Ich habe eine Tipp für einen Beitrag von Lea bekommen, den ich heute gerne umsetzen werde als Beitrag. Ich bin für solche Eingaben sehr dankbar, weil es mir manchmal schwer fällt, regelmäßig geeignete Themen für das Blog aus dem Hut zu ziehen.
Genug der einleitenden Worte, los geht’s. Es geht um die Frage, ob Propofol epileptische Anfälle auslösen kann. Es erscheinen unregelmäßig Fallberichte über angeblich ausgelöste Anfälle unter Narkoseein- oder ausleitung. Und auch mir ist es schon einmal in einer normalen Einleitung mit einer jungen gesunden Patientin passiert, dass ich so überrascht wurde.
Fallvignette – yay!
Die Patientin war jung und gesund, hatte keine Vorerkrankungen und als Einleitungshypnotikum wurde nur Propofol verabreicht. Als Relaxans nutzten wir Atracurium, was definitiv keine Myoklonien / Faszikulationen verursacht (nicht, dass noch einer auf die Idee kommt, ich hätte mit Succi eingeleitet – dann wäre der Witz des Beitrags ja weg 😉 ). Nach einer gewissen Zeit verschwanden die „Zuckungen“, und die Narkose lief völlig normal durch, ebenso wie die Aufwachraumphase. Aber was war da nun passiert?
Wenn wir eine Epilepsie oder allgemeiner einen „Krampf“ vermuten würden, sollten wir uns erst mal klar machen, um was es sich dabei handelt. Ich bin nun kein Neurologe, deshalb gibt’s die kurze Abhandlung von mir; man möge es mir verzeihen.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist durch eine abnorme chaotische Steigerung neuronaler Aktivitäten gekennzeichnet (man könnte auch von „Sturm im Hirn“ sprechen). Ausgehen können diese Aktivitäten von Zentren, die entweder in der Formatio reticularis oder als Foki in (sub)kortikalen Bereichen liegen. Die Formatio reticularis kann sehr schnell den gesamten Kortex mit ihren Entladungen erfassen (generalisieren), die Foki können zunächst lokal bleiben, sich aber auch sekundär generalisieren. Wir sehen schon – es läuft hier auf fokale und generalisierte Anfälle hinaus.
Im EEG können bei Epilepsie sogenannte Spike-Wave-Komplexe nachgewiesen werden (Bilder s. [1]), bzw. allgemein die neuronale Überaktivität. Das haben wir in der Narkose natürlich in der Regel nicht anliegen. Wir konzentrieren uns eher auf die Klinik, die vor allem motorisch geprägt ist. Bei generalisiertne Krampfanfall folgt auf eine tonische Phase mit Initialschrei (durch Entspannung des Zwerchfells und tatsächlich sehr typisch) die bekannte klonische Phase des (generalisierten) Krampfens.
In der Regel werden wir bei Narkoseein- und ausleitung diese motorischen Äquivalente sehen. Ob es sich dabei aber wirklich um einen Krampfanfall handelt, könnte man nur mit einem EEG nachweisen. Ich wiederhole mich.
Das Gehirn enthält sowohl inhibitorische als auch exzitatorische Neurone und Pathways. Generell gesprochen sind die höheren Hirnfunktionen (der Rinde) vor allem inhibitorisch geprägt und die tieferen älteren Regionen eher exzitatorisch. Inhibitiorische Neurone sind auch ein wichtiger Teil des Lernens, aber das nur am Rande. Der Kortex inhibiert die tiefer liegenden Zentren (Kortex den Subkortex und den Hirnstamm).
Propofol ist ein GABA-A-Rezeptor Agonist
Nun wenden wir uns dem Propofol zu. Es handelt sich um einen GABA-Agonisten (GABA-A-Rezeptoren mit dem Transmitter Glycin), der Neurone in ihrer Funktion hemmt. Dabei wirkt es vor allem in kortikalen Neuronen. Es hemmt also, Achtung, die hemmenden Neurone.
In subkortikalen Bereichen wirkt es deutlich weniger, aber für das bewusste Wachsein ist nun mal die Hirnrinde zuständig, sodass das für eine Hypnose ausreicht. Es werden aber auch Inhibitionen „nach unten“ gehemmt, sodass es folglich zu einer Enthemmung kommt.
Enthemmte exzitatorische Neurone machen das, was man erwarten würde: Sie feuern. Klinisch macht sich das durch Faszikulationen oder Myoklonien bemerkbar.
An dieser Stelle kann man auch die inhalative Einleitungen anführen, wo noch klassisch die Narkosetiefenstadien durchlaufen werden. Stichwort: Exzitatorische Phase mit „exzitatorischen Äquivalenten“. Funktioniert genauso, wird nur durch das Narkosegas ausgelöst. Das aber bitte nicht mit prokonvulsiven Effekten verwechseln!
Warum sieht man das so selten?
Soweit, so logisch. Aber warum sieht man das bei Einleitung mit Propofol so selten? Ich hab das in meinen Jahren im OP genau einmal gesehen… Das liegt einfach daran, dass das oben genannte vor allem für subhypnotische Dosen gilt. Ab einer gewissen Grenzdosis werden einfach auch die exzitatorischen Neurone mit-inhibiert, sodass auch die Enthemmung gehemmt wird. In der Regel leiten wir mit so großen Dosen Propofol ein, dass wir diesen Effekt nicht sehen werden.
Übrigens ist das auch ein Grund, warum man bei Etomidat ganz typisch (und praktisch bei jeder Einleitung) Myoklonien sieht.
Sowohl Propofol als auch Etomidat (als auch Thiopental, Isofluran, Sevofluran) können im Übrigen eine Burst Suppression auslösen. Das bedeutet nichts anderes als eine hirnelektrische Stille, in der kein Krampfanfall überhaupt entstehen oder fortdauern kann.
Die Lösung bei Myoklonien in der Einleitung ist folglich: Mehr Stoff geben 🙂 ! Zu flache Narkose machen tatsächlich auch nur Probleme. Das bewahrheitet sich immer wieder.
Habt ihr das unter Propofol schon mal gesehen? Schreibt mir gerne was Nettes in die Kommentare 🙂
Quellen:
- [1]http://www.epilepsie-netz.de/63/EEG.htm
- Anästhesiologische Pharmakotherapie, 3. Auflage, Seite 156-157, Thiel, Roewer, Thieme-Verlag
Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.
1 Kommentar
Vielen Dank für den Beitrag Roman!