Wir hatten KIS-Umstellung. Jeder, der diese Worte hört und zuordnen kann, wird jetzt vermutlich mitleidig drein schauen. KIS? Genau: Krankenhaus-Informations-System. Die Schnittstelle zwischen allen Berufsgruppen im Krankenhaus, der Dreh- und Angelpunkt für das, was Herr Lauterbach so gerne voran treiben möchte im Gesundheitswesen (zumindest für den stationären Sektor).
Es werden Patienten aufgenommen, verlegt, entlassen. Dazwischen diagnostiziert, dokumentiert, verschlüsselt, ach und natürlich: abgerechnet. Nebenbei entstehen Kennzahlen für die Leitungsebene in Form von Leistungszahlen, OP-Auslastungen, Belegungsstatistiken und wenn man möchte – und die richtigen Einstellungen hat, auch noch Daten für die Forschung.
Alles im Korsett des DRG-Systems, immer klammer werdender Personal- und Finanzierungsdecken und der Datenschutz thront darüber: Wer darf wann und in welchem Umfang auf welche Daten überhaupt zugreifen?
Schnell entstehen dann so Aussagen wie: Ich muss XYZ aber können, sehen, was auch immer, sonst sterben Menschen. Ich „liebe“ dieses Argument mittlerweile.
Was ist ein gutes KIS?
Man darf nicht vergessen: Ein gutes Krankenhaus-System unterstützt die Prozesse, Entscheidungsfindung und Abrechnung von Medizin – aber Medizin ging früher auch auf Papier; auch wenn vielleicht nicht so elegant. Im Rettungsdienst bin ich auch ohne Computer unterwegs und trotzdem überleben die Patienten. Oder wenn ein Arztbrief mal nicht sofort aufgeht oder so. Sportliches Argument, aber gut.
KIS-Umstellung heißt, dass dieses zentrale System eines Krankenhauses aus strategischen Gründen gegen ein anderes ausgewechselt wird. In meinem Fall soll der Konzern nur noch ein System warten müssen und nicht zwei parallele. Damit werden auch keine doppelten Wartungsverträge benötigt, keine doppelten Schnittstellen für Subsysteme, und das Team zur Wartung vor Ort verdoppelt sich, weil sich alle nur noch um dasselbe System kümmern müssen.
Umstellung macht selten Spaß
Dennoch heißt es auch: Die Mitarbeiter müssen sich umstellen. Dinge, die vor so einer Umstellung völlig problemlos funktioniert haben, funktionieren nun entweder nicht oder anders. Im besten Fall geht es ja schon mal technisch – aber der softe Faktor Mensch ist ebenso wichtig.
Ich durfte so eine Umstellung bei uns hautnah miterleben, und hier muss ich nun ein paar meiner Highlights loswerden.
Wir haben ein Modul, das sich verdächtigerweise „Befundübersicht“ nennt. Was erwartet man da? Na ja – Befunde halt, und zwar im Grunde alle. Das bedeutet auch: Wenn ich einen Befund suche, gehe ich natürlich in die Befundübersicht. Man könnte auch von „elektronischer Akte“ o.ä. sprechen.
Aber was machen unsere lieben Kollegen? Sie versuchen Arztbriefe im Arztbrief-Modul zu öffnen. Das geht nun aber nicht, weil dieses Modul für das Erstellen und Bearbeiten von Briefen vorgesehen ist. Fachfremde Briefe dürfen dort nicht bearbeitet werden. Das finde ich persönlich nachvollziehbar und sinnvoll. Allein den Weg „Ich will einen Befund gucken“ zu „Guck halt in der Befundübersicht“ in die Köpfe der Mitarbeiter zu bekommen, war steinig und hat fast einen Monat gedauert. Zwischendurch gab es böse Anrufe mit „Ich kann so nicht arbeiten“ – „Wir können so nicht abrechnen“, was man so kennt. Übrigens ist das top-Argument von Ärzten, um etwas Nachdruck zu verleihen häufig in meiner Beobachtung: „Dann sterben Menschen“.
Wie schlimm ist das denn bitte?
