Parenterale Ernährung auf Intensivstationen

Die Ernährung von Intensivpatienten ist meiner Erfahrung nach stets ein viel diskutiertes Thema. Das Problem beginnt damit, dass man nur mit sehr aufwändigen Verfahren den tatsächlichen Kalorienbedarf des Patienten ermitteln kann. Es handelt sich hierbei um die (in)direkte Kalorimetrie oder die Stickstoffbilanz über die Gewinnung von 24-Stunden-Urin. Und dann ändert sich der Bedarf eines Patienten über den Verlauf seines Aufenthaltes gesehen auch noch ständig.

Der Grundumsatz liegt bei 25-30kcal/kg KG/Tag

Normalerweise geht man von 25-30kcal/kg KG/Tag als Grundumsatz aus. Grundumsatz bedeutet, dass dies die basalen metabolischen Voraussetzungen für eine aerobe Energiegewinnung erfüllt. Bei dieser Betrachtung liegt der Patient regungslos im Bett (körperlich inaktiv) und hat auch keinen metabolischen Stress.

Faktoren, die den Grundumsatz steigern sind u.a.

  • Fieber
  • Körperliche Aktivität
  • Sepsis

Der basale Bedarf an Aminosäuren beträgt etwa 0,7-1g/kg KG/Tag und der Umsatz etwa bei 0,2-0,5g/Tag. Daraus lässt sich die Stickstoffbilanz ableiten. Sie ist der Unterschied zwischen zugeführtem Proteinstickstoff und ausgeschiedenem Stickstoff. Sie ist positiv bei vermehrtem Proteinbedarf, wie zum Beispiel im Muskelaufbau oder der Schwangerschaft und negativ bei Proteinmangel.

In einer Mangelsituation, und das ist bei der überwiegenden Anzahl der Intensivpatienten leider der Fall (Stichwort Malnutrition), kommt es zu einem Muskelproteinabbau von fast 500g pro Tag!

Eine tägliche Reevaluation der Ernährung ist obligat

Außerdem durchläuft der Patient Im Verlauf des Aufenthaltes verschiedene Phasen. Am Anfang in der akuten Krankheitssituation bzw. kurz nach der OP in der operativen Intensivmedizin ist der Bedarf tatsächlich erniedrigt. Stichwort: Postaggressionsstoffwechsel. Aber nach spätestens 2-3 Tagen steigt der Bedarf an und kann den Grundumsatz auch deutlich übersteigen. Eine tägliche Evaluation der Ernährung ist deshalb obligat.

Bei unpraktikabel komplizierter, langwieriger Messung des Kalorienbedarfs kann näherungsweise die Harris-Benedict Formel angewandt werden (es gibt aber noch andere, unbekanntere Formeln):

  • Ruheumsatz Mann (kcal/Tag) = 66+(13,7×W)+(5,0×H)-(6,8×A)
  • Ruheumsatz Frau (kcal/Tag) = 665+(9,6×W)+(1,8H)-(4,7×A)
  • (A=Alter in Jahren, H=Körpergröße in cm, W=Gewicht in kg)

Ernährung setzt sich zusammen aus Proteinen (Aminosäuren), Lipiden und Kohlenhydraten.

Kochrezept für parenterale Ernährung

Für Kohlenhydrate werden 3-4g/kg KG /Tag im Stressstoffwechsel empfohlen. Einen Anhalt für den Bedarf gibt die Laufrate des gleichzeitig angeschlossenen Insulinperfusors: Wenn die Laufrate exzessiv steigt, um eine Normoglykämie zu erreichen, sollte man überlegen, ob man nicht zu viel Glukose verabreicht.

Lipide (Energiegehalt 1g = 9,3kcal) werden durch die Bestimmung der Triglyceride im Labor gesteuert. Rein rechnerisch kommt man erfahrungsgemäß fast immer bei 200-250ml Lipovenös 20% aus, die man verabreichen sollte. Aber wie gesagt – ob das stimmt, muss im Labor bestimmt werden.

Aminosäuren sind ein Thema für sich. Ihr Bedarf wird mit 0,8g/kg KG/Tag angegeben. Es gibt aber keinen direkten Weg, den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln, als über eine rechnerische Näherung und dann die Beobachtung des Verlaufs von Serum-Harnstoff und Serum-Kreatinin. Normalerweise verhalten sich beide Werte kongruent, das bedeutet: Wenn das Kreatinin wegen schlechterer Nierenfunktion steigt, steigt auch der Harnstoff, weil er weniger ausgeschieden wird.

Eine Hyperalimentation mit Aminosäuren führt zu vermehrter Thermogenese und Harnstoffbildung; eine Hypoalimentation zu einer Neubildung von Aminosäuren und ebenfalls Bildung von Harnstoff. In beiden Fällen steigt dieser also an.

Immer, wenn Harnstoff und Kreatinin gegenläufig sind, ist etwas mit der Aminosäurenzufuhr „nicht in Ordnung“ und muss geprüft werden.

Meiner Erfahrung nach hat sich folgendes bewährt:

  • Man berechnet den Grundumsatz des Patienten und schätzt dessen Aminosäurenbedarf anhand der Formeln.
  • Dann schaut man sich an, wieviele Aminosäuren der Patient in den letzten Tagen erhalten hat
  • Man setzt diese Information in Beziehung zum Verlauf von Harnstoff und Kreatinin
  • Es erfolgt die Anpassung durch Erhöhung oder Erniedrigung der Zufuhr
  • Reevaluation am nächsten Tag

Trotz allem bleibt das Thema heikel. Viele Kollegen haben Scheu, sich damit genauer auseinanderzusetzen, obwohl Malnutrition auch prognostisch ein großer Faktor für Morbidität und Mortalität ist. Es lohnt sich also, mal genauer hinzuschauen.

(Und wenn man Kombinationspräparate verwendet, hat sich die ganze Berechnung auf die bloße „Kilokalorien pro Tag“-Schätzung reduziert. Das ist zwar nicht so genau, aber dafür deutlich weniger fehleranfällig. Besonders wissenschaftlich ist es aber leider auch nicht….)

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1 Kommentar

  1. Interessantes Thema (und interessanter Artikel). Leider wie du erwähnst, ein eher stiefmütterlich behandeltes. Ich fände es super, wenn du noch näher auf die einzelnen Phasen (Akut, Postakut, Rekonvaleszenz) eingehen würdest und wie sich der Kalorienbedarf orientierend am BMI abschätzen lässt.

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