Höhenkrankheit (schwindelerregend!)

 

Nachdem ich schon einiges zur Lungenphysiologie geschrieben habe (hier und hier), ist die logische Erweiterung die Übertragung auf anderes Terrain. In diesem Fall bewegen wir uns weit über der Baumwipfelgrenze auf den Bergen. Ich rede von Höhen über 2500 Metern und höher. Mount Everest Style.

Habt ihr euch je gefragt, warum es so eine große Leistung von Reinhold Messner war, den Everest ohne Sauerstoff zu besteigen? Vermutlich nach meinen letzten Beiträgen schon nicht mehr so sehr. Aber dass die Luft nach oben hin in der Atmosphäre immer dünner wird ist ja klar 😉

Man könnte natürlich auch sagen, dass der Sauerstoffpartialdruck abnimmt, na gut. Auf Normal-Null (Meeresniveau) beträgt dieser 760mmHg; ab 2500m wird es langsam unangenehm für den Menschen: dort beträgt er nur noch 565mmHg; und auf 5500m hat er sich halbiert auf 380mmHg. Je höher der Mensch aufsteigt, desto mehr wird er gestresst. Das betrifft nicht nur die reine Hypoxie durch den niedrigen Sauerstoffdruck.

Die 2500m sind bei der Entstehung von Hirn- und Lungenödem eine wichtige Grenze im Lehrbuch, ab der mit diesen Krankheitsbildern gerechnet werden muss.

Eile mit Weile, und bloß nicht den Aufstieg übertreiben

Der Schlüssel ist bei allen folgend dargestellten Krankheitsbilder ein langsamer Aufstieg und bei Auftreten von Problemen ein unverzüglicher Abstieg (soweit möglich). Generell wird eine Aufstiegsgeschwindigkeit von maximal 300m pro Tag als hinnehmbar angenommen, auch wenn es große interindividuelle Unterschiede in der Akklimatisationsgeschwindigkeit gibt.

Zu der Sauerstoffproblematik kommen aber noch ganz andere Dinge, aber das nur am Rande: Gefahren durch Schnee, Lawinen, Eisbrocken, Kälte, Schneeblindheit, Tiere…

Exkurs: Eine zu gute Akklimatisation an große Höhen (zum Beispiel Minenarbeiter in Südafrika, die dauerhaft auf 2200m arbeiten) bringt aber auch Probleme mit. Durch die chronische Hypoxie entwickelt sich eine Polyzythämie mit bis zu 22g/dL Hämoglobin. Das führt zu Vasookklusion mit allen möglichen Folgeerkankungen: Monge’s Disease.

Prävention, oder wie mach ich’s richtig?

Trotz aller Motivation muss man seinem Körper die notwendige Zeit zur Akklimatisation geben. Es wird empfohlen:

  • maximal 400-600m Aufstieg pro Tag
  • Pause alle 2-3 Tage
  • schwere körperliche Anstrengung vermeiden
  • sofortiger Abstieg beim Auftreten von Symptomen

Die Akute Höhenkrankheit, AMS

Speziell in der Höhenmedizin werden drei Krankheitsbilder unterschieden, die aber fließende Übergänge zu bilden scheinen. Am Anfang steht die akute Höhenkrankheit (Acute Mountain Sickness AMS), gefolgt von Höhenlungenödem (High Altitude Pulmonary Edema HAPE) und /  oder Höhenhirnödem (High Altitude Cerebral Edema HACE).

In Lehrbüchern wird gerne von einem Kontinuum gesprochen. Zuerst tritt die AMS auf, die dann zu einem HAPE oder HACE oder beidem werden kann. In der Tat kann auch ein Hirn- oder Lungenödem auftreten, bevor andere Symptome offensichtlich waren. An ner Steilwand am Everest kurz vor dem Gipfel durchaus eine Gefahr, die auch erfahrenen Bergsteigern passieren kann!

Risikofaktoren sind:

  • schnelle Ankunft auf großer Höhe (schneller Aufstieg, Ausstieg aus Flugzeug, mit der Bimmelbahn die tibetanische Steilwand hoch)
  • absolut erreichte Höhe
  • physische Erschöpfung
  • Vorerkrankungen, v.a. der Lunge
  • genetische Faktoren scheinen begünstigend zu wirken

Die Pathogenese der AMS ist schlecht verstanden. Manchmal wird sie als eine frühe Form eines Hirnödems dargestellt. In der Tat haben aber auch Individuuen ohne AMS eine dezente Hirnschwellung auf Höhe.

Symptome und Therapie der AMS

Wie dem auch sei; es kommt zu unspezifischen Symptomen wie Übelkeit / Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen. Typischerweise sind die Symptome nachts schlimmer als tagsüber. Der Kopfschmerz wird als pochend beschrieben und verschlimmert sich durch das Valsalva-Manöver.