Nun bin ich aber auch Arzt und sitze am anderen Ende der Leitung. Wenn mir jemand sagt, dass ein Patient von Normalstation! nun Schaden nehmen wird, weil die Seitleiste in einem Arztbrief falsch ist, oder ein Befund leider in diesem oder jenem Fall manuell angeklickt werden muss, so muss ich doch sehr an mich halten.
Bitte nicht falsch verstehen: Wenn man ein ausgewachenes Intensivsystem eingeführt hat, auf der Intensivstation, und es dann einen Systemausfall gibt: Das ist patientengefährdend. Die Arztbriefschreibung ist lästig, mehr aber auch nicht.
Auch sehr schön fand ich die Anmerkung, dass bei den Titeln bitte ein Leerzeichen zwischen „Dr.med.“ eingefügt werden soll. Ja, stimmt, ist korrekt so, das war aus der Liste der Personalabteilung. Aber angesichts von nicht funktionalen Anbindungen an Subsysteme, grundsätzliche Arztbriefprobleme und so weiter, war das natürlich eher eine Kleinigkeit.
Eigentlich alle Kollegen, die ich kennengelernt habe, die schon einmal so eine Systemumstellung erlebt haben, haben gesagt: „Nie wieder!“ Es ist wirklich viel in so einem System einzustellen und in der Regel leider nicht so easy zu machen wie eine iPhone-App. An einem Tabelleneintrag kann ein riesiger Rattenschwanz an Dingen stecken, die im ersten Moment gar nicht überschaubar sind. Das ist tatsächlich nicht nur für die Anwender ein geringer Spaß.
Hat funktioniert, macht trotzdem keinen Spaß
Im Großen und Ganzen bin ich aber zufrieden: Tatsächlich gefährdende Sachen konnten wir nicht feststellen. Die Laboranbindung hat geklappt von der ersten Minute an, Röntgenbilder und EKGs sind gelaufen, OPs wurden dokumentiert und es konnten auch schon Briefe geschrieben werden, ja. Vielleicht nicht in der schönsten Version, die denkbar ist, aber immerhin. Die meisten Stammdaten haben gestimmt, sodass vieles schon lief.
Dennoch ist eine Umstellung im System auch mit einer Umstellung von Arbeitsabläufen und Gewohnheiten verbunden. Daran müssen wir arbeiten, aber es wird langsam auch besser. Tagesgeschäft sieht trotzdem anders aus und da werde ich die nächsten Wochen und Monate bestimmt noch was zu tun bekommen, wie alle aus der Abteilung.
Noch einmal in naher Zukunft möchte ich so etwas trotzdem nicht erleben. Die Vorbereitungszeit belief sich auf über 1 ½ Jahre, und jetzt mit dem Reality-Check kommen natürlich die Nacharbeiten.
Es gibt auch schöne Dinge
Immerhin haben wir auch schöne Sachen drin: Alle Dokumente sind nun nach KDL (Klinischer Dokumentenklassen Liste) klassifiziert, was ein Auffinden und Archivieren beides erleichtert. Außerdem sind wir nun so – en passant – EPA und Telematik ready. Auch wenn die Telematik weiter auf sich warten lässt 😉 Dafür benötigt man halt klassifizierte Dokumente – und irgendwer muss das machen (das war kein Spaß und ziemlich viel).
Wir haben Geräte, die am Patientenbett Vitalwerte messen und per WLAN ins System schicken. Nebenbei werden die Anwender gezwungen einen qSOFA-Score zu ermitteln. Praktisch: Blutdruck und Atemfrequenz machen die Geräte schon (AF über den SpO2 Clip), sodass man nur noch das Bewusstsein beurteilen muss. Im KIS gibt es dann einen Warnhinweis direkt am Patientenbett, wenn ein Patient positiv geworden ist. Daraus lassen sich richtig schön moderne Dinge machen, wie Emergency Response Teams usw., also sowas, wo man sich beim Studium von Artikeln manchmal fragt, wie das in der Praxis funktionieren soll.
Genug schwadroniert. Ich musste mal ein wenig Luft ablassen über das, was mich aktuell bewegt. Habt ihr auch schon eine KIS-Umstellung erlebt? Wie hat es funktioniert? Teilt eure Erfahrungen gern in den Kommentaren.
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Begeisterter Anästhesist mit Faible für Teaching und Medizininformatik.