Und hier befinden wir uns in einem Bereich der Anästhesie, der längst nicht so klar ist, wie es von manchen Kollegen propagiert wird.
Anzumerken dabei sei, dass moderne Überdruck-Beatmung niemals physiologisch ist.
Physiologische Beatmung würde über die Expansion des Thorax und eine Inspiration über einen Unterdruck entstehen (s.a. „Eiserne Lunge“). Da das aber viele Nachteile mit sich bringt (v.a.: man kommt überhaupt nicht an den Patienten ran zur Pflege, geschweige denn zu einer OP), wurde das Verfahren zugunsten der Intubation und Überdruckbeatmung verlassen.
Beatmung verursacht vielfältige Traumata
Die Traumata sind vielfältig, die durch solch eine Beatmung verursacht werden können:
- Barotrauma (Pmax > 30mbar) durch zu hohe Spitzendrücke
- Volutrauma (Tv > 6-8ml/kg KG) durch zu hohe Zugvolumina
- Atelektrauma durch periodisches Eröffnen und „Zufallen“ kleiner Atemwege, vor allem im dorsalen Bereich der Lunge
Weiterhin führt eine künstliche Beatmung zur Verminderung der Totalen Lungenkapazität, einer Erhöhung des Rechts-Links-Shunts, einer Verminderung der Lungencompliance und einer Erhöhung des funktionellen Totraums.
Die Beatmung sollte möglichst atraumatisch eingestellt werden.
Es ist also absolut angezeigt, die Beatmung so wenig traumatisch wie möglich durchzuführen (atraumatisch kann gar nicht möglich sein).
Folgende Zielparameter sind dabei aktuell in der Literatur zu finden (v.a. geprägt durch die ARDSnet Studien):
- Ppeak < 30mbar
- Tv ~6-8ml/kg KG (Atemfrequenz entsprechend CO2 und AMV adaptiert)
- Lieber den PEEP erhöhen als den inspiratorischen Sauerstoff (O2 ist toxisch, nicht vergessen!)
- Driving Pressure < 15mbar (das ist der Druckunterschied zwischen PEEP und Pmax)
Häufig wird eine druckkontrollierte Beatmung bevorzugt. Dafür wird ein konstant-Druck-Generator verwendet. Der klare Vorteil ist, dass der eingestellte Druck niemals überschritten werden kann. Außerdem kann das Druckniveau über den Zeitraum der Inspiration insgesamt etwas niedriger gehalten werden, als der Spitzendruck bei vergleichbarem Tidalvolumen bei einer volumenkontrollierten Beatmung. Dafür ist der der Beatmungsdruck eher rechteckförmig, was zu einem durchschnittlich höheren Druck über den Zeitraum der Einatmung führt. Angeführt wird auch der dezelerierende Gas-Flow, der angeblich besser (=physiologischer?) sei. Dafür habe ich allerdings noch keine konstante Studienlage gefunden.
Die Alternative ist die klassische volumenkontrollierte Beatmung. Über einen konstant-Flow-Generator wird über einen definierten Zeitraum solange Volumen gegeben, bis das Ziel-Tidalvolumen erreicht ist. Bei akutem Compliance-Abfall der Patientenlunge (Patient presst, wird spastisch, Tubus ist abgeknickt etc.) würde der so erreichte Spitzendruck nun drastisch ansteigen. Deshalb gibt es die Not-Abschaltgrenze Pmax, die in der Regel bei 30mbar eingestellt wird. Grundsätzlich kann man auch mit solchen Einstellungen lungenprotektiv beatmen.
Druckkontrollierte Beatmung wird auf der Intensivstation verwendet
Auf der Intensivstation ist die druckkontrollierte Beatmung über Tage und Wochen vermutlich aber vorteilhaft, weil sich der absolute Spitzendruck schon etwas reduzieren lässt. Nach persönlicher Erfahrung liegt der Ppeak-Unterschied zwischen VCV und PCV bei etwa 1-2mbar.
Als Hybrid-Verfahren gibt es auch noch die volumenkontrollierte Druck-Beatmung (Bei Dräger ist das : Volume Autoflow, oder woanders auch PRVC=Pressure regulated volume control). Das Tidalvolumen wird wie bei der volumenkontrollierten Beatmung eingestellt, aber die Maschine gibt eine Druckkurve aus wie in der Druck-Beatmung, misst die resultierenden Tidalvolumina und passt die Druckniveaus anhand des eingestellten Tv ein. Ein sehr elegantes Verfahren, wenn man die Vorzüge beider Verfahren kombinieren möchte.
Im OP bei kurzzeitigen Beatmungen scheint sich aber kein Verfahren vom anderen großartig zu unterscheiden, was die Komplikations- oder Traumaraten angeht. Die Patienten sind meist mehr oder weniger lungengesund und werden nur kurz beatmet, maximal ein paar Stunden. Solange man die allgemeinen Zielwerte (s.o.) einhält, bin ich der Meinung, dass auch nichts gegen eine volumenkontrollierte Beatmung spricht.
Im Gegenteil: Wenn sich die Patientencompliance im Rahmen der OP ständig ändert wegen Schmerzreizen, OP-Druck im Abdomen und ähnlichem, kann ich auf diese Weise eine konstante Beatmung gewährleisten (solange der Pmax korrekt eingestellt ist). In der Druckkontrollierten Beatmung muss ich händisch häufig die Beatmung nachjustieren, weil sie aus dem Gleichgewicht gerät (Stichwort: Laparoskopische OPs).
Volumenkontrollierte Beatmung bei Larynxmasken ist problemlos möglich
Auch die Beatmung mit einer Larynxmaske ist volumenkontrolliert völlig problemlos möglich, solange der Spitzendruck nicht über 20mbar ansteigt. Bei Einstellung der korrekten Abschaltgrenze ist damit ist das Hauptargument für die PCV-Anhänger bei Larynxmasken entkräftet. Im Zweifel ist VCV sogar vorteilhaft, weil es längere Zeit auch niedrigere Druckniveaus hat als bei PCV, wo kontinuierlich ein etwas höherer Druck gehalten wird. Ob das tatsächlich einen Einfluss auf die Gasleckage oder Fehlbeatmungen in den Magen zur Folge hat, kann ich aber nur mutmaßen…
Wie dargestellt führen viele Wege nach Rom. Grundsätzlich das eine oder andere Verfahren zu verdammen ist aber der falsche Weg. Man kann in diesem Zusammenhang auch viel von persönlichen Vorlieben und „Schule“ sprechen; eine differenziert Bewertung von Beatmung sollte man sich aber nicht nehmen lassen. Die Realität ist manchmal komplizierter, als manche Kollegen sich das wünschen würden.
Passender Audio-Podcast: http://anae-doc.de/download/anae-doc-cast-06-beatmung-ards-hoerprobe/