Die Therapie richtet sich nach der Schwere. Jedenfalls sollte der Patient nicht weiter aufsteigen. Die Höhe und der Luftdruckverlust sind die auslösenden Faktoren für die Symptome. Im Zweifel lieber absteigen, als mit falschem Ehrgeiz weiter aufsteigen. Besonders, wenn die Symptome eher schlechter werden. Einfache Analgetika wie Ibuprofen oder Paracetamol können ausreichen. Bei schwereren Fällen zusätzlich Sauerstoffgabe und Abstieg.

Die Medikamentöse Therapie umfasst folgende Optionen:

  • Azetazolamid und / oder Dexamethason (4mg p.o./i.v.) gegen die Hirnschwellung
  • Überdruckkammer. Auch als transportables Gerät verfügbar

HAPE oder das Höhenlungenödem

Beim Höhenlungenödem passiert das Gegenteil von dem, was wir bei einer NIV-Therapie im kardialen Lungenödem versuchen: Durch den Druckverlust in der Umgebung durch den Aufstieg kommt es zu einer Flüssigkeitsverschiebung in den Alveolarraum. Die Folge ist natürlich ein eingeschränkter Gasaustausch mit allen bis zu deletären Folgen.

Es tritt häufig an Tag 2-4 auf, nachdem der Patient auf über 2500m angekommen ist. Es korreliert auch gut mit der maximal erreichten Höhe und dem Grad der Belastung. Je höher und schwerer die Belastung, desto wahrscheinlicher tritt es auf.

Als Ursache wird eine übertriebene, ungleich verteilte (fehlgeleitete) hypoxisch-pulmonale Vasokonstriktion diskutiert. Die Alveolen hinter der Vasokonstriktion bekommen natürlich weniger Blut ab, dafür die besser perfundierten Alveolen viel mehr Blutdruck, als sie verarbeiten können — Ödem. Letztlich ist die Pathogenese aber nicht gut verstanden.

Ein großer Teil von Patienten, die anfällig für solch ein Lungenödem sind, kann im Vorhinein über ein Doppler des pulmonalarteriellen Drucks identifiziert werden. Solche Individuen haben einen pathologischen Anstieg des PAP auf Anstrengung und Hypoxie. Andere Vitalparameter sind keine sinnvollen Prädiktoren.

Die Symptome sind diejenigen eines Lungenödems anderer Ursachen. Ein trockener Husten indes ist aber typisch bei Bergsteigern und hat an sich erst mal nichts mit dem HAPE zu tun (Kälte, trockene Luft). Und nicht zu vergessen gibt es auch noch andere Ursachen für feuchte Rasselgeräusche (z.B. Pneumonie).

Die primäre Therapie ist wieder einmal: Abstieg, soweit möglich. Andere Optionen sind:

  • Oberkörperhochlage
  • Sauerstoffgabe
  • Nifedipin, um den PAP zu senken
  • (ggf. tragbare) Überdruckkammer (Gamow-Bag); allerdings muss da ständig einer mit einer Fußpumpe nachpumpen; und das Problem ist nicht beseitigt, sobald der Patient die Kammer wieder verlässt…

Das Höhenhirnödem HACE

Das Hirnödem der Höhe betrifft bis zu 2-3% der Reisenden über 5000m Höhe. Üblicherweise hat es eine Assoziation zu einer sich stetig verschlechternden Prodromalphase von AMS; es kann aber auch „einfach so“ auftreten ohne große Vorboten. Gruselig. Die Hypoxie führt zu einer Hirnschwellung mit entsprechenden Ausfallserscheinungen, die auch fatal enden können.

Die Pathophysiologie ist noch schlechter verstanden als bei den oben beschriebenen Krankheitsbildern. Das HACE kann auch bei gut akklimatisierten erfahrenen Bergsteigern wie aus dem Nichts auftauchen. Na Prost Mahlzeit! Anders als beim HAPE kann man die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines HACE auch nicht mit Tests vorhersagen. Schade.

Symptome sind die einer heftigen Hirnschwellung in der starren „Box“ Schädel: Ataxie, Hirnnervenausfälle, Papillenödem, fokal-neurologische Ausfälle, Hypoxie. HAPE kann ebenfalls zeitgleich vorhanden sein!

Therapie Nummer 1, wie immer: Abstieg und zwar schnell! 500-1000m, am besten sofort! Ganz viel Sauerstoff, Dexamethason wie oben beschrieben. Eine Überdruckkammer ist potentiell sinnvoll, aber wenn der Atemweg des Patienten gefährdet ist, sollte man sich das gut überlegen (meistens sind das Ein-Mann-Säcke ohne große Überwachungs- oder Therapiemöglichkeit von außen).

Zusammenfassung

Ich hoffe, ich konnte euch einen Einblick in einen spannenden Bereich der Medizin geben. Das unten referenzierte Oxford Handbook of Expedition and Wilderness Medicine ist auf jeden Fall eine sehr spannende Lektüre, auch wenn die meisten von uns wahrscheinlich niemals den Everest beklettern oder auf dem Amazonas Piranhas füttern werden 😉 Jedenfalls ein Anwendungsgebiet unseres Wissens, das wir uns in der Physiologie angeeignet haben, auf eher unkonventionellem Terrain 🙂

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