Wechselstrom aus der Steckdose ist etwa viermal so gefährlich wie Gleichstrom aus z.B. Batterien.
- 1mA: Kitzelnde Empfindungen
- 5mA: Schmerz
- 30mA: Grenzwert für Greifreaktion (Patient kann nicht mehr loslassen)
- 50mA: Atemmuskelkontraktion, Asphyxie
- 100mA: Grenzwert Kammerflimmern
Die Greifreaktion ab 30mA Energiefluss entsteht dadurch, dass alle Muskeln mit dem Strom kontrahieren; jedoch sind die Flexoren deutlich stärkere Muskeln als die Extensoren. Et voila 🙂 !
Stromunfälle im OP
Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen können Unfälle im OP passieren. Der Patient bekommt Kontakt mit elektrischen Geräten und wird deshalb zumindest auch teilweise sogar bewusst Strömen ausgesetzt (Bsp: chirurgische Diathermie). Andere Geräte sind beispielsweise das anästhesiologische Monitoring wie EKG-Elektroden. Diese Geräte können Fehlfunktionen haben, wie eine fehlerhafte Erdung.
Die Erdung im Stromwerk unterscheidet sich in der Regel gering von derjenigen der Geräte im OP aufgrund des Widerstands der verwendeten elektrischen Geräte und des Patienten. Die Erdungsniveaus sind gering unterschiedlich.
Wenn jetzt noch die Geräte Teil verschiedener Stromkreise sind, kann das relevante Ausmaße annehmen. Kriechströme können entstehen, die eine Erdung durch den Patienten einschließen. Alle Geräte eines Bereichs sollten deshalb miteinander mit einem niedrig-resistivem Leiter verbunden sein, um Spannungsdifferenzen immerhin zu minimieren.
Mikroschock
In der Tat ist der Makroschock, also die große Gerätefehlfunktion, die in Stromstärken über den beschriebenen 100mA und Kammerflimmern endet, sehr selten. Durch den gerade beschriebenen Mechanismus kann es aber dennoch zum Mikroschock kommen.
Wenn Elektroden direkten Kontakt zum Myokard haben, wie im Herzkatheterlabor oder bei Herzschrittmachern, kann bei deutlich geringeren Stromstärken dasselbe passieren. Allerdings sollen hier schon 50-100µA ausreichen!
Dass auch Infusionslösungen als Stromleiter fungieren können, beschreiben die Kollegen Schwarz et al.[1] in ihrem Fallbeispiel, in dem ein fehlerhaftes Gerät Stromimpulse abgab, die über die Elektrolytsäule des arteriellen Systems weitergeleitet wurde (s. Abbildung links; rechts nach Austausch des Geräts):
Potential for conduction of microshock via intravenous fluids, Schwarz et al., Anaesthesia. 2016 Apr;71(4):471. doi: 10.1111/anae.13425.
Fazit:
Dass Strom gefährlich ist, wenn man in die Steckdose packt, ist nun wirklich nichts Neues. Der Anästhesist sollte sich aber im Klaren sein, dass Patienten im OP ebenfalls grundsätzlich einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Wir arbeiten mit vielen Geräten, die teils gewollt, aber auch teils ungewollt (Fehlfunktion) zum Schließen von Stromkreisen führen, und (deletäre) Effekte erzeugen können.
Die beste Waffe gegen solche Dinge ist die regelmäßige Wartung durch geschultes technisches Personal. Außerdem die sofortige Außerbetriebnahme von Geräten und Kabeln, die offensichtlich beschädigt sind (Beschädigung der Kabelisolierung, sodass die blanken Drähte zu sehen sind – und nein: Leukoplast ist kein geeignetes Isolierband!). Und immer schön die Geräte mit ihrem Erdungskabel in die vorgesehenen Buchsen stecken, auch wenn’s nervt!
Und wie immer: Aufpassen, wie ein Luchs. Stay safe!
Links:
- [1]Potential for conduction of microshock via intravenous fluids, Schwarz et al., Anaesthesia. 2016 Apr;71(4):471. doi: 10.1111/anae.13425.
- Ward’s Anesthetic Equipment
- Anesthesia Science Viva Book
Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.
2 Kommentare
Danke für den tollen Artikel bzw. überhaupt deine Website! Lerne gerade für EDAIC und finde das enorm hilfreich.
Autor
Dankeschön für den netten Kommentar 🙂 Freut mich, dass es hilft. Das motiviert mich, weiter zu machen 🙂 !