Etomidat – Gift in der Anästhesie?

Etomidat
Strukturformel von Etomidat, Quelle: Wikipedia

Das gute alte Etomidat.

Zunächst ein paar pharmakologische Eckpfeiler. Es ist in einer Soja-Fettemulsion gelöst, der pH Wert ist 7,0. Es ist ein Imidazolderivat (wie Clonidin) und ein Razemat, bestehend aus R- und S-Etomidat, wobei nur das R-(+)-Enantiomer wirksam ist. Die Plasmabindungsrate, vor allem an Albumin beträgt 80%. Laut der Free Drug Hypothese ist nur ungebundenes Pharmakon wirksam. Der Abbau findet ausschließlich hepatisch statt durch Esterhydrolyse und N-Desalkylierung; es werden nur unwirksame Metabolite produziert.

Soja ist in Propofol und Etomidat

Interessant sind mehrere Dinge. Zum einen die Sojaemulsion: Es ist genau wie Propofol auch gelöst – jedoch steht im Beipackzettel nichts von einer Kontraindikation „Sojaallergie“. Verrückt – wie kann das sein? Wobei das mit Propofol und der Sojaallergie sowieso eine viel kompliziertere (und in der Praxis unaufgeregtere) Sache ist, als man aus den Büchern meinen könnte, aber das führt ein wenig weit.

Etomidat führt vor allem zu einer telenzephalen Suppression, vermutlich wie alle Hypnotika vor allem über die Aktivierung von GABAergen inhibitorischen Rezeptoren (GABAa: ionotrope Chlorid-Kanäle; keine Wirkung an den metabotropen GABAb-Rezeptoren).

Die Einleitungsdosis beträgt laut Fachinformation 0,2-0,3mg/kg KG, also quasi wie eine entsprechende Propofoldosis geteilt durch 10 – als Eselsbrücke vielleicht leichter zu merken. Während der Patient einschläft kann es typischerweise zu enthemmend getriggertern Muskelfaszikulationen kommen, ohne dass dem Krampfpotentiale im EEG entsprechen. Das ist übrigend bei Propofol auch möglich, jedoch deutlich seltener. Es wird vor allem auf die anfangs ungleichmäßige Inhibition von Neuronen geschoben, sodass bestimmte Bereiche erst enthemmt werden (und zu Faszikulationen führen), bevor sie auch gehemmt werden.

Etomidat ist relativ kreislaufstabil

Der große Vorteil von Etomidat ist seine relative Kreislaufstabilität. Relativ deshalb, weil es selbst auch zu einer Kreislaufdepression führt, jedoch deutlich geringer ausgeprägt als bei den anderen Einleitungshypnotika. Aus diesem Grunde wurde es eine ganze Weile als Einleitungsmedikament der ersten Wahl gebraucht. Stabile Narkosen sind schließlich immer ein Ziel der Anästhesie. Je stabiler der Verlauf des Blutdrucks ist, desto weniger Komplikationen sind nachher zu befürchten. Das betrifft vor allem die kardiale und cerebrale Perfusion aber natürlich auch die Nieren und die Peripherie. Schlaganfall und Herzinfarkt sind harte Endpunkte, die man auf jeden Fall vermeiden möchte.

Der Grund, warum das Mittel aber dann aus der Praxis fast verschwunden ist, ist die gefürchtete Nebennierensuppression. Diese geschieht ohne Zweifel: Etomidat hemmt direkt die 18a-Hydroxylase, sowie die 11b-Hydroxylase. Dadurch kommt es zu einem Medikamenten-induzierten Cortisolmangel, der sich prognostisch schlecht auf das Patientenoutcome auswirken kann. Die Konsequenz aus der Praxis ist, das Mittel einfach gar nicht mehr zu verwenden.

Auch heute können Patienten von Etomidat profitieren

Persönlich bin ich aber der Meinung, dass bestimmte Patientengruppen sicherlich auch heute noch von solch einer Narkoseeinleitung profitieren. Gerade Patienten mit schlechten Gefäßen, schlecht eingestelltem Hypertonus, höhergradig eingeschränkter Durchblutung am Myokard und der Pumpfunktion profitieren exorbitant von einem stabilen Blutdruck. Jede Schwankung nach oben wie auch nach unten kann zu einer Dekompensation führen.

Es gibt natürlich immer mehrere Wege um ans Ziel zu kommen. Man könnte zum Beispiel vorsichtig Propofol mit kleinen Boli titrieren, bis der Patient schläft, und viel Opiat zum Abschirmen geben. Genauso gut kann man aber auch Etomidat geben – denn der Patient wird nicht wegen einer achtstündigen NNR-Suppression kardiale Komplikationen entwickeln, sondern wegen einer Minderperfusion des Myokards Ischämien entwickeln und entsprechend sein Mortalitätsrisiko erhöhen.

Bei Notfallpatienten sehe ich die ganze Sache noch ein wenig entspannter. Gerade im Notfall hat man sowieso Probleme, den Blutdruk im Rahmen einer Notfallnarkose gut zu steuern – verglichen mit den gechützten Bedingungen im OP. Da kommt mir so ein Mittel doch gerade recht.

Bitte nicht falsch verstehen – Etomidat sollte man wegen der bekannten NNR-Suppression nicht mit der Gießkanne verteilen. Aber ich bin der Überzeugung, dass das Mittel zu Unrecht kategorisch verteufelt wird. Unter bestimmten Bedingungen gibt es Patientengruppen, die davon profitieren können. Außerdem gehört in die Ausbildung von Anästhesisten wohl mehr als nur ein Einleitungshypnotikum (das wär wohl heutzutage Propofol).

Links:

3 Kommentare

  1. Hi, gibt es eigentlich schon Handlungsempfehlungen in irgendeiner Art von DGAI & Co, die den EInsatz von Eto betreffen?

    Danke für deine Arbeit!

    1. Hi!

      Tatsächlich gibt es meines Wissens nach keine Leitlinie, die Etomidat ausschließt. Offensichtlich ist die Studienlage dazu auch zu heterogen und dünn. Zum Beispiel wird es als Beispielmedikament in der Leitlinie „Prähospitale Notfallnarkose“ oder auch der Leitlinie für kardiologische Interventionen (Kardioversionen etc.) explizit als ein mögliches Mittel genannt.

      Die Fachgesellschaft für Interdisziplinäre Akut- und Notfallmedizin hat dazu auch einen Blogbeitrag veröffentlicht, der in dieselbe Richtung wie mein Beitrag geht: https://www.dgina.de/blog/2013/06/10/pro-und-contra-einer-sedierung-mit-etomidate/

      Außerdem gab es auch im „Anästhesist“, der ja das offizielle Organ von BDA und DGAI ist, einen CME-Beitrag zu Etomidat von 2017, der das Mittel durchaus bei bestimmten Indikationen erlaubt.

      Eto zu verteufeln ist ja ganz en vogue. Die Wahrheit ist aber offensichtlich etwas komplizierter 😉

      Ich hab mal den Beitrag um die o.g. Links ergänzt, weil das sicher auch andere interessiert.

      Danke für dein Interesse !

      1. Danke für die schnelle und ausführliche Antwort!Das hilft mir sehr.

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