Simulation, Training, KI: spannende Beispiele für IT-Unterstützung in der Medizin

 

Von Berufs wegen bewege ich mich auch ein wenig abseits der primären Patientenversorgung (50% IT, eine sehr coole Kombination mit Anästhesie). In diesem Artikel möchte ich euch ein paar spannende Projekte vorstellen, die mir über den Weg gelaufen sind.

Jeder gute Artikel über Medizininformatik beginnt mit einem Lacher wegen der neuesten Verschiebungen der Telematik-Infrastruktur. In Kürze: Im Prinzip seit 2002 arbeiten sehr viele Institutionen an dem Konzept (und das ist wohl auch das Hauptproblem). Weitere Infos hier: https://digitales-gesundheitswesen.de/chronik/

Dass das immer noch nicht angekommen ist, ist traurig. Zum Thema elektronischer Heilberufsausweis hatte ich auch schon mal einen Artikel geschrieben. Seitdem hat sich natürlich nichts Substantielles geändert ;P

Nun aber zu wirklich spannenden Themen. Wir beginnen mit künstlicher Intelligenz, KI:

IBM Watson Health als Radiologe

Watson ist eine Künstliche Intelligenz, die von IBM entwickelt wurde und wird. Man füttert sie mit Informationen und mithilfe von neuronalen Netzen und Machine Learning / Deep Learning lernt die Software. Nach einer gewissen Lernphase kann sie dann Empfehlungen und Entscheidungen aufgrund der Datenbasis geben und treffen. Das funktioniert erstaunlich gut.

Deshalb unternahm IBM in der Sparte Watson Health den Versuch, die Früherkennung von Brustkrebs anhand von automatisch analysierten Mammographien zu revolutionieren. Eingespeist wurden sowohl befundete Röntgenbilder, als auch Laborwerte, Vordiagnosen etc.. Es handelt sich also nicht um einen reinen Bild-Analyse-Algorithmus, sondern einen holistischeren Ansatz.

Diese Informationen waren übrigens nur vorhanden, weil die kooperierenden Krankenhausträgern in Isreal (Maccabi Health Services und Assuta Medical Center) größtenteils mit elektronischen Patientenakten arbeiten. Ohne elektronische Informationen wäre das Projekt nicht möglich gewesen.

Bilder von 13,234 Patientinnen wurden eingespeist, mit insgesamt 52,936 Bildern. Im Ergebnis und den Gegenkontrollen durch Radiologen erreichte Watson eine Sensitivität von 87% und eine Spezifität von 77,3%. Die Beurteilung von Bildern und Klinik/Daten aus der Patientenakte verbesserte die Ergebnisse  übrigens signifikant[1]. Also immer schön auch dem Radiologen so viele sinnvolle Informationen wie möglich mitschicken, egal ob da eine KI zur Unterstützung sitzt, oder ein Mensch allein.

Performance doch eher durchwachsen…

In den Follow-Up Untersuchungen, auch in Kooperation mit einem onkologischen Zentrum in den USA, performte Watson leider dann nicht mehr so gut, und gab teils auch falsche oder unsichere Schlussfolgerungen aus. Seit diesem Jahr scheint IBM auch daran interessiert zu sein, die gesamte Watson Health Sparte zu verkaufen. Es ist wohl nicht rentabel, und immer noch ein langer Weg, bis eine gute KI-Unterstützung bei komplexen Entscheidungen in der Medizin zu erreichen ist. Hier gibt es einen langen Artikel, der die Chronologie und aktuellen Entwicklungen zusammenfasst.

Übrigens funktionierte der Tay-Bot von Microsoft 2016 ähnlich. Es handelte sich um einen Chatbot, der mit Tweets zum Lernen gefüttert wurde. Die Nutzer auf Twitter machten sich allerdings einen Spaß daraus, den Bot mit anzüglichen, beleidigenden und nicht jugendfreien Inhalten zu speisen. Der Bot lernte alles brav und wurde ein Internet-Troll par excellence 😉 MIcrosoft musste ihn nach nur 16 Stunden wieder offline nehmen.

