Ambroxol – ein besseres Placebo?

 

Auf meiner ersten Intensivstation wurde noch „intensiv“ Sekretolyse bzw. Mukolyse mittels NAC und Ambroxol betrieben. Auch noch nach einem festen Zeitschema: NAC sollte den Schleim lösen, Ambroxol ihn dann aus dem Patienten befördern. Bloß nicht andersherum oder die Stunde Pause dazwischen nicht einhalten! (Gott bewahre ;P )

Relativ schnell hat sich das dann aber gelegt und lief eher unter „kann man dran glauben, wenn man möchte“ (im Sinne eines Placebo für Patienten und das Personal).

Da ich das aber mal auf eine fundiertere Basis stellen möchte, hab ich mich ein wenig mit der Literatur beschäftigt und möchte euch hier teilhaben lassen.

Allgemeine Infos – Pharma und Warnhinweis

Ambroxol ist ein substituiertes Benzylamin und aktiver Metabolit des Bromhexins (das selbst ein Derivat von Vasicin ist, das aus der Pflanze Adhatoda vasica stammt: Indisches Lungenkraut).

Die meisten der folgenden Infos stammen aus einem recht ausführlichen Review zu dem Thema von Malerba et al.[1]. Auffällig daran waren allerdings zwei Dinge, die ich zu bedenken geben möchte: Zum einen stammen die meisten zitierten Studien aus grauer Vorzeit ab 1970; trotz Bereinigung durch die Autoren ist zu erwarten, dass inkludierte Studien den heutigen Standards nicht mehr entsprechen. Und zum anderen wurden viele Effekte vor allem im Tiermodell dargestellt und nur sporadisch am Menschen.

Dennoch möchte ich ein paar Effekte erzählen, da sie mir erwähnenswert erscheinen.

Effekte von Ambroxol – am Tiermodell

Ambroxol soll die mukoziliäre Clearance verbessern, sowie die bronchialen Sekretionen signifikant und Dosis-abhängig erhöhen[2] (Kaninchen- und Meerschweinchen-Modell). Das gute Zeug soll ebenfalls die Surfactant-Produktion anregen, das geschieht über Stimulation der Pneumozyten Typ II.

Antioxidative Eigenschaften sind vorhanden und vielfältig dokumentiert. Antioxidantien sind immer gut. Kennt noch wer Selenase?

Über Interaktionen mit Entzündungszellen wie Neutrophilen Granulozyten soll es antiinflammatorische Eigenschaften haben. Außerdem soll es die Histamin- und Growth Factor-Freisetzung aus Mastzellen hemmen. Damit kann eine Bronchokonstriktion reduziert werden.

Außerdem ist es offensichtlich ein potententer Hemmstoff der spannungsgesteuerten Natrium-Kanäle und damit ein Lokalanästhetikum. Haupteinsatzort dafür sind im übrigen Halsschmerzen (weil es als OTC-Medikament frei-verkäuflich in den Apotheken angeboten wird).

Pharmakokinetisch hat es ein hohes Verteilungsvolumen von 560L mit einer über 17fachen Akkumulation in der Lunge verglichen zum Plasma. Am ehesten soll es inhalativ und nicht intravenös angewendet werden, damit es direkt ans Zielorgan „Lunge“ kommt.

Und was ist mit dem Menschen?

Mit über 40 Jahren an Erfahrung würde man nun davon ausgehen, dass es einen großen Stamm an bestätigenden Studien zur Wirksamkeit auch am Menschen gibt, nicht wahr? Die bisher dargestellten Effekte stammen alle, soweit ich es verstanden habe, aus dem Tiermodell. Also: Was ist mit dem Menschen?

Es gab genau 3 Studien, die unsere gewünschten kurzfristigen Effekte im Sinne von Expektoration, Reduktion von Sputumvolumen und -viskosität zeigten. Nicht besonders viele, und nicht besonders überzeugend.

Bei Langzeitanwendung und COPD scheint es die Rate an Exazerbationen zu senken. Zumindest an dieser Stelle überlegenswert, wenn man Hausarzt wäre. (Das werden aber wohl die wenigsten Leser dieses Blogs sein).

Tatsächlich interessant für uns ist aber, dass Ambroxol scheinbar die Wirksamkeit von Antibiotika erhöht[3]. Das könnte auf Intensivstation vielleicht doch relevant sein. Aber auch da würde ich einschätzen, dass noch weitere Studien erforderlich sind…

Übertragung von Tier auf den Menschen: Meh…

Wenn man sich das Review von Malerba anschaut[1], könnte man auf die Idee kommen, dass jetzt jeder Patient unbedingt Ambroxol bekommen muss. Es hat ja sooo viele tolle Effekte.

Ich denke eher, dass die Übertragung vom Tiermodell auf den Menschen nicht so recht funktioniert hat. Die messbaren Verbesserungen beim Menschen scheinen nicht so klinisch apparent oder  relevant zu sein, wie man sich das erhoffet hat. Einzig die erhöhte Wirksamkeit von Antibiotika könnte vielleicht nützlich sein.

So verwundert es auch nicht, dass typische Pharmakologie-Bücher von der Verwendung eher abraten (Pharmakologie und Toxikologie, Lüllmann et al.; Anästhesiologische Pharmakotherapie, Thiel et al.).

Schlusswort

Viel wichtiger als eine medikamentöse Sekretolyse ist immer noch eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Laut Lüllmann auch ausnahmsweise mit „Rum oder Arrak“ zur Geschmacksverbesserung , ansonsten halt mit „Lindenblüten, Fliederbeeren, Meersalz“ – man könnte auch einfach ein Glas Wasser trinken, aber hey… Die Ideen finde ich auf jeden Fall unterstützenswert 🙂

Prophylaktische Maßnahmen wie Rauchverbot und Maßnahmen wie Mobilisation und Physiotherapie sind in dem ganzen Komplex deutlich wichtiger, v.a. bei schweren Verläufen auf der Intensivstation. Aber das machen wir ja eh und das ist auch bekannt.

Was Leute sich privat in der Apotheke kaufen, soll nicht unser Bier sein. Das müssen wir als Krankenhaus dann auch nicht bezahlen.

Wie sind eure Erfahrungen? Nutzt ihr es vielleicht sogar noch? Ich hab das Gefühl, es ist nicht tot zu kriegen, auch wenn die Evidenz im Grunde – für die Anwendung am Menschen – tatsächlich sehr dünn ist. Ich bin auf eure Kommentare gespannt!

 

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