Malignes neuroleptisches vs. Serotonin-Syndrom

 

Im folgenden Beitrag soll es um zwei seltene Syndrome gehen, die aber notfallmedizinisch und in der Notaufnahme relevant sein können.

„Serotonin-Sturm“; Heike C. Ewert

Weil beide Syndrome relativ unspezifische Symptome aufweisen, werden milde Fälle häufig als andere Entitäten fehlinterpretiert. Schwere Fälle hingegen werden häufig dem falschen Syndrom zugeordnet, weil sich viele unspezifische Symptome gleichermaßen finden. Dazu unten aber später mehr.

Die Ätiologie unterscheidet sich deutlich, und dann auch die anschließende Therapie. Die falsche Therapie kann das klinische Bild sogar verschlimmern! Deshalb sollte man von vornherein die richtige Diagnose stellen. Wie häufig, aber hier besonders, hat die Anamnese einen herausragenden Stellenwert.

Das „maligne Serotonin-Syndrom“ entsteht durch ein „zuviel“ an Serotonin im Gehirn.

Das geschieht in den allermeisten Fällen im Rahmen der Einstellung mit Medikamenten, die dessen Haushalt beeinflussen (Antidepressiva): Monoaminooxidase-(MAO)-Hemmer und Selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer, SSRI. Entweder wurden sie erhöht oder miteinander kombiniert, sodass eine Überdosierung resultiert. Es kommt zu einem Überschuss von zentralem Serotonin.

Die Symptome entwickeln sich in der Regel im Laufe von 24 Stunden, also relativ akut.

Symptome können sehr unspezifisch sein – die Anamnese führt!

Es kommt u.a. zu folgenden unspezifischen Symptomen:

  • Fieber
  • Tachykardie
  • Hypertonie
  • Tachypnoe
  • Hypersalivation
  • Tränenträufeln (Diaphorese).

Wenn man ehrlich ist, sind diese Symptome nicht besonders hilfreich und können auf eine Vielzahl von Erkrankungen hinweisen.

Das „maligne neuroleptische Syndrom“ ist die Differentialdiagnose der Stunde

In diesem Fall besonders hinderlich ist, dass Patienten mit „malignem neuroleptischen Syndrom“ sich fast ähnlich präsentieren können.

Ätiologisch hat es aber wirklich gar nichts mit Serotonin zu tun. Der Missetäter ist hier ein Dopamin-Mangel (andere Neurotransmitter und diesmal ein Mangel). Das kann wiederum vor allem bei Modifikation einer bestehenden Medikation passieren: Erweiterung um einen Dopaminantagonisten oder Entfernung eines Dopamin-Agonisten.

Die Symptome entwickeln sich aber über einen deutlich längeren Zeitraum. Wir sprechen hier von Tagen bis Wochen.

Wie kann man die zwei Syndrome jetzt unterscheiden?

Und jetzt nähern wir uns dem Vorgehen, wie wir eine sinnvolle Differentialdiagnose betreiben können (s.a. Tabelle). Den Beginn der Symptome habe ich schon erwähnt: Serotonin-Syndrom < 24 Stunden nach Modifikation einer bestehenden Therapie, neuroleptisches Syndrom: protrahiert Tage bis Wochen.

Die Ursache in Überschuss bzw. Mangel an Neurotransmittern hat weitere Auswirkungen, die sehr bei der Diagnose helfen können.

Ein Dopamin-Mangel äußert sich wie bei einem Morbus Parkinson: Bradykinese, Bradyreflexie, körperstammbetonte Rigidität. Ein Überschuss von Serotonin hat gegenteilige Folgen: Myoklonus, Tremor bis hin zur Rhabdomyolyse und Hyperreflexie.

Das ist doch schon mal etwas, mit dem wir arbeiten können!

 Serotonin-SyndromNeuroleptisches Syndrom
Ursache /AnamneseNeue Gabe von MAO-Hemmer oder SSRI oder DosiserhöhungGabe von Dopamin-Antagonist oder Entzug eines Dopamin-Agonisten
Häufigste TodesursacheFieber (mit allen seinen Folgen)Multiorganversagen
Auftreten< 24 StundenTage bis Wochen
Gemeinsame SymptomeFieber, Tachykardie, Hypertonie, Hyperthermie, MuskelrigiditätFieber, Tachykardie, Hyper/Hypotonie, Hyperthermie, Muskelrigidität
UnterschiedeMyoklonus, Tremor, RhabdomyolyseBradykinese, Bradyreflexie, Rhabdomyolyse ebenfalls möglich
ReflexeHyperreflexieStammbetonte Rigidität

Nach [1], Tabelle 178-10, S. 1203

Die Therapie richtet sich nach der Ursache

Eine sehr plakativer Satz, ich geb‘ es zu. Ändert aber nichts. Patienten mit schweren Symptomen, v.a. Blutdruckentgleisungen (nach oben oder unten), Bewusstseinseinschränkungen oder Rhabdomyolyse sollten selbstverständlich auf eine Überwachungs- wenn nicht gar eine Intensivstation aufgenommen werden.

Die supportive Therapie ist wie gehabt. ABCDE funktioniert immer bei so etwas, auch wenn wir hier nicht von Trauma-Code sprechen. Nur so als Tipp nebenbei.

  • Standard-Monitoring etablieren (EKG, RR, SpO2, AF)
  • Aufnahmelabor, insbesondere mit kleinem Blutbild, Creatinkinase, Kreatinin/GFR, Elektrolyten
  • agitierte Patienten werden entspannt mit Benzodiazepinen (entspannt auch die Muskeln)
  • auf Zeichen einer Rhabdomyolyse achten und entsprechend behandeln
  • Dantrolen erwägen (0,5-2,5mg/kg Körpergewicht alle 6 Stunden), wenn die Muskelrigidität und Rhabdomyolyse nicht beherrschbar ist
  • rehydrieren mit i.v.-Kristalloiden
  • physikalische Kühlung
  • kurzwirksame Antihypertensiva gegen die Hypertension (z.B. Esmolol)
  • direkte Vasopressoren bei Hypotension, die nicht auf Volumen anspricht
  • Intubation und Beatmung bei schwerer Ventilationsstörung

Die wichtigste Maßnahme bleibt aber in beiden Fallen/Syndromen: Auslösendes Agens (das Zuviel an Serotonin-Agonist bzw. der Dopamin-Dosierung) absetzen. Üblicherweise verbessern sich allein dadurch die Symptome schon deutlich in den folgenden 24 Stunden.

Cyproheptadin wurde in der Vergangenheit als Therapieoption für das „maligne neuroleptische Syndrom“ empfohlen; jedoch fehlt überzeugende Evidenz für die Wirksamkeit.

Links:

  • [1] (*)Tintinalli’s Emergency Medicine, 9th Edition (Quelle)
  • Buchrezensionen

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