Heike C. Ewert

Chirurgisches Skill Assessment durch Computer

Eine recht lustige Studie, wie ich finde, gab es dieses Jahr in Scientific Reports[2]. Da die manuellen Fähigkeiten eines Chirurgen natürlich auch das Outcome von Patienten direkt beeinflussen, suchten die Kollegen nach Wegen, um diese zu bewerten: „Gut“ oder „schlecht“. Ein Grading wurde versucht, zeigte aber keine überzeugenden Ergebnisse. Dafür wurde ebenfalls eine Maschine mit vielen Videos von laparoskopischen Cholezystektomien gefüttert.

  • In Phase 1 erkannte die Maschine die chirurgischen Instrumente in den Videobildern, Bild für Bild.
  • In Phase 2 wurden die Bewegungen analysiert. Das Modell hatte unterschiedliche Schwierigkeiten mit Zangen und Scheren, aber das nur am Rande.
  • In Phase 3 wurde anhand eines linearen Regressionsmodell die Bewegung der Instrumente bewertet.

Die Bewertungen der Maschine wurden natürlich auch mit Bewertungen durch Menschen verglichen. Dabei gab es eine positive Korrelation. Die Genauigkeit lag bei der Unterscheidung gut/schlecht bei ~87%, aber beim Grading nur bei ~70%. Die Autoren geben an, dass für so etwas vermutlich eine größere Datenbasis zum Training notwendig ist.

Acceptance Factor: Vermutlich „poor“

Ich kann mir kaum vorstellen, dass das in der Praxis gut ankommt: Du hast eine Maschine, die dir sagt ob du gut oder schlecht gearbeitet hast. Oder dein Vorgesetzter bekommt eine Mail, wenn du underperformst. Obwohl – in manchen Fällen wäre das bestimmt mal eine Maßnahme. Auf uns Anästhesisten hört ja sowieso keiner.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als auf einer chirurgischen Station ein Medikations-Tool installiert wurde, dass sämtliche Interaktionen und Kontraindikationen analysierte und als Warnmeldungen ausspuckte. Auf einmal waren überall rote Warnungen bei den Patienten angebracht. Die Kollegen fanden das äußerst lästig. Das Programm wurde abgeschafft ;P

Simulatoren

Vor allem für die Forschung, aber auch Ausbildung möglich, gibt es ein paar coole Simulatoren, die ich euch hier kurz vorstellen möchte. Sie sind kostenlos, aber unfassbar komplex. Universitär, könnte man sagen.

ECGsim simuliert die Erregungsausbreitung im Herzen. Diese wird visualisiert und gleichzeitig noch alle EKG-Ableitungen konstruiert, die daraus resultieren. Es werden keine vorgerenderten Grafiken angezeigt, sondern alles wird berechnet. Empfehlenswert, auch wenn es schwierig zu sein scheint, neue Fälle einzufügen.

Die Pulse Physiology Engine von Kitware ist ebenfalls kostenfrei verfügbar. Es handelt sich um eine Simulation aller Organe und deren Zusammenspiel: Herz, Lunge, Kreislauf, Lungen, Gehirn, Leber, Niere. An sich ist das ein Framework, das in anderen Anwendungen, bis hin zu Hands-On Simulatoren genutzt werden kann und soll. Es gibt auf deren Homepage aber auch ein Frontend, das man als Software auf dem heimischen Computer verwenden kann.

„Füge eine Blutung, mit Blutungsrate 50ml/min hinzu. Die Lungenfunktion ist rechts zu 50%, links zu 30% eingeschränkt, die Lungenperfusion ist ebenfalls eingeschränkt.“

Medikamentengaben und andere Maßnahmen sind ebenfalls verfügbar. Und am Ende wird alles in Form eine Vitalwertmonitors ausgegeben. Der kostenfreie Simulator, der darauf aufsetzt ist auf jeden Fall einen Blick wert.

Zusammenfassung

Es gibt viele interessante Projekte, die IT in der Medizin nutzbar machen sollen. Leider kommen die meisten nicht über eine Betaphase hinaus. Selbst große Projekte wie IBM Watson haben es schwer.

Das heißt aber nicht, dass es gar nicht in der Hinsicht voran geht. Meist von Universitäten werden sehr interessante und umfangreiche Projekte sogar kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Kennt ihr noch andere interessante IT-Projekte in der Medizin? Vielleicht Simulatoren, um die Patientenversorgung zu trainieren? Ich bin gespannt auf eure Kommentare!

Links:

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.