Hyperbare Oxygenierung und Atemgasphysiologie (Teil 2)

 

Im ersten Beitrag habe ich eure Nerven vermutlich etwas strapaziert. Alveoläre Gasgleichung und so Späße. Diesmal wird es zumindest etwas relevanter, auch wenn es nicht ganz ohne Formeln auskommen wird.

Es geht um die hyperbare Oxygenierung, oder anders ausgedrückt um die Überdruckbehandlung. Es gab eine Zeit in Deutschland, in der überall Druckkammern aus dem Boden sprossen (weil es gut bezahlt wurde). Die hyperbare Therapie ist aber nach aktueller Studienlage auf relativ enge Indikationen begrenzt; auch wenn man sie bei anderen Krankheitsbildern versucht anzuwenden.

Indikationen für die HBOT

Indikationen sind:

  • Kohlenmonoxid-(CO-)Intoxikation
  • Dekompressionskrankheit (DCS) und
  • Arterielle Gasembolie (AGE)
  • Gasbrand
  • Osteomyelitis

Bei anderen Krankheitsbildern wie chronischen diabetischen Wunden oder Tinnitus gibt es Hinweise auf eine mögliche Wirkung; jedoch ist die Evidenz dazu sehr überschaubar.

In einer Überdruckkammer wird ein Druck aufgebaut, der über dem Atmosphärendruck liegt (sic!). Manchmal wird die Höhe des Drucks als „Tiefe“ angegeben. Das kommt aus der Verzahnung von Überdruckmedizin und Tauchphysiologie.

Druckrechnereien wie im Tauchkurs

Pro 1m Tauchtiefe in Wasser steigt der Umgebungsdruck um 0,1bar an. In 10m Tiefe haben wir dann also schon einen Druck von 2bar, in 20m Tiefe 3bar etc.; wenn man anders herum auf einen Berg steigt, sinkt der Umgebungsdruck, aber viel langsamer: pro 1000m Höhe sinkt der Luftdruck um 0,1bar.

Und wo wir gerade bei Luftdrücken sind: In einer Flugzeugkabine wird in der Regel ein Druck zwischen 0,7-0,8bar aufrecht erhalten. Höhere Drücke wären möglich, aber unwirtschaftlich.

Durch die Erhöhung des Umgebungsdrucks wird auch der Sauerstoffpartialdruck erhöht (ihr erinnert euch an den letzten Artikel?) Wenn auf Meereshöhe der O2-Partialdruck 160mmHg beträgt, so steigt er bei 2atm Druck oder „10m Tiefe“ in der Kammer (Umgebungsdruck 1520mmHg) auf 319,2mmHg.

Daraus kann man mehrere Dinge ableiten. Zum einen ist es physikalisch möglich, eine Oxygenierung allein über Druckerhöhung und dessen Löslichkeit zu verbessern.

Ihr erinnert euch an die Formel für den Sauerstoffgehalt im Blut, die CaO2?

CaO2 = (Hb x 1,34 x SaO2) + PaO2 x 0,0031

Zum Nachprüfen meiner Aussagen dürft ihr auch meinen Rechner oder die App verwenden.

Die physikalische Löslichkeit der CaO2 wird bei HBOT relevant

Bei den Umgebungsdrücken einer Druckkammer wird der normalerweise unwichtige Terminus PaO2 x 0,0031 relevant. Das Gesetz von Henry besagt, dass die Löslichkeit eines Gases über einer Flüssigkeit proportional zu dessen Druck ist. Je mehr Druck in der Luft liegt, desto mehr Gas löst sich physikalisch im Blut.

Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT) bezeichnet nun aber nicht nur hohe Umgebungsdrücke, sondern gleichzeitig die Verabreichung von 100% Sauerstoff. Damit möchte man den PO2 maximal erhöhen.

Bei 100% O2 unter Normaldruck können 80kPa erreicht werden; bei 2atm Druck sind es schon 175kPa und bei 3atm (entspricht ~3bar oder 20m „Tiefe“) kann der Druck zu einer rechnerisch mit dem Leben zu vereinbarenden Gaslöslichkeit führt.

Es ist unter solchen Bedingungen theoretisch möglich, dass ein Mensch ohne Hb-Moleküle überlebt, allein dadurch, dass sein Blut physikalisch gelösten Sauerstoff enthält. Das wäre eine anäme Oxygenierung. Verrückt, oder? (Dass jemand noch ganz andere Probleme hat, der keinen Hb im Blut enthält, sei mal dahin gestellt). Und dass der Sauerstoff ja auch noch irgendwie in die Zellen muss und das alles wohl nicht so einfach ist, sind Details 😉

HBOT und CO-Intoxikation

Viel häufiger wird aber die HBOT zur Behandlung von CO-Intoxikationen eingesetzt. Kohlenmonoxid hat eine 200-220fache Affinität zu Hb im Vergleich zu O2 und verdrängt es aus den Bindungsstellen. Bei reiner Raumluft beträgt die Halbwertszeit von diesem CO-Hb 4-5 Stunden, bei Gabe von 100% Sauerstoff immerhin noch 40min; die Zeit kann auf bis ~20min in der Druckkammer gesenkt werden. Aber wir erinnern uns an die Pharmakokinetik: Bis ein Stoff eliminiert ist, vergehen 5 Halbwertszeiten.

CO-Intoxikationen passieren übrigens nicht nur bei Bränden, sondern auch bei „Grillen im Wohnzimmer“ (ohne suizidale Absicht) oder ganz häufig auch durch Shisha-Gebrauch in schlecht gelüfteten Zimmern.

Ein weiterer großer Einsatzbereich der Druckkammer sind die Tauchunfälle. Tauchen in zu tiefen Tiefen für zu lange Zeit ohne einen kontrollierten Aufstieg ist dabei das Hauptproblem.

Taucherkrankheit, Dekompressionskrankheit

Vor allem Stickstoff ist hier der Sündenbock: Laut dem Gesetz von Boyle-Marriott ist – bei konstanter Temperatur – das Gasvolumen invers proportional zum Umgebungsdruck.

Das heißt: Je tiefer der Taucher taucht, desto geringer wird das Gasvolumen; bei allerdings auch steigender Lösung im Blut. Beim Aufsteigen geschieht das Gegenteil: Das Gas „perlt“ aus der Blutlösung wieder heraus, weil der Druck abnimmt. Außerdem nimmt das Volumen wieder zu. Ein langsamer Aufstieg mit langsamer Anpassung der Druckniveaus ist hier der Schlüssel und wird in den einschlägigen Tauchkursen beigebracht.

Stickstoff-Bubbles können Gefäße verschließen, Organinfarkte auslösen etc (Dekompressionskrankheit, bis hin zur arteriellen Gasembolie). Das wäre aber ein Thema für sich und soll hier nur angerissen werden.

Das Hauptproblem der HBOT ist die Sauerstofftoxizität. Ab 150kPa PO2 können Symptome auftreten wie Schwindel, Übelkeit, Tunnelblick, Tinnitus bis hin zu tonisch-klonischen Krämpfen. Außerdem brennt 100% unter Druck gesetzter Sauerstoff hervorragend – entsprechende Sicherheitsvorkehrungen müssen unbedingt getroffen werden.